Kapitel 34

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Roman

Still beobachten wir Ben wie er schläft, dann löst sie sich von mir und geht aus dem Zimmer, ich schaue ihr hinterher bis sie sich umdreht „ich zieh mich schnell um, mir ist noch kalt" sagt sie und verschwindet aus der Tür. Ich schau noch einmal zu Ben, der mit seiner Hand an seiner Nase während er schläft reibt. Ich muss seufzen, sie möchte also reden und sich mir öffnen, ich hoffe das ich ihr helfen kann und der ganzen Sache gewachsen bin. Denn mit dem Thema Tod und Trauer musste ich mich noch nie wirklich auseinander setzten, außer bei meinen Opas, als kleiner Junge. Ich Streife durch mein Haar und dann leg ich meine Hand auf mein Herz, es rast plötzlich sehr schnell, ich spüre meine Aufregung auf meiner Hand schlagen, „das wird schon, sie braucht dich" versuche ich mich, in meinen Gedanken zu beruhigen und gehe leise aus dem Kinderzimmer. Tilla ist nirgends zu sehen, ihre Schlafzimmertür ist zu, also gehe ich ins Wohnzimmer, wo in der Ecke eine kleine Lampe an ist, ausreichend um uns zu sehen. Nach einigen Minuten kommt sie ins Wohnzimmer, an der Tür bleibt sie stehen und lehnt sich an dem Rahmen. Sie hat den gleichen Pullover an, wie an dem ersten Tag wo ich hier war, der viel zu große Pullover, wo ich damals schon gedacht habe, es muss Alex gehören. Sie schaut mich lange an, bis sie endlich zu mir auf die Couch kommt, Tilla setzt sich neben mich, ihre Beine winkelt sie auf der Couch an und umgreift sie mit ihren Armen. Für einige Sekunden legt sie ihr Kopf auf ihren Knie ab und dann hebt sie ihr Kopf, schaut mich ernst an „ich habe alles mitbekommen!" sagt sie leise, verdutzt ohne zu verstehen was sie meint, frage ich nach „was hast zu mitbekommen?" Tilla dreht ihr Gesicht von mir ab und starrt auf ihre Beine „wir hatten gerade miteinander telefoniert als es geschah! Er war plötzlich weg, ein Krach war zu hören und seine Stimme verstummte!" total schockiert über ihre Aussage, rücke ich ihr näher und halte ihre Hände „Tilla was erzählst du da? Da ist ja alles schrecklicher als ich es gedacht hätte!" ich drücke ihre Hände sie zuckt kurz zusammen, erst denke ich ich hätte zu feste gedrückt, aber eigentlich war es nur ein leichter druck und ich verstehe ihr zucken nicht. Sie schiebt ihre Hand von mir weg und greift sich durch die Haare und hält sich an ihren Locken fest, während sie ihre Ellenbogen auf ihren Knien abstützt. „Ich habe dann Ben bei Gisela gelassen und bin sofort zum Unfallort, er hatte mir gesagt wo er gerade ist, ich wusste es muss was schreckliches passiert sein, nur was und in was für einem Ausmaß war mir nicht bewusst! Als ich dort ankam war es voll mit Polizei, Krankenwagen, Feuerwehr, ich sah sein Auto in Trümmern, ich sah wie er wiederbelebt wurde" Tilla ihre Augen füllen sich mit Tränen und sie zittert bei jedem Wort. Ich leg meine Arme um sie und Streife über ihre Schulter. „Er wurde ins Krankenhaus gebracht und während der OP ist er einfach gestorben! Verstehst du, er hat uns einfach verlassen, es war ihm egal was aus Ben und mir wird, er hat nicht gekämpft!" Tilla weint und versucht ihre Tränen unter ihren Händen zu verstecken. Ich drehe mich zu ihr, so das ich sie umarmen kann, dann halte ich ihre Hände fest und sie schaut mich mit ihren Tränen gefüllten Augen an, „er hätte dich und Ben niemals freiwillig verlassen! Er hat bestimmt gekämpft, er liebte euch doch!" flüstere ich ihr zu „ich weiß" schnieft sie und versucht mich nicht anzuschauen. Ich halte ihr Kinn und heb es etwas hoch, so das sie mich anschauen muss. „Roman ich habe seinen leblosen Körper gesehen, ich habe mich von ihm verabschiedet! Ich glaube es war ein Fehler! Ich wollte ihn doch ein letztes Mal küssen und berühren. Aber als ich meine Lippen auf seine legte, spürte  ich seine kalten Lippen, das er mich nicht zurück küssen konnte, hat mich ziemlich mitgenommen, ich kann es nicht verarbeiten! Alles hat sich verändert dadurch, nicht nur das er weg ist und nicht mehr kommt, das Ben und ich alleine sind, mein Gefühl ist weg, das Gefühl normal zu sein, irgendwas positives zu spüren. Ich spüre nichts mehr" ich schaue sie an „du lebst den Schmerz des Verlustes, den Verlust deinen Freund zu verlieren, du bekommst es mit und siehst ihn in einer traumatischen Art und Weise. Es ist normal das du deine Zeit brauchst um wieder positives zu spüren, es gibt kein Knopf um sowas einzuschalten, gib dir Zeit, du hast ihn geliebt und sicher tust du es immer noch, das was du erlebt hast, ist einfach schrecklich und nich einfach!" sie schüttelt ihr Kopf als müsse sie mir was erklären, als hätte ich da was falsch verstanden
„Ben ist der einzige der sich anfühlt als würde er leben, feststehst du was ich meine. Seine Haut ist die einzige die sich lebendig für mich  anfühlt! Wenn ich andere anfasse oder berühre, fühle ich kein Leben mehr. Als ich Alex das letzte mal berührt habe, war es so fremd, kalt und ich habe Angst das ich dieses Gefühl in mir gespeichert habe, ich fühle nichts mehr wenn ich jemand anderes anfasse und das macht mir Angst!" Ich streichle über ihr Haar „Tilla solange du das lebendige in deinem Sohn siehst, ist es nicht weg! Es wird wieder kommen, setzt dich nicht unter Druck und solange helfe ich dir" versuche ich ihr zu erklären und sie blickt mich mit einer Leere in ihren Augen an, als könnte sie das nicht glauben. Dann sitzen wir eine Weile wortlos zusammen, in ihrem Kopf brodelt es, ihre Augen sind unruhig und sie beißt sich auf ein Finger. „Wir wollten im Mai heiraten unser Termin stand schon fest, eigentlich sollte ich mitten im Vorbereitungsstress stecken und jetzt sitze ich hier und glaube niemals heiraten zu können!" ihr Kopf arbeitet viel zu viel und sie denkt über viele Sachen nach, die nie erreichbar wirken, aber sie versteht nicht das ihr Leben nicht zu Ende ist und sie irgendwann lernen muss weiter zu machen und sich nicht abzuschreiben. „Natürlich wirst du irgendwann heiraten können, jetzt fühlt es sich vielleicht so an als wäre es unmöglich, aber du hast ein Leben vor Dir, was gelebt werden sollte und das mit soviel positivem wie möglich gefüllt werden kann" sie lächelt mich an, als würde sie gerne dran glauben, kann es aber nicht „wir wollten auch Ben an diesem Tag Taufen, werde ich aber nicht mehr" „es muss ja nicht an diesem Tag sein, du kannst es verschieben" sie schaut mich verständnislos an „er wird nicht mehr getauft! Für was? Diese ganze Religions Sache und Gott ist einfach lächerlich" jetzt bin ich total überrascht, seit wann denkt sie so, früher sagte sie immer, „wir Menschen müssen ziemlich arrogant sein, wenn wir glauben über uns gibt es nichts mächtigeres mehr" und jetzt diese Aussage, sie muss meine Verwirrung gemerkt haben „guck mich nich so an Roman, du und dein Gott!" „aber Tilla" kaum ausgesprochen, steht sie wütend auf und läuft im Wohnzimmer auf und ab „gäbe es einen Gott, hätte er uns nicht Alex weggenommen und Ben hätte seinem Vater bei sich. Ich wäre jetzt glücklich und würde mit ihm hier sitzen. Alex hätte Ben seinen ersten Zahn bemerkt und nicht wie ich, nach dem ich nicht verstanden habe, warum er quengelt und als es schon viel zu spät ist und erst dann,  wenn man es fühlen konnte. Alex hatte schon vieles im Gespür, er wusste Sachen bevor sie geschahen, er wusste wann man aufpassen musste und er wusste das er stirbt. Warum hat er alles geplant und für alles vorgesorgt? Alex war ein Gott und nicht dieses unsichtbare irgendwas, was alle anbeten, auch du Roman!" ich stehe auf um zu ihr zu gehen, sie redet soviel wirres Zeug, ich verstehe kein Wort mehr und plötzlich hören wir wie Ben kreischt, Tilla geht sofort zu ihm und ich stehe da, um erst einmal meine Gedanken zu ordnen, sie fühlt sich verloren und ich muss ihr unbedingt helfen sich zurück zu finden. Ich gehe aus dem Wohnzimmer und laufe in die Küche, wo ich Ben weinen höre, zwar nicht mehr so laut, eher in sich hineingezogen. Er ist auf Tillas Armen, die gerade versucht mit einer Hand was aus dem Küchenschrank zu holen um Ben ein Fläschchen zu machen. Als sie mich sieht, schaut sie mich an „es tut mir leid Roman, ich war unfair!" ich nehme ihr Ben ab und sag ihr dabei „du brauchst dich nicht entschuldigen, vielleicht würde ich genauso denken wie du. Tilla du, nein ihr zwei seid nicht alleine, ihr habt ganz viele Menschen um euch, die euch lieben und helfen möchten, ihr habt auch mich, der das gleiche fühlt und möchte, der einzige Unterschied ist, ich lass mich nicht so leicht abwimmeln wie die anderen!" Tilla lächelt, dreht sich um und widmet sich dem Fläschchen von Ben und ich mach das einzige was ich kann, ich Wippe Ben hin und her, damit er sich etwas beruhigt, was dann auch tatsächlich funktioniert.

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