Graue Wolken (Momor)

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Graue Regenwolken hingen über einem herbstlichen London. Aschgraues Licht bahnte sich seinen Weg zur Erde und ein träger Wind wehte durch die Gassen.
Das Wetter passt perfekt zu deiner Stimmung, dachte Sebastian und hätte beinahe gelacht. Das war ja wie in diesen ganzen Filmen und Büchern. Immer wenn es dem Protagonisten beschissen ging, zogen wie aus dem nichts Regenwolken auf und weinten mit dem Protagonisten um die Wette.
Blöd ist nur, wenn sich der Protagonist dauernd so fühlt, der Gedanke kam, ehe Sebastian ihn zurück drängen konnte. Er seufzte resigniert auf.
Wie lange war es her, dass die Sonne das letzte Mal in seinen Gedanken geschienen hatte? Er konnte sich nicht erinnern. Seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war, hatte die Welt all ihre Farbe verloren. Aber es hatte nicht erst nach dem Krieg begonnen, es war nicht so, dass jemand einen Schalter umgelegt hatte und Sebastian die Sonne ausgeknipst hatte. Es war ein langsam schleichender Prozess gewesen, dessen Anfang so weit zurücklag, dass Sebastian sich nicht daran erinnern konnte. Der Krieg hatte es lediglich verschlimmert. Die Albträume und die Angst waren mehr geworden. Die Angst war ein Teil von ihm geworden, mit dem er nicht umzugehen verstand.
Als er auf die Uhr sah, erschreckte er. Er hatte seine heutige Gruppentherapie, welche in zehn Minuten beginnen würde, vollkommen vergessen. Oder verdrängt.

Er hastete aus der Wohnung, ohne sich voher noch einmal im Spiegel betrachtet zu haben. Er würde sein Aussehen sowieso nicht mögen und was andere dachten, war ihm inzwischen egal. Außerdem hätte er eh keine Zeit gehabt irgendetwas zu verändern. Er hatte seit drei Tagen nicht geduscht und auch seine Kleidung hatte schon bessere Tage gesehen. Aber es war egal. So wie alles egal war.

Er lief die grauen Straßen Londons entlang, ohne überhaupt etwas oder jemanden wahrzunehmen. Sein Kopf hielt er gesenkt und so übersah er Mann, welcher mit dem Rücken zu ihm da stand und in die Ferne blickte. Der Zusammenstoß kam für beide Männer überraschend, hatte doch keiner von beiden damit gerechnet.
Der Aufprall war so stark, dass er den Kleineren zu Boden warf und beinahe wäre Sebastian auch noch auf ihm gelandet.

,,Es tut mir wahnsinnig leid! Oh Gott, es tut mir so leid'', begann Sebastian augenblicklich.

,,Kein Grund mich gleich als Gott zu betiteln'', der Schwarzhaarige grinste, während er sich den Staub von seinem teurem Anzug klopfte. Seine schwarzen Augen musterten Sebastian und in ihnen lag so viel Schalk, dass auch Sebastian lächeln musste. Er wusste nicht was es war, aber der Schwarzhaarige faszinierte ihn. Es war ein seltsames Gefühl, denn eigentlich hatte er sich bereits daran gewöhnt, rein gar nichts für andere Menschen zu empfinden. Nicht einmal die kleinste Gefühlsregung, hatte er für andere übrig gehabt. Sie waren immer bloß ein Teil seiner grauen Welt gewesen.

,,Tut mir trotzdem leid, dass ich Ihren Anzug dreckig gemacht habe'', entschuldigte Sebastian sich ein weiteres Mal.

,,Mmh...wie wärs wenn Sie als kleine Entschädigung mit mir Essen gehen?'', der Schwarzhaarige lächelte leicht.
,,Uhm, gerne. Wann denn?'', perplex betrachtete Sebastian den Fremde. Mit einer Einladung zum Essen hätte er beim besten Willen nicht gerechnet.

,,Wie wärs mit jetzt sofort?''
,,Okay?! Ich meine ja, warum nicht?'', kurzerhand beschloss Sebastian seine Therapie heute sausen zu lassen. Sie brachte eh nichts und da klang ein Essen mit dem faszienierenden Fremden wesentlich besser. Als Kind wurde man zwar immer gewarnt, nicht mit Fremden mitzugehen und ihnen nicht zu trauen, aber Sebastian war ein großer, kräftig gebauter Mann.

,,Freut mich äh...?'', dem Schwarzhaarigen schien soeben aufzufallen, dass er den Namen seines Dates noch immer nicht kannte.

,,Sebastian'', stellte sich dieser also vor, während sie langsam in Richtung Essensmeile liefen.
,,Schön dich kennenzulernen, Sebastian. Ich hoffe, es ist okay, wenn wir uns duzen?! Ich bin übrigens Jim'', stellte sich nun auch der andere vor. Nachdem nun also das Wichtigste geklärt war, machte sich schweigen zwischen ihnen breit. Es war keine drückende Stille, die sich da über die Männer gelegt hatte. Es war jene angenehme Stille, wenn ein jeder seinen eigenen Gedanken nachhängen kann, dabei jedoch der Präsenz des anderen sicher sein kann. Es war das Gefühl nicht allein durch die grauen Straßen Londons laufen zu müssen und dennoch niemanden gegenüber in irgendeiner Art und Weise verpflichtet zu sein.

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