Kapitel 22

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Ziemlich spät am Nachmittag musste ich mit der Polizei reden. Sie waren sehr freundlich zu mir, hörten angestrengt zu und liessen mir Zeit. Das Sprechen tat mir weh und ich musste immer wieder unterbrechen um etwas zu trinken. Selbst mir ging das auf die Nerven und ich rechnete der Polizei ihre Geduld hoch an. Sie taten ihren Arbeit ausgezeichnet.
Es wurde eine offizielle Anzeige gemacht und es gab Augenzeugen. Erika hatte etwa die Hälfte von dem Vorfall gesehen, bevor sie den Krankenwagen und die Polizei verständigt hatte.
Ich war ihr so dankbar!
Die Polizisten erklärten mir den weiteren Verlauf, wünschten mir gute Besserung und gingen. Danach kam wieder der nette Arzt und sah sich meine Kopfwunde.
"Sie machen das gut Nina. Wie geht's der Rippe und dem Hals?" seine kühle Stimme war sehr angenehm.
"Es tut weh. Das Sprechen ist schlimm" antwortete ich ehrlich.
"Hmm, das wird noch einige Tage so sein aber sie sind jung und werden schnell wieder auf die Beine kommen.
Die Rippe braucht 4 bis 6 Wochen bis sie heilt und die Fäden werden wir in acht Tagen ziehen."
Das dachte ich mir schon.
"Ihr Gesicht ist zwar sehr bunt aber es ist nichts gebrochen, in spätestens zwei Wochen sind die Hämatome weg" fuhr er weiter.
"Wie ich sehe nehmen sie die Pille?"
"Ja" antwortete ich leise.
"Nehmen sie sie weiter, sie hat keinen Einfluss auf die Heilung. Jedoch verbiete ich ihnen für die nächsten vier Wochen den Geschlechtsverkehr! Die Rippe wird gut heilen, wenn sie sich schonen. Wenn nicht, dann kann sie abbrechen und in ihre Lunge dringen. Also müssen sie sich schonen und jede körperliche Anstrengung umgehen.
Für die nächsten 6 Wochen werden sie krank geschrieben, ihr Lehrbetrieb ist schon informiert. So, das wäre es für's Erste." Beendete er und lächelte mich höflich an bevor er verschwand.
6 Wochen? Phuu ich musste es meinem Vater erzählen. Was zum Teufel sollte ich nur sagen?
Genervt beobachtete ich Lazar, der nachdenklich aus dem Fester sah.
"Nina, brauchst du etwas?"
Sergej.
"Nichts. Ihr seid ja da" flüsterte ich.
"Uns wirst du nicht los mein Herz, aber ich dachte eher an was Essbares oder Cola? Erdbeeren?" fragte er weiter.
Was ich wollte war dumm aber ich musste.
"Kannst du einen Rollstuhl holen und mit mir raus gehen?"
Er runzelte die Stirn, doch er nickte nur. Lazar machte sich wortlos auf den Weg und Sergej sah mich mit misstrauischen Augen an. Ich erhob mich ächzend und fluchte innerlich.
Sergej sprang an meine Seite und hob mich vorsichtg aus dem Bett.
"Meine Jacke" flüsterte ich, mir war schwindlig aber ich sah nicht mehr doppelt.
Sergej zog mir meine Jacke an, Lazar kam mit dem Rollstuhl und ich setzte mich vorsichtig hinein.
Sergej fuhr mich nach Draussen und ich atmete auf. Einige sahen mich komisch an, aber das lag auch an den beiden Männern neben mir. Wir sahen schon schräg aus!
Ich kramte in meiner Jackentasche nach meinen Zigaretten.
Als Sergej begriff was ich tat, verdrehte er die Augen, holte sie heraus und zündete mir eine an.
Das tat gut!
Mein Hals brannte zwar höllisch aber ich hielt es nicht mehr ohne Nikotin aus.
Ich schmunzelte über Lazar und Sergej, die sich wie Berge neben mir aufgebaut hatten.
"Sergej" flüsterte ich.
Flüstern war angenehm, tat nicht weh.
"Was brauchst du mein Herz" kam die prompte Frage.
"Ich muss meinen Vater anrufen und es ihm erzählen" sagte ich ihm.
Er lächelte nur weich und verständnisvoll.
"Das habe ich schon getan mein Herz."
"Was? Wann?"
"Gestern Abend. Er wird morgen hier sein."
"Was weiss er über dich?" flüsterte ich.
Was er wohl gesagt hatte?
"Die Wahrheit, naja einen Teil.
Ich sagte, dass ich dein Freund bin und wir seit ein paar Wochen zusammen sind. Ich erklärte ihm was dieses Arschloch getan hat und ich sagte ihm auch, dass ich 12 Jahre älter bin als du."
Wow!
"Was hat er gesagt?"
"Er schrie herum wegen diesem Arsch, dankte mir und versicherte mir, dass er so schnell wie möglich käme. Und er sagte: Pass auf mein Mädchen auf, sonst landest du unter der Erde!"
Ich musste kichern, mein Papa war schon süss.
"Dann ist ja gut, eine Sorge weniger."
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
"Verzeih mir mein Herz" flüsterte Sergej und ich blinzelte verwirrt.
"Was verzeihen?"
"Wenn ich nicht später gekommen wäre, wenn ich nicht so sauer gewesen wäre..."
"Dann wäre es an einem anderen Tag passiert. Du kannst nichts dafür Sergej, das war Ahmed, nicht du" flüsterte ich eindringlich. Lazar stellte sich anders hin, verdeckte die Sicht auf uns und gewährte uns so etwas Privatsphäre.
Mein Lazar, mein wunderbarer Lazar.
"Ich hatte noch nie so Angst Nina. Noch nie in meinem Leben! Nicht im Krieg, nicht als ich mir die Kugeln einfing, nicht als man mich gefangen hielt. Nie hatte ich solche Angst! Wäre Lazar nicht gewesen, dann wäre das halbe Krankenhaus zerstört und Ahmed schon tot" sagte er ganz leise.
Mich fröstelte der Gedanke.
"Ich bin hier dušo moja. Ich werde gesund und jetzt musst du dich wohl die nächsten paar Wochen um mich kümmern. Tut mir leid" flüsterte ich entschuldigend. Ich wollte ihm keine Last sein.
"Das, mein Herz, mache ich mit dem grössten Vergnügen!" versprach er feierlich.
Ich musste lächeln.
Während ich ihn ansah, fiel mir etwas ein.
"Sergej, wie kommt es, dass ich ein Einzelzimmer habe?" fragte ich leise und misstrauisch.
Er hob nur die Augenbraue und sagte nichts. Dachte ich es mir doch! Ich seuftze und blickte ihn an. Er hatte es bezahlt.
"Danke mein Held" flüsterte ich nur. Er wirkte verblüfft über meine Reaktion, doch ich war einfach nur dankbar! Dankbar am Leben zu sein, dankbar ihn hier zu haben und dankbar für seine Liebe.
"Kleines, wir sollten wieder rein. Du brauchst Ruhe" mischte sich Lazar ein.
Er sah Sergej sehr streng an, sein Blick duldete keine Widerrede.
Sergej rollte mich in mein Zimmer, hob mich sachte auf seine Arme und legte mich ins Bett.
"Sergej, fragst du bitte kurz, ob sie meine Uhr irgendwo haben?" flüsterte ich und hoffte, er würde es gleich tun.
Zu meinem Glück nickte er und eilte raus.
"Du trägst nie eine Uhr Kleines" flüsterte Lazar und fixierte mich mit seinem Blick.
"Ich wollte nur kurz mit dir alleine reden" flüsterte ich schnell "du darfst dich nicht schuldig fühlen Lazo, bitte. Ich sehe es dir an. Du bist nicht schuld an dem, du konntest es nicht verhindern."Ich schluckte schmerzhaft uns verzog das Gesicht.
Lazar seufzte und setzte sich neben mich.
Er streichelte behutsam meine Wange und lächelte traurig.
"Ich hätte es verhindern müssen. Ich hätte dich abholen sollen, dann wäre es gar nicht passiert. Sergej wollte dich aber unbedingt abholen und ich dachte, es würde dich freuen. Es tut mir so leid Nina" sagte er leise.
"Du schöner Mann trägst daran kein Schuld. Du bist immer für mich da und dafür danke ich dir. Ohne dich Lazo wäre ich doch verloren. Du bist das Beste..." ich konnte meinen Satz nicht beenden, denn Sergej kam krachend ins Zimmer.
"Diese Arschlöcher haben deine Uhr nicht" knurrte er genervt.
"Vielleicht hatte ich sie gar nicht bei mir. Mein Kopf ist etwas durcheinander" flüsterte ich und schämte mich etwas für meine Lüge.
Sergej nickte lächelnd und zuckte mit den Schultern. Lazar gab mir einen Kuss auf die Schläfe und verabschiedete sich, er wollte Miloš Bescheid geben.
Das war nicht ganz die Wahrheit, das spürte ich. Er musste mit seinen Schuldgefühlen klar kommen. Ich wünschte, ich könnte sie ihm abnehmen. Er konnte doch nichts dafür.
Sergej setzte sich auf den Sessel und beobachtete mich prüfend.
"Leg dich zu mir dušo moja" bat ich ihn.
Er zögerte, sah sich das schmale Bett an.
"Ich will dir nicht weh tun" er wirkte fast schon ängstlich.
"Das wirst du nicht, hab keine Angst. Du bist doch meine Medizin" witzelte ich schwach.
Er lächelte zärtlich, legte sich behutsam in das Bett und ich lag fast komplett auf ihm. Wohlig seufzend, kuschelte ich mich an seine Wärme.
"Es tut mir leid Sergej. Ich sehe scheusslich aus! Tut mir leid wegen unserem Streit und dass ich mich nicht wehren konnte" flüsterte ich wieder und meine Tränen tropften auf sein schönes schwarzes Hemd.
"Du siehst nicht scheusslich aus, du bist meine Nina, mein Leben. Sag nie wieder so etwas und entschuldige dich nicht für einen Streit, den ich angefangen habe. Du hast nichts falsch gemacht und dieses Arschloch war deutlich stärker als du, du hättest dich nicht verteidigen können. Ich hätte dich beschützen sollen aber ich war zu spät da!" knurrte er wütend.
"Nein mein Held, du hast mich gerettet und Ahmed in hohem Bogen geworfen! Wie hast du das gemacht? Das hast du doch gemacht oder?" ich war etwas verwirrt von den Medikamenten und mein Schädel pochte.
"Ja, leider konnte ich ihm nicht mehr antun!" knurrte er leiser.
"Du bist mein Held. Du musst mir mal zeigen wie man das macht" nuschelte ich an seine Brust und driftete wieder ab. Umhüllt in seinen Duft schlief ich ein.
Mitten in der Nacht spürte ich aber Lazar neben mir, spürte wie er mein Gesicht streichelte und mich umarmte. Wahrscheinlich hatte er Sergej dazu verdonnert, sich irgendwo hinzulegen. Ich blinzelte ein paar Mao und sah das schwache Licht das Badezimmers. Allerdings war das gar nicht nötig wenn er da war, seine Nähe vermittelte mir eine unglaubliche Sicherheit.
"Lazo wieso schläfst du nicht?" flüsterte ich an seinen Hals und liebte in diesem Moment seinen herrlichen Geruch.
"Damit du ruhig schlafen kannst und dir nichts geschieht. Sergej hatte etwas Dringendes zu erledigen und wird später kommen. Schlaf Kleines, du musst gesund werden und brauchst Schlaf" flüsterte er so lieb, dass mir die Tränen kamen.
"Wenn du da bist muss ich ja fast gesund werden Lazo, etwas anderes würdest du gar nicht zulassen." Das war die reine Wahrheit,  so war er einfach.
"Ich gebe mir die grösste Mühe, versprochen. Versprich du mir, dass du gesund wirst, bitte. Ich brauche dieses Versprechen Kleines denn ich bin tausend Tode gestorben. Ich schwöre ich habe graue Haare bekommen vor lauter Sorge" witzelte er leicht aber ich hörte ihm die Sorge an.
"Es tut mir leid, du sollst dir doch keine Sorgen machen. Ich kenne mich mit Gehirnerschütterungen und gebrochenen Knochen aus, das wird schon wieder Lazo, versprochen" flüsterte ich und schmiegte mich automatisch noch mehr an ihn. Seine Wärme war so schön, er hielt mich fest ohne mir weh zu tun und er stützte gleichzeitig meine Seite mit seinem Arm. So konnte ich viel ruhiger atmen.
"Ich weiss Nina, leider kennst du dich damit aus. Soll ich abrücken? Hast du genug Platz?" fragte er besorgt.
"Bleib bitte genau so, es ist so schön" murmelte ich schläfrig und schloss wieder die Augen. Es war mir egal wie er das auffassen würde, seine Nähe beruhigte mich.
"Ich gehe nirgendwo hin meine Kleine" war das letzte was ich vor dem Einschlafen hörte.






My Destiny Mein Schicksal  (Teil 1, Teil 2 heisst HOFFNUNG, HOPE, NADA)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt