Gone (Mormor)

295 19 104
                                    

He's gone
and I'm still here

Bewegungslos lag er auf dem Sofa und blickte an die Decke, von welcher sich gerade eine Spinne herabseilte. Fasziniert betrachtete er den Achtbeiner. Die Viecher schossen ihre Netze tatsächlich aus dem Arsch.

Er wollte über den Einfallsreichtum der Natur lachen, doch der Laut klang heiser und gequält.
Sein Lachen war nie schön gewesen. Niemals so schön wie das Lachen von Sebastian. Aber das war egal gewesen, denn es gab nichts Schöneres, als mit dem Blonden zusammen zu lachen.

Er seufzte, dann erhob er sich vom Sofa. Er hatte seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und auch nun verspürte er keinen Hunger. Trotzdem machte er sich ein Käse Sandwich, Sebastian hätte es so gewollt.

Der erste Bissen schien in seinem Mund zu Staub zuverfallen. Er zwang sich ihn runterzuschlucken und biss erneut ab. Viel zu lange kaute er darauf herum, versuchte sich vorzustellen, wie gut ihm Sandwiches mal geschmeckt hatten und dass sich mehr als ein klebriger Spuckeball in seinem Mund befand.
Einen dritten Bissen nah er nicht. Staub und Spucke mehr ließ sich beim besten Willen nicht aus dieser Mahlzeit rausholen.

Er legte das zur Hälfte gegessene Sandwich in den Kühlschrank, gab ein stummes Versprechen, es heute Abend aufzuessen. Dann trank er noch ein Glas Wasser, ließ das kühle Nass seine staubige Kehle herunter rinnen.

,,Bist du nun zufrieden, Sebby?", fragte er, als er im Flur am Bild des Blonden vorbeikam. Er bildete sich gerne ein, dass Sebastians Abbild in beobachtete und dass er es glücklich machen konnte, wenn er ein wenig auf sich achtete.
Aus leblosen Augen blickte die Photographie auf ihn hinab. Leblose Augen in der Farbe des Meeres, rotblondes Haar und sonnengebräunte Haut. Sebastian sah aus wie er immer ausgesehen hatte. Hübsch und wild und frei.

Glücklich, fügte Jim in Gedanken hinzu. Sebastian war immer glücklich gewesen. Hatte sein Leben als Geschenk betrachtet, als spaßige Achterbahnfahrt, an deren Ende alle Höhen und Tiefen ihren Sinn fanden.
Jim selbst hatte diesen Optimismus nie aufbringen können. Für ihn war das Leben eine Bürde, mit seinen Pflichten und Regeln. Es ödete ihn an und auch der Blonde hatte ihn nicht immer über das Grau der Welt hinwegtäuschen können.

Und nun war Sebastian tot und er lebte noch. Es war nicht fair. Es würde niemals fair sein. Als
Sebastian gegangen war, hatte er auch das letzte bisschen Licht aus Jims Leben gesaugt. Die Achternahn war zum stehen gekommen und Jim wusste nicht, wie er jemals aus diesem Tief herausfinden sollte.

,,Fick dich doch", flüsterte er dem Bild entgegen. Er wollte sauer sein. Sauer, dass Sebastian ihn einfach so verlassen hatte, dass Sebastian nichtmal versucht hatte gegen den Krebs zu kämpfen. Dass er heimlich im Krankenhaus geraucht hatte, obwohl klar war, dass die Scheiß Zigarretten seine Lunge kaputt gemacht hatten.

,,Warum warst du so ein verdammter Idiot?", fauchte Jim, ehe er das Foto nahm und es auf den Boden warf. Der Glasrahmen zersplitterte, aber Sebastians tote Augen starrten noch immer leblos an die Decke.
,,Gott, ich habe dich doch geliebt."

Und dann konnte er die Tränen nicht länger zurückhalten. Irgendwann holten sie ihn immer ein. Laute, hässliche Schluchzer drangen aus seiner Kehle, während er sich vor Schmerz krümmte. Langsam ließ er sich auf den Boden sinken, gleich neben Sebastians Bild. Sein ganzer Körper schmerzte, er japste nach Luft, versuchte sich wieder unter Kontrolle zu bringen.
Das war das schlimmste am Weinen; wenn man einmal begonnen hatte konnte man nicht mehr aufhören.

Es dauerte lange, bis die Tränen versiegten. Es dauerte noch länger, bis die Schluchzter verstummten und es würde ein ganzes Leben dauern, bis der Schmerz abklang.

Sherlock One ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt