Vergebung (Mormor)

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Er sehnte sich nach Vergebung. Ironisch, nicht? Er hatte hunderte getötet. Beinahe jeden Tag wurde ein Mensch auf sein Geheiß umgebracht. Und dennoch schmerzte es ihn nach Vergebung. Nicht nach der Vergebung, die wir Menschen ihm hätten bieten können. Er träumte von höherer Vergebung. Jener Vergebung, die uns durchströmt, die uns birgt und uns bewusst macht, dass wir unendlich geliebt werden. Nicht von den Menschen, denn ihre Liebe ist nichts wert.

Er sehnte sich nach Vergebung, doch er hoffte nicht auf sie. Vergebung aller Sünden war ein Märchen. Gesponnen vom fehlbaren Menschen.

James wusste es. Wir alle wissen es und doch klammern wir uns an den Strohhalm der Hoffnung, dass uns am Ende alle Sünden vergeben werden. Dass es ein besseres Danach gibt. Ein Danach frei von Schuld und Sühne. Es ist eine Illusion zu glauben, Gott wäre barmherzig. Es ist dumm anzunehmen, sie biete Vergebung und Gnade.

James weiß es und trotzdem sehnte er sich nach Vergebung. Er verzerrte sich nach ihr, seit dem Moment da Carl Powers ertrunken war.
Das Schwimmbad war dreckig und alt gewesen. Durch gesprungene Scheiben war goldenes Herbstlicht gefallen und der Geruch nach Chlor und Schimmel hatte in der Luft gehangen und sich in ihren Lungen festgesetzt. James hatte am Rand des Beckens gestanden, während Carl um sein Leben kämpfte. Wasser war umhergespritzt, war auf ihn hinab geregnet, während Carl hinab sang in die Tiefe. Niemand tat etwas. Sie alle standen da und starrten auf das ertrinkende Kind.

Als man Carl aus dem Wasser holte, bat James um Vergebung. Er flehte Gott an, dass sie ihm verzeihen möge. Er weinte und schrie und schlug um sich. Gott antwortete nicht und James brachte einen weiteren Menschen um.

Mit zwanzig Jahren trat er aus der Kirche aus. Wie oft hatte er in auf den harten Holzbänken gesessen und zu Gott gebetet. Wie oft hatte er die Toten in seine Fürbitte aufgenommen. Immer und immer wieder hatte er die Stellen in der Bibel gelesen, die Vergebung versprachen.

Mit zwanzig hatte er seinen Fehler erkannt. Wir alle lagen falsch, wenn wir vom gütigen Gott sprachen. Gott ist nicht gütig, sie ist nicht barmherzig und vorallem ist sie nicht am Heil unserer Welt interessiert. Gott ist nur mächtig und in ihrer Macht ist sie grausam. Sie ist grausam, weil sie uns hoffen lässt, auch wenn längst alle Hoffnungen verloren sind.

James lebte die Sünde. Andere flüsterten er sei vom Teufel besessen, doch James wusste es besser. Es gab keinen Teufel. Es gab auch keinen Gott, der sich für Menschen interessierte. Es gab nur den Tod, der sie alle holte.

James sehnte sich nach Vergebung. Er sehnte sich nach der unendlichen Liebe Gottes. Er wusste, dass Gottes Liebe anders war als die Liebe der Menschen. Menschen liebten, weil sie sterben mussten. Die Angst vor dem Tod ist es, was unsere Liebe ausmacht. Gott war ewiglich und ihre Liebe lag außerhalb all unserer Vorstellungskraft. Vielleicht war dies unser erster Fehler. Anzunehmen Gott würde lieben, wie wir es tun.

James zog durch London und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Er fraß sich in die Stadt wie ein Virus. London welkte unter seinem Atem. Die Menschen siechten dahin, gefangen in seinem Netz. Tiefschwarzes Blut, das sich langsam durch den Rinnstein fraß.

Er stand auf einem Berg von Toten und sank auf die Knie angesichts seiner Sünden. Er weinte und bettelte um Vergebung. Seine blutigen Hände zitterten, sein Mund formte den Sermon des Pastors, der ihn das Beten gelehrt hatte. Er sprach in menschlicher Stimme zu einem übermenschlichen Gott.
Oh, Jim, wir werden nie erhört.

Sebastian kam aus dem Krieg. Er bat nicht um Verzeihung, er nahm einfach hin, dass er getötet hatte.
Ich musste es tun, erklärte er James mit einem Schulterzucken. Seine Augen hatten die Farbe des Himmels, sie waren nicht getrübt von Sünde. Sie hatten das blau des Himmels und er hatte das Lachen von Gott.

Sebastian verschlang James. Er setzte ich in Flammen und ließ ihn brennen. Er lachte und Gott lachte mit ihm. Sebastian suchte keine Vergebung, er glaubte nicht an die Vergebung. Er glaubte nicht an die Liebe und er glaubte nicht an die Sünde. In seiner Naivität war er frei.

Blut klebte an ihren Händen. Dunkles, schweres Blut.
Es regnete, das Blut wurde weggeschwemmt, ihre Sünden blieben.

Wir glauben, dass Sünden vergeben werden können. Durch ein Bad im heiligen Fluss, die Berührung einer bestimmten Stelle oder durch das Wort eines anderen Menschen. Wir nehmen uns heraus Gott zu spielen, wohlwissend wie albern der Glaube an die Vergebung der Sünden ist. Wir brauchen diesen Glauben. Wir brauchen ihn wie wir die Liebe brauchen. Als Schutzmantel vor der Angst vor dem Tod.

James bat Sebastian um Vergebung, wissend, dass es nicht Sebastian war, der seine Sünden vergeben konnte. Sebastian war ein Mensch, der selbst Sünden angehäuft hatte.
Er war ein Blender und James ließ sich gerne blenden. Er badete in Sebastians Liebe, die nichts wert war, weil es die Liebe eines Menschen war. Er kostete von Sebastian Freiheit, doch sie erschreckte ihn.

Er blickte über eine Klippe in den Abgrund. Er flehte ein letztes Mal um Vergebung. Unter ihm rauschten seine Sünden, blutrot und schwarz wie die Nacht. Ein Blick gen Himmel. Sebastian Augen hatten die Farbe des Himmels, wo war Gott in ihnen?

Tränen der Angst. Hoffnung auf Vergebung. Ein letztes Wimmern der Hoffnungslosen. Tosende Fluten. Seine Lungen gefüllt mit Wasser. Ein letzter Aufschrei der Seele. Ein letztes brennen in der Nacht.
Unendliche Leere.

Oh, Jim, ist es wahr, dass Gott alle Sünden vergibt?

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Lange ist es her.

Hier war so viel los.
Ich habe mein Praktikum gemacht und sitze nun an meiner Bachelorthesis.

Heute habe ich mir bewusst freigenommen und dann saß ich doch vor dem Laptop und habe eine Abhandlung über Gott und die Vergebung geschrieben.

Es ist nicht lang geworden, aber ich mag den Stil ganz gerne.

Aber zu euch.
Was habe ich verpasst?

Gibt es irgendwas, das ihr mir mitteilen wollt?

Gibt es etwas, was ihr von mir wissen wollt?

Ich habe zwei weitere OS in Arbeit, aber ich weiß nicht, ob ich sie je beende. Trotzdem bin ich sicher, dass wir von einander lesen werden.
One way or another.

Sherlock One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt