Kapitel 32

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Mein Geliebter hatte seinen Kopf auf meine Brust gebettet, atmete ruhig, entspannt und zufrieden.
Mich durchströmten warme Gefühle der Zärtlichkeit zu ihm. Sanft streichelte ich über seine schönen, vollen Haare.
Ich genoss die Zweisamkeit und lächelte glücklich vor mich hin mit geschlossenen Augen.
Im Geiste spielte ich unsere gemeinsame Zeit durch und konnte immer noch nicht glauben, zu welchen Gefühlen ich fähig war.
Ich hatte oft beobachtet, wie sich Mädchen verliebten. Zugehört wie sie von ihren Freunden schwärmten und hatte es nicht verstanden.
Den Liebeskummer nach nur wenigen Wochen hatte ich auch nicht verstanden.
Sie verliebten und entliebten sich jeden Monat auf's Neue. Suchten etwas, ohne zu wissen, was sie wollten.
Ich hatte nicht gesucht, ich mochte Jungs nicht und insgeheim hatte ich immer gedacht, dass bei mir etwas nicht stimmt.
Dass ich keine Liebe geben könnte, nicht fähig war einen Menschen so zu lieben, wie er es verdiente.
Ich hatte mich geirrt.
Wenn man so eine Liebe fühlte, dann gab man ein grosses Stück seiner Selbst weg. Man gab sehr viel von sich auf, ohne Gewissheit, dass man etwas zurück erhält.
Ich hatte nie an die Liebe geglaubt, hatte die schwülstigen Romane nicht verstanden. Eigentlich hatte ich immer gedacht, die Liebe gäbe es nur in kitschigen Filmen und Büchern.
Nie hätte ich gedacht, dass ausgerechnet ich, so tief lieben könnte.
Eigentlich lieben nur kleine Kinder bedingungslos, sie stellen an ihre Liebe keine Bedingungen, weil ihr Herz rein und frei ist. Sie sind unverdorben und erwarten nichts für ihre Liebe. Sie schenken sie ihren Eltern oder ihren Geschwistern freiwillig, es ist selbstverständlich für sie.
Ihnen ist egal, wie ihre Mutter aussieht. Ihnen ist egal ob sie dick, dünn, hübsch oder geschminkt ist.
Wenn so ein kleines Kind die Hand seiner Mutter nahm, dann strahlten seine Augen und es schenkte sein ganzes Vertrauen in diese eine Geste. Wehmütig hatte ich oft solche Szenen beobachtet. Hatte gesehen wie Kinder auf ihre Eltern zurannten, sich an sie drückten, ihnen die Hand reichten und glücklich mitgingen.
So etwas hatte ich nicht gehabt. Vertrauen war lange ein Fremdwort für mich gewesen und mein Zuhause bei meiner Mutter, hatte nur aus Angst und Gewalt bestanden.
Ich hatte mich absichtlich von den Menschen ferngehalten. Die Scham, die Angst und die Vetrauensprobleme hatten zu tief gesessen. Auch jetzt, vetraute ich genau nur zwei Menschen.
Ich vertraute Sergej und ich vertraute Lazar bedingungslos.
Eigentlich sollte das lächerlich sein, es sollte gestört und verboten sein.
Ich vetraute und liebte einem Mann, der ein Krimineller ist. Einem Mann der problemlos töten kann, einem Mann der ein furchtbares Erbe antreten muss, einem Mann der mehr Leid erfahren hatte als ich mir vorstellen kann.
Wenn man diesem Mann zum ersten Mal begegnete, sah man nur das Gefährliche, das Angsteinflössende. Man sah seine Tätowierungen, seine Narben, seine Kälte liess einen gefrieren.
So sollte es eigentlich sein, bei einer normalen Frau sollte es so sein.
Doch ich war anscheinend nicht normal.
Nichts davon hatte mich abgeschreckt, seine Narben fand ich schön, seine Kälte hatte mich angezogen wie eine Motte das Licht.
Eine normale Frau findet Sergej erregend, steigt mit ihm ins Bett oder versucht ihn für Materielles auszunutzen.
Er hatte mit sehr vielen Frauen geschlafen aber er liess sich nicht ausnutzen.
Viele hatten das versucht, so wie es Tamara versucht hatte, und waren gescheitert.
Er durchschaute sie, er sah was sie wollten, er studierte ihr Verhalten und liess sich nicht für Dumm verkaufen.
Er hielt seine Fassade aufrecht und zeigte niemandem sein wahres Ich.
Seine Fassade war leider auch sein Leben.
Brutalität, Gewalt, Kriminalität.
War es nur eine Fassade?
Manchmal konnte ich das nicht auseinander halten.
Daraus bestand sein Leben, damit hatte er sich schon lange abgefunden.
Zu viele Leben hingen von ihm ab, zu viel Verantwortung lastete auf seinen Schultern.
Er schütze seinen Cousin so gut er konnte, wollte ihm ermöglichen sein Kind normal aufwachsen zu sehen.
Mein Sergej liebte, er konnte lieben, er hatte ein grosses Herz und verschloss es. In seiner Welt durfte er dieses Herz nicht zeigen, denn diese Welt hatte ihre eigenen Regeln.
Das Gesetz des Stärkeren, Verrat wurde nicht geduldet und bestraft wurde ohne mit der Wimper zu zucken.
So war das und das war mir bewusst und doch lag ich hier, streichelte seine Haare, fühlte eine überwältigende Zärtlichkeit zu ihm, zu diesem sehr komplizierten Mann.
Ein Mann der getötet hatte, ein Mann der sehr gefährlich war und trotzdem lag sein Kopf auf meiner Brust. Sein Arm schwer über meinem Bauch, seine Atemzüge ruhig, während er meine Liebkosungen genoss, die Zärtlichkeit brauchte und die Liebe zum ersten Mal zuliess.
Viele würden sagen, er hätte zwei Persönlichkeiten aber hatten wir die nicht alle?
Oder Viele?
Ich hielt schon lange meine Gefühle und meine Gedanken hinter meinem Lächeln versteckt.
Egal wie schlecht es mir ging, egal wie oft mich Worte verletzten oder die Alpträume heimsuchten; ich lächelte und schwieg.
War man da automatisch gestört oder ein Psychopath? Ein Lügner?
Jeder schützt sich doch auf eine Art und Weise, nur hatte sich das bei mir geändert.
Ich wollte nur ihn, und natürlich Lazar, schützen und somit auch mich. Wenn ihm etwas geschehen würde, dann könnte ich nicht mehr leben.
So einfach war das. Ohne ihn, hatte mein Leben keinen Sinn. Jedenfalls dachte ich das.
Wahrscheinlich würden das Viele belächeln, es als ein Drama einer 17 Jährigen abtun.
Doch ich war nie ein normaler Teenager gewesen, ich war nie ein normales Kind gewesen, ich war nie normal gewesen.
Vielleicht zog uns das ja so zueinander? Wir durften nie ein normales Leben führen...
Auf eine verwirrende Art und Weise waren wir uns sehr ähnlich.


My Destiny Mein Schicksal  (Teil 1, Teil 2 heisst HOFFNUNG, HOPE, NADA)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt