•Kapitel 63•

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Aufgebracht stürmte ich aus dem Hotel heraus und ging ein paar Schritte an dessen Seite entlang, auf und ab, versucht mich zu beruhigen.

Aber ich konnte mich nicht beruhigen! Diese Menschen da drin nahmen nichts ernst! Sie sahen es gelassen, wenn man eine allein erziehende Mutter auf ihren verstorbenen Mann ansprach und sich über ihr jetziges Leben lustig machte! Sie gackerten darüber was für ein Leben ich ohne sie führte, obwohl es so viel besser war!

Ich war glücklich gewesen! Ohne sie. Ganz einfach mit meiner neuen Familie. Mit meinem Freund.

Kookie...ich musste ihn wiedersehen, ich hatte solche Sehnsucht nach ihm.

Gott, ich war so whipped.

Ich fuhr mir einmal über mein Gesicht, als sich mir ein Paar Füße näherten und neben mir stehen blieben. Mein Blick flog zu meinem Bruder, der auf die Straße sah und schwer seufzte.

Und dann geschah das Unfassbare!

Er zog sich eine Zigarette aus seiner Jackentasche! Er steckte sie sich in den Mund und zündete sie an, bevor er genüsslich daran zog.

Deswegen hatte Tiana die Nase gerümpft. Er stank nach Rauch. Jetzt konnte ich es auch riechen.

Aber ich verstand es nicht...er hatte es immer gehasst. Nicht nur durch die Erziehung unserer Eltern, das wusste ich, er konnte es nie leiden. Und er gehorchte auch immer sofort. Lee war der totale vorzeige Muttersohn!

Was war denn nur passiert?

Ungläubig sah ich meinen Bruder eine ganze Weile lang von der Seite her an, bis er seinen Kopf zu mir drehte und auf mich hinunter schaute. Er lächelte mich leicht an, amüsiert über mein Gesicht.

„Du...du rauchst?"

Ein kleines Lachen kam über seine Lippen, bevor er sich darüber leckte und kurz nach unten blickte. „Du hast wirklich viel verpasst, kleiner Bruder."

„Ist ja nicht meine Schuld, oder?", meinte ich genervt und schnaubte.

„Naja eigentlich schon." Gelassen zuckte er mit den Schultern. Als ich protestieren wollte, sah er mir wieder in die Augen. „Ich meine: was vertraust du es auch dem Großmaul an?"

Ich blieb still. Statt etwas zu sagen, musterte ich ihn ein paar Sekunden lang. Meinte er das ernst? Verarschte er Tiana?

Lee zog ein übertriebenes Gesicht, kopiert von meinem. Ich beugte mich ein wenig zurück und zog eine Augenbraue nach oben. Ja...er meinte es ernst.

Und dann lachten wir leicht. Es war bei ihm eher wie ein Grunzen, aber das war egal. Wir stimmten zu, dass Tiana einfach immer alles zerstört hatte.

„Da hast du tatsächlich mal recht behalten.", sagte ich, mein Blick auf den Boden geheftet, seinen konnte ich auf mir spüren.

„Hatte ich doch vorhin schon mit deinem Sprachtalent. Und was war das all die anderen Jahre, hm?" Neckend stieß er mir leicht in die Seite und zog nochmal an seinem Todesstängel.

Ich sah ihn wieder an, seufzte. „Was wird das hier eigentlich?"

„Was meinst du?" Sein Blick galt der Straße, um möglichst cool und gelassen zu wirken.

„Warum spielst du dich gerade als der große Bruder auf?" Ich klang verbittert und verdammt das wollte ich nicht, aber dagegen etwas tun war schwer. „Du hast dich all die Jahre nicht gemeldet oder für mich eingesetzt. Und du weißt ganz genau, dass ich nichts tun werde was diese Leute da drin mir auftragen. Also warum?"

Einen Moment schwieg mein Bruder, ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen. Dann seufzte er und versteckte es hinter einem kleinen Lächeln. „Mein Gott, du klingst so dramatisch."

Okay, das reichte mir.

Mit ausdruckslosem Gesichtszügen sah ich ihn an und schüttelte dann den Kopf. „Ich geh nach Hause.", murmelte ich.

Ich wendete mich zum Gehen, doch Lee hielt mich auf. „Nein! Herrje Taehyung, bleib hier, das war doch nur-"

„Was?!", blaffte ich ihn an. „Spaß? Hm? Ich bin die letzten Tage mehr als nur angepisst und euch fällt nichts besseres ein, als darauf herumzuhacken!"

„Das..." Er schloss kurz die Augen, seine freie Hand immer noch an meinem Arm. Als er seine Zigarette austrat, räusperte er sich und wagte es kaum mir in die Augen zu blicken. „Das tut mir leid. Wollen wir vielleicht woanders hin?"

„Bitte?" Genervt riss ich mich von ihm los.

„Lass uns einfach mal ein Stück laufen. Erzähl mir etwas über dich. Ob du's glaubst oder nicht, ich hab meinen kleinen Bruder vermisst und würde gerne etwas über ihn hören."

Und dieses Mal lächelte er mich direkt an. Es war ehrlich, sogar ein wenig warm. Ob er mich rumkriegen würde, sollte sich noch zeigen, aber bis dahin nickte ich auf seinen Vorschlag hin.

~•~•~•~•~•~

„Was suchen wir hier?"

„Was meinst du?", fragte mich Lee, als er auf den Basketballplatz im Park zusteuerte. Er zuckte mit den Schultern. „Uns sportlichen Aktivitäten widmen. Ich mag Basketball."

„Du redest fast wie Yoongi. Er liebt diesen Sport und spricht manchmal fast über nichts anderes. Außer über seinen Freund."

Dass ich damit indirekt erwähnt habe, Yoongi-Hyung hat eine feste Beziehung, aber keine Freundin, war mir sehr wohl bewusst.

„Yoongi? Der Grimmige?", fragte mein Bruder einfach, woraufhin ich nickte. Lee zögerte seine Jacke aus und legte sie auf eine Bank, während er mich ansah. „Er steht auf Jungs?"

„Er ist mit Jimin zusammen.", meinte ich, mein Blick auf den Platz gerichtet, bevor ich mich „erschrocken" zu ihm drehte. „Oh, ich vergaß. Du hast ja ein Problem damit."

Lee zog eine Schnute und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. „Nein, eigentlich nicht."

„Ach dann hast du damals nicht dabei zugesehen, wie ich rausgeworfen wurde?", fragte ich leicht beleidigt.

Der Ältere grinste mich an, vermutlich fand er mein Verhalten sehr amüsant. Ich seines dagegen aber gar nicht.

„Ich würde jetzt auf jeden Fall nichts mehr dagegen sagen.", meinte er gelassen.

Schnaubend wendete ich mich ab. „Ja, klar. Bist du selber auf die andere Seite gewechselt, oder was?"

„Ja."

„Was?!" Erschrocken wirbelte ich herum und sofort brach er in Lachen aus.

Lee klopfte mir auf die Schulter, hatte immer noch damit zu kämpfen Luft zu bekommen. „Du...haha du müsstest mal dein Gesicht sehen!"

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und musterte ihn streng. „Du hast mich veraschen wollen?"

„Hat doch geklappt, oder?", lachte er weiterhin munter.

„Mistkerl. Ich gehe."

„Mann, Tae!" Glucksend hielt er mich auf und schüttelte den Kopf. „Hey, das war nur Spaß, ich wollte deine Reaktion sehen. Tut mir leid."

Genervt verdrehte ich die Augen. „Schon gut. Aber mach dich nicht über mich lustig, nur weil ich auch Jungs mag."

„Wieso sollte ich?", fragte er und war mit einem Mal sehr ernst. Als ich nichts erwiderte, sah er wieder zum Platz und lächelte mich dann leicht an. „Wollen wir jetzt eine Runde spielen?"

„Hast du denn einen Ball dabei?"

„Mit Freundlichkeit kommt man sehr weit, das weißt du doch am besten, oder?", meinte Lee noch, bevor er zu einer Gruppe verschwand.

Ich blieb jedoch erstaunt stehen und fragte mich warum mein Bruder mit einem Mal so freundlich war. Hatte er das gleiche unbekannte Ziel wie die andern drei?

Stigma [TAEKOOK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt