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Immer wieder schrillte die Klingel. Mürrisch öffnete ich die Augen. Mir dröhnte der Schädel. Kaum richtete ich mich auf, sprang ich aus der Wanne, stürzte zur Toilette und erbrach mich. Verdammt... ich erinnerte mich kaum an den Abend... aber dass Nina weg war. Daran erinnerte ich mich... Ich sah auf mein Handy. Der Chat mit Nina war geöffnet. Ach du scheiße! Schnell löschte ich die Nachricht, die ich in meinem Suff zum Glück nicht abgeschickt hatte. DAS hätte den letzten Rest an Hoffnung zerstört.

Der Postbote, der mir einen Brief gebracht hatte, hatte wohl aufgehört zu klingeln. Wieso musste er auch bitte für einen verfluchten Brief klingeln? Nach einer großen Tasse Kaffee und zwei Aspirin fühlte ich mich schon wieder halbwegs menschlich. Der Brief war eine Vorladung für den Prozess am Montag in welchem ich meine Unschuld beweisen müsste. Noch vier Tage. Mein Handy klingelte und ich ging ran. „Reichau...", brummte ich. „Frau Reichau, ich habe eine Adresse." „Sie haben was?" „Ich habe Hannah Turner gefunden.", erklärte sie. „Wo?" „Sie lebt in München. Berliner Straße 94. Sie arbeitet in einem Café. Von 8 bis 18 Uhr. Freitag bis Sonntag übernimmt sie die Spät- und Nachtschicht von 18 bis 24 Uhr.", erklärte sie. „Gut! Vielen Danke! Wie viel schulde ich Ihnen?", wollte ich wissen. „Die Rechnung schicke ich Ihnen per Post. Es hält sich alles in Ihren Grenzen.", erklärte sie. „Gut.", hauchte ich und legte auf. Ich steckte mein Handy ein und schnaufte tief durch. Fuck, fuck, fuck, fuck! Ausgerechnet jetzt... ich musste Nina informieren.

Mein Puls war auf 180. Nicht, dass ich wütend war. Ich hatte Angst. Auch waren bereits einige Stunden vergangen als ich es wagte ihre Nummer zu wählen. Es klingelte und als ich mir sicher war, dass sie nicht mehr rangehen würde hörte ich sie. „Elena, ist etwas passiert?", kam es von ihr. Leises Schluchzen mischte sich in ihre Stimme doch verbarg sie es so gut wie möglich vor mir. „Nina... ich habe gerade von der Detektivin die Adresse von Hannah Turner bekommen. Ich werde sie wohl heute Abend zur Rede stellen. Das wollte ich dir sagen.", erklärte ich. „Nina? Wenn ER es ist leg sofort auf!", hörte ich eine fremde Stimme. „Es ist nicht Gregor, Mama.", kam es gedämpft von Nina. „Wenn es SIE ist kannst du genauso gut auflegen! Sie hat dich gar nicht verdient!" „Das ist meine Sache, Mama.", hörte ich Nina erneut. „Danke, dass du mir Bescheid gibst.", kam es ungedämpft von Nina. „Keine Geheimnisse. Das habe ich dir versprochen. Ich werde es alles aufnehmen und direkt schicken, wenn ich fertig bin.", versprach ich. „Okay... Aber Elena... du weißt, dass ich... dass ich... also es ist schwierig. Du weißt, dass ich nicht nur gegangen bin, weil du gelogen hast." „Ich habe nicht gelo..." „Doch! Wenn nicht bei Hannah, dann bei anderen Sachen. Du hast mir Sachen verschwiegen... aber das könnte ich dir verzeihen. Du hast die Kinder in Gefahr gebracht... vielleicht hätte ich auch darüber hinweg sehen können. Aber du bist so ausgerastet... Und das alles zusammen das... das war einfach zu viel für mich. „Ich weiß... ich verstehe dich schon. Trotzdem... Nina, ich liebe dich. Und ich will, dass wir wieder zusammen leben und die Kinder. Aber ich verstehe, dass du Abstand zu mir brauchst.", hauchte ich. Schweigen. „Wie geht es den Kindern?" „Gut. Und dir?" „Puh... nicht gut. Aber ich komm zurecht." „Weiß ich doch. Kommst du doch immer.", hauchte sie. Schweigen. „Gut dann... dann halt ich dich auf dem Laufenden... Ich schicke dir dann das Video.", erklärte ich. „Gut. Danke. Bis... Bis irgendwann.", hörte ich und Nina legte auf. Ich schluckte schwer und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. Scheiße.

Es dauerte Ewigkeiten bis ich mich durch die Großstadt gekämpft hatte und bis ich überhaupt da war. Es war bereits 17:30 Uhr und Hannah müsste bald Schichtende haben. Das Café fand ich schnell. So blieb ich im Auto sitzen und wartete, dass sie fertig war. Ich steckte mein Handy in die Jackentasche so, dass die Kamera herausspickte und alles aufgenommen werden konnte. Es fiel allerdings nicht auf da mein Handy wie meine Jacke schwarz war. So lauerte ich. Hannah würde mich mit Sicherheit erkennen. Aber ich war sehr gespannt. Wieso tat sie mir das auch an? Ich hatte ihr nie was getan! NIE! Ich wüsste keinen Grund dass sie mir das antat. Vor allem da sie genau wusste, wie wichtig mir Nina war. Dass Nina alles für mich war. Und dass ich den Knast nur dank ihr überlebt hatte. Und ich kannte Hannah auch gar nicht so gewissenlos. Eigentlich hatte sie immer versucht ihr Leben in den Griff zu kriegen. Sie hatte Fehler gemacht. Viele Fehler. Das hatte sie mir selbst gesagt! Drogen verkaufen zum Beispiel. Drogen und ihr damaliger Freund, das waren ihre schlimmsten Fehler hatte sie gesagt. Dass sie mir sowas antat... das konnte ich nicht glauben.

Sechs Jahre die ich nie zurückbekommeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt