Kapitel 46

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26 Mai, sieben Uhr morgens ein lauer Frühlingsmorgen, Ben und ich sind schon seit einer Stunde spazieren, er hat heute Nacht ziemlich unruhig geschlafen und war ab fünf Uhr munter. Was macht man dann, man packt sein Kind und geht raus um die frische Luft zu genießen, die Vögel zwitschern hören. den Kopf frei zubekommen. Sobald er in seinem Kinderwagen sitzt ist er sehr ruhig und entspannt. Ich lass ihn heute einfach in Ruhe, rede nicht wie sonst viel mit ihm und erkläre ihm nicht was wir gerade sehen oder wo wir dran vorbeilaufen, um einfach die Stille zu genießen und alles aufzusaugen. Es gibt oft Tage wo ich nur ihn habe mit dem ich mich unterhalten kann, diese Gespräche sind eigentlich immer ziemlich einseitig, weil das was er mir antwortet mit seinen großen Augen verstehe ich nicht, nur ich verstehe das oftmals als Zustimmung. Er beobachtet neugierig sein Umfeld im Liegen, wenn wir an Eichhörnchen oder Vögel vorbeilaufen, bleibe ich stehen, beuge mich zu ihm hinunter und zeig auf die Bäume wo das Leben auch erwacht. Um uns herum lauter noch verschlafnere Menschen, die entweder auf die Arbeit mit einer Tasse Kaffe in der Hand hetzten, manche sind auf ihre Handys fixiert, einige stehen an der Bushaltestelle und rauchen eine. Um ihnen herum Kinder, mit viel zu schweren Schulranzen, die gähnen und keine Lust auf Schule haben. Ein junges Pärchen
die zaghaft Händchen halten und sie ihren Kopf an seiner Schulter liegen hat, während sie auf den Bus warten. Ben und ich schlendern gemütlich durch die Straßen, dem Geruch des Kaffes was uns entgegenkommt hinterher um für mich eine Tasse zu besorgen und eventuell für meinen klein Spatz ein Hörnchen, was ich ihm klein mache und auf seine neugierige Zunge lege, damit er sie essen kann. Ben mag dieses Zungenspiel nicht, am liebsten würde er es mir aus der Hand reißen und es selber essen, aber ich habe viel zu viel Angst, das er viel zu hastig isst oder grosse Brocken schluckt, also entweder so oder überhaupt nicht. Plötzlich hält ein Auto neben uns und hupt kurz, erschrocken schaue ich auf die Seite und sehe Damian vor mir. Was hat er so früh um die Uhrzeit hier verloren, überlege ich im stillen während er aussteigt und uns  begrüßt, Ben ist total überglücklich und macht deutlich das er hier der wichtigere Part ist um begrüßt zu werden. Sofort beugt sich Damian zu ihm runter und holt ihn raus, die Lippen werden gespitzt und Küsschen werden verteilt, sie scheinen sich vermisst zu haben.
„ihr solltet euch öfter sehen!" sag ich zu Damian, der übers ganze Gesicht strahlt weil er seinen Neffen glücklich macht. Damian schaut mich an und dann zu Ben „du bist wieder größer geworden! Das geht viel zu schnell" stellt er fest und streicht Ben über sein Kopf.

Tilla: was machst du um die Uhrzeit hier?

Damian: ich fahre jeden Morgen hier lang!

Tilla: ist das kein Umweg für dich, oder hast du einen neuen Job?

Damian: ich weiß, aber ich fahre lieber hier lang!

Tilla: warum Damian?.

Damian überlegt lange, zuckt mit seinen Schultern „keine Ahnung Tilla" sagt er eher zurückhaltend, dann drückt er Ben noch einmal an sich „ich muss los! Ich komm euch bald besuchen" sagt er und steigt in sein Auto ein, er lässt seine Autoscheibe hinunter „manchmal würde ich ihm gerne was erzählen oder hätte gerne seinen Rat, das vermisse ich wirklich" seine Stimme hört sich wirklich sehr bedrückt an „du kannst jederzeit zu mir kommen und vielleicht kann ich Dir auch mal helfen, auch wenn ich nicht dein Bruder bin!" mit einem Lächeln und nicken, winkt er uns noch einmal zu und fährt weiter. Ben und ich gehen zum Bäcker, ich hole mir ein Kaffe und er bekommt sein Hörnchen.

Zuhause angekommen ist Ben total müde und schläft sofort ein, was soll ich jetzt machen, putzen, das ist eigentlich das einzige was ich die letzte Zeit nur noch mache, das ist das einzige was mich ablenkt, aber die Wohnung ist einfach viel zu sauber, als das ich irgendwas zu tun hätte. Schlafen kann ich auch nicht, also mach ich mir einen Kaffee und setzte mich mit einem Buch auf die Terrasse. Ziemlich vertieft beim lesen bekomme ich einen Anruf, da ich mein Telefon in der Küche liegen habe, renne ich sofort los damit Ben nicht wach wird. Ich bekomme ein Anruf von Alex seinem alten Arbeitgeber, sie haben heute Abend ihr letztes Heimspiel und laden mich und Ben ein. Ich muss im ersten Moment schlucken und bin etwas überfordert, ich kann es ihnen nicht versprechen, aber ich würde es mir überlegen . Sie reservieren auf jeden Fall ein Platz für mich und Ben, ob ich komme oder nicht, es ist unser Platz was immer freibleiben wird. Ich lege wieder auf und starre auf den Hörer, als ob ich noch auf etwas warten würde, irgend eine Entscheidung die mir abgenommen wird. Plötzlich höre ich auf der Terrasse das meine Tasse auf den Boden fällt und ich gehe raus um nachzusehen. Da ist wieder unser Vogel, der uns immer wieder besucht und seit Ewigkeiten nicht mehr da war. „Hey Peanuts, wo warst du solange? Ben hat dich schon vermisst" unser kleiner Freund schaut mich irgendwie irritiert an, breitet immer wieder seine Flügel aus und dann bemerke ich das ihm Federn fehlen, ich versuche langsam zu ihn zu laufen, aber Peanuts fliegt einfach weg und kommt nicht zurück. Ich schaue im ganzen Garten nach und mein suchen ist vergeblich, ich muss plötzlich weinen, weil er Hilfe braucht und ich ihn erschreckt habe. Mir fällt ein das mein Vater viel über Vögel weiß und ich muss ihn unbedingt fragen was ich machen kann. Ich nehme mein Handy in die Hand und als auf der anderen Seite abgenommen wird, fang ich sofort an zu erzählen. „Peanuts war da, ihm fehlen Federn und ich glaube er war verletzt, dann wollte ich zu ihm um zu helfen, aber er ist weggeflogen und ich habe im Garten gesucht und ihn nicht gefunden" erzähle ich hastig und noch mit verweinter Stimme. Plötzlich höre ich „Tilla beruhig dich" das ist doch nicht Papas stimme, ich schau auf mein Handy und bemerke, das ich Roman angerufen habe und nicht Papa.  Ihn habe ich seit unserer letzten Nacht nicht mehr gesehen und wir haben nicht miteinander telefoniert, oft haben wir uns geschrieben aber mehr nicht, seine Stimme so unerwartet zu hören, lässt mich innerlich aufschütteln.

Tilla: oh Roman, es tut mir leid, ich wollte Papa anrufen und dich nicht stören. Ich muss mich verdrückt haben.

Roman: du störst nicht, wir haben gerade Pause bevor wir später zum letzten Training vor dem Pokalspiel fahren. Du hast also ein Vogel Problem!

Tilla: was soll ich jetzt machen?

Roman: du kannst da nichts machen! Vögel verlieren manchmal Federn und wenn sie Hilfe möchte, würde sie nicht wegfliegen, sie kennt euch doch und so ist die Natur.

Tilla: das beruhigt mich aber nicht!

Roman: geht es hier nur um den Vogel oder warum bist du so aufgewühlt?

Ich bin erschrocken über seine Frage und bekomme kein Wort heraus. Er hat recht, geht es hier im Peanuts oder um was anderes,? Um das Spiel heute Abend, wo ich das letzte mal vor Ben seiner Geburt war und ich hin könnte, aber diesmal ohne Alex? Basketball und die Giants stehen immer in Verbindung mit Alex  und diesmal ist er einfach nicht dabei und wieder wird mir bewusst, er ist nicht mehr da! „Tilla, hey Tilla" ruft er mich „ist was mit Ben, rede mit mir" ich Versuche mein Kloß im Hals loszuwerden „warum kennst du mich so gut?" frage ich ihn und ohne ihm die Möglichkeit zu geben, zu antworten, weil ich seine Antwort nicht wissen muss, erzähl ich ihm von dem Spiel, dass wir kommen sollen und meine Zweifel.

Roman: mach es, du musst schritt für schritt Abschied nehmen und das ist einer diese Schritte! Abschied nehmen heißt nicht vergessen! Es ist ein lösen von der Trauer, ein besseres verarbeiten!

Tilla: ich werde hingehen.

Roman: das ist schön und weißt du was, ich bin froh das du dich verdrückt hast.

Tilla: ich auch. So kann ich Dir persönlich für morgen viel Glück wünschen.

Roman: das kann ich gebrauchen. Wie geht es Ben?

Tilla: er schläft, wir waren heute morgen sehr früh spazieren und danach war er ziemlich müde.

Roman: ich habe ihn vermisst!

Tilla: er dich auch. Es gibt ihm ja sonst keiner heimlich Kekse.

Roman: ich sag dazu nichts!

Tilla: das habe ich mir schon gedacht.

Roman: ich muss los Tilla, vielleicht sehen wir uns bald mal.

Tilla: Bestimmt.

Ich lege auf und von weitem sehe ich Peanuts herumfliegen, als ob nichts wäre. Dann schau ich auf mein  Handy, Damian hat mir geschrieben „sie haben dich auch angerufen, wirst du hingehen?" fragt er mich „hol uns um sieben ab" antworte ich ihm, er fragt doch nicht einfach so, er kann da sicher nicht alleine hingehen. Ich werde hingehen und meinen ersten Schritt machen....

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