Bipolar (Mormor)

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Zum himmelhoch jauchzend,
zu Tode betrübt

Am Anfang war Jim einfach nur traurig gewesen. Nein, traurig war das falsche Wort. Antriebslos, lustlos, leer.
Sebastian hatte das okay gefunden. Er wusste, dass Jim ihn liebte und dass es besser war, weil Sebastian da war. Sie waren einkaufen gegangen, hatten gemeinsam gekocht und hatten den Kino-Sonntag ins Leben gerufen. Sebastian hatte sich daran gewöhnt, dass Jim eben nicht war wie die anderen. Es war okay.

Und dann war plötzlich alles anders. Es gab keinen festen Zeitpunkt, den Sebastian hätte benennen können. Es gab noch nichtmal einen richtigen Grund. Sebastian wusste nur, dass er eines Morgens aufgewacht war und es nicht so gewesen war wie sonst. Es war nicht ruhig und friedlich. Ein Sturm war aufgezogen und sog alles und jeden ins Verderben.

An jenem Morgen hatte Jim nicht neben ihm gelegen, sondern in der Küche gestanden und gekocht. Wie wild hatte er mit den Töpfen hantiert, während er gleichzeitig die Ablage putzte und den Kühlschrank umsortierte. Sebastian hatte sich gewundert, doch niemals hätte er ahnen können, dass es noch schlimmer werden würde.
Das Essen schmeckte grauenhaft und dennoch lobte Sebastian Jims Kochkünste. Immerhin hatte Jim gekocht. Normalerweise fehlte ihm dazu der Antrieb, doch an diesem Morgen war alles ein bisschen anders. Anders, aber okay.

Am nächsten Tag verschwand Jim. Verschwinden war ein komisches Wort, denn eigentlich verließ Jim nur ihre Wohnung und kehrte nicht mehr zurück. Es gab wenig, was Sebastian mehr beunruhigt hätte. Normalerweise verließ Jim nie allein ihre Wohnung, dazu fehlte ihm die Kraft.
Sebastian schrieb Jim eine SMS.
Alles okay, war die Antwort, die er erhielt.

Jim kam drei Tage später zurück. Der Anzug zerfetzt und er war barfuß, aber er kam zurück. Als Sebastian ihn fragte, wo er gewesen sei, redete er schnell und wirr.
Es machte Sebastian stutzig, als Jim von neuen Freunden redete. Jim war nicht der Typ, der schnell neue Freunde machte. Trotzdem freute sich Sebastian für Jim, denn dieser wirkte gerade zu euphorisch und nach all der Traurigkeit war das nun nicht so schlecht.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als Sebastian auf den Kontoauszug sah, wie viel Geld Jim innerhalb der letzten drei Tage ausgegeben hatte. Fast 5000 Pfund mussten es gewesen sein, denn das gemeinsame Konto befand sich kurz vor dem Minus. Sebastian wusste nicht, wie das bisschen Geld, was ihnen blieb für den restlichen Monat reichen sollte, doch als er Jim konfrontierte, winkte dieser ab und nannte ihn einen Spießer.
Dann verabschiedete sich Jim, denn er wollte mit seinen neuen Freunden feiern gehen.

Sebastian blieb zurück und dieses Mal dauert es sogar eine Woche, bis Jim wieder nach Hause kam. Er hatte einen neuen Anzug an und hielt einen riesen Strauß Rosen in der Hand.
,,Flieg mit mir nach Neuseeland, Sebby", sagte er und hielt Sebastian ein Flugticket unter die Nase.

,,Von welchem Geld hast du das bezahlt?", fragte Sebastian misstrauisch und dachte daran, wie verdammt wenig Geld dort auf dem Konto gwesen war.
,,Na von unserem", grinste Jim und am liebsten hätte Sebastian ihn angeschrien.

Doch er hielt sich zurück und sagte sich, dass es schon okay werden würde. Neuseeland hatte er immer schon sehen wollen und vielleicht konnte er in der wunderschönen Landschaft des Landes endlich den Mut finden, Jim einen Heiratsantrag zu machen. Den Ring trug er seit drei Monaten mit sich herum, doch nie hatte sich eine Gelegenheit ergeben.

Ob es zwei oder drei Tage vor ihrem Urlaub war, konnte Sebastian im Nachhinein nicht mehr sagen. Er wusste nur, dass Jim plötzlich jegliche Motivation verloren hatte und sich selbst aus tiefsten Herzen hasste.

,,Ich habe unser ganzes Geld verprasst", murmelte er, ,,Sebastian, ich bin ein schrecklicher Mensch."
,,Ich liebe dich trotzdem", erklärte Sebastian, der bereits ahnte, dass ihr Urlaub ebenso wie der Antrag ins Wasser fallen würde.

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