Hurt (Mormor)

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I hurt myself today
To see if I still feel
I focus on the pain
The only thing that′s real
The needle tears a hole
The old familiar sting
Try to kill it all away
But I remember everything

Dies war sein letzter Abend. Der letzte Tag seines Lebens war angebrochen und er wusste nichts mit sich anzufangen. Er sollte sich von dieser Welt verabschieden. Er sollte sich von Sebastian verabschieden. Doch stattdessen saß er hier am Ende der Welt zwischen zwei Junkies. Er wusste nicht, ob die Nadel steril war. Vielleicht war es egal, er würde morgen sowieso sterben.

Er spürte den Einstich, so vertraut. Fast hätte er laut aufgelacht. Es war Jahre her, dass er das letzte Mal an der Nadel gehangen hatte und nun an seinem letzten Tag fiel ihm nichts Besseres ein, als zurückzukehren zum süßen Gefühl des Kokains, das durch seine Adern rauschte und sich an die Perzeptoren seines Gehirns setzte. Er hätte sich von Sebastian verabschieden sollen, doch stattdessen saß er hier und versuchte zu vergessen.

Er konzentrierte sich auf das prickeln, welches sich langsam in seinem Körper ausbreitete. Das vertraute Gefühl alles zu können. Kurz erwägte er, sich doch von Sebastian zu verabschieden. An der Tür des Blonden klingeln, ihn küssen, bis ihnen beiden schwindelig war, Sex haben und das Feuerwerk ihrer Körper spüren. Die Nacht neben Sebastian liegen und ihn anschauen, während er sich in Gedanken von ihrem gemeinsamen Leben verabschiedete. Morgens früh gemeinsam frühstücken und Sebastian ein „Mach's gut" zu rufen, wenn er die Wohnung verließe, um seinem Leben ein Ende zu setzen.

Natürlich wäre Sebastian traurig, aber er hätte eine letzte Erinnerung, die er festhalten und an der er sich würde wärmen können. Es wäre fair Sebastian etwas zu geben, an dem er sich würde festhalten können. Die Gewissheit, dass Jim ihn geliebt hatte. Doch Jim war nicht fair. Er war nicht gut und er entschied sich selten das Richtige zu tun. Jim war egoistisch und gemein. Ihn zu lieben bedeutete verletzt, im schlimmsten Fall getötet, zu werden. So war es und so würde es immer sein. Immer... ironisch, wenn einem nur noch ein Tag blieb.

What have I become
My sweetest friend
Everyone I know goes away
In the end
And you could have it all
My empire of dirt
I will let you down
I will make you hurt

Er legte den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Die Frau neben ihm wimmerte. Wäre Jim gut gewesen, hätte er geschaut, ob es ihr gut ginge. Doch Jim war nicht gut und sie waren alle Junkies, verdammt dazu sich nach einem Stoff zu verzehren, der ihnen das Leben aussaugte.

Die Frau wimmerte und Jim lachte. Er lachte, weil heute sein letzter Tag auf Erden war und weil ihm die Leiden der anderen schon morgen nichts mehr angingen. Er lachte, weil er sich nie um das Leid der anderen geschert hatte, sonst wäre er nie zum Napoleon des Verbrechens aufgestiegen. Er lachte, weil es gut tat an seinem letzten Tag auf Erden zu lachen. Er lachte, weil er es konnte.

Er wusste nicht wie lange er da gesessen und gelacht hatte. Die Frau hatte inzwischen aufgehört zu wimmern.

Schließlich erhob er sich. Seine Beine fühlten sich seltsam fern an. Sein ganzer Körper fühlte sich fern an. Er atmete. Ein und aus, bis er sicher war, dass seine Beine ihn tragen würden.

Er nahm ein Taxi in die Innenstadt. Wenn er seinen letzten Tag schon nicht mit Sebastian verbringen würde, würde er ihm zumindest einen Brief hinterlassen. Einen Brief und ein Netzwerk. Ein marodes Netzwerk, voller Ratten. Ein Netzwerk, welches ihm das Leben gekostet hatte.

Er lachte leise und der Mann vor ihm drehte sich zu ihm um. Er winkte müde ab, doch in seinem Kopf kreiste der Gedanke, was aus ihm geworden wäre, ohne das Netzwerk. Wo er nun wäre, hätte er damals nicht den Weg ins Verbrechen gewählt. Vermutlich wäre er noch an der Uni. Nicht als Student, sondern als Professor. Er würde über Mathematik reden und Aufsätze verfassen. Er würde die Zahlen lieben und diese unendliche Liebe an seine Studierenden weitergeben. Beinahe vermisste er dieses Leben, welches er nie gelebt hatte.

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