James blickte auf sein Handy, dessen Bildschirm gerade einen eingehenden Anruf von Sebastian anzeigte. Mit einem seufzten klickte er den Blonden weg. Es hatte keinen Sinn mehr mit Sebastian zu reden. Jetzt hatte gar nichts mehr einen Sinn. Er saß auf dem Dach des Barts Hospital und blickte auf die Straße hinab. Hunderte Menschen wuselten durch hunderte Leben. Von hier oben wirkte sie winzig und schrecklich weit weg. Er fragte sich, was sie dachten. Waren sie glücklich? War es überhaupt wichtig glücklich zu sein? Von Glück konnte man sich nichts kaufen. Von dem Geld, was er besaß, auch nicht. Zumindest nicht das, was wirklich zählte.
Es sollte ihm egal sein. Es war ihm immer egal gewesen, ob andere Menschen glücklich waren (er hatte oft genug dafür gesorgt, dass sie es nicht waren). Und trotzdem saß er hier und dachte über die Leben der anderen nach. Vielleicht, weil jedes dieser Leben sein eigenes hätte sein können. Wenn die Dinge anders gelaufen wären. In einem anderen Universum, in einem anderen Leben.
In einem anderen Leben wäre er derjenige der am Fuße des Barts Hospital vorbeilief. Auf dem Weg ins Regierungsviertel, wo er sich mit anderen wichtigen Politikern traf, um mit ihnen die neuste Steuererhöhung auszudiskutieren. Er würde einen dunkelblauen Anzug tragen und hätte dieses amerikanische Lächeln, das nie echt wirkte, im Gesicht kleben. Er würde in einer Mercedes Limousine von A nach B gefahren werden und die meisten Leute würden ihn mögen. Nicht alle natürlich. In der Politik konnte man nie von allen gemocht werden. Er würde für die Homoehe stimmen, aber gegen die Schließung der Grenzen. Nazis würden seinen Kopf fordern und er würde sich geehrt fühlen, wenn sie unter seinen Tweets Hassnachrichten absetzten. Er würde in Talkshows mit anderen Politikern diskutieren, immer mit einem Lächeln im Gesicht. Er würde die Terroranschläge verdammen und seine Mutter wäre stolz auf ihn. Sie würde mit ihren Freundinnen Bridge spielen und mit ihrem wohlgeratenen Sohn prahlen. Er würde sie dreimal im Jahr besuchen und an ihrem Geburtstag und am Muttertag würde er das immergleiche Foto von ihnen posten mit dem immergleichen Text. Die meisten seiner Kollegen würden seinen Intellekt schätzen und seine wundervolle Art wie er nie den Boden unter den Füßen verloren hatte.
Irgendwann würde er in Rente gehen und in ein hübsches Cottage auf dem Land ziehen. Er würde Bilder seines Hundes posten und die meisten seiner Follower würden netten Kommentare schreiben. Er würde eine Autobiographie rausbringen und ab und an noch immer seine Meinung zum aktuellen politischen Geschehen mitteilen. Es wäre ein gutes Leben.
In einem anderen Leben würde er dort unten durch die Straße laufen und sich mit Sherlock über ihren neusten Fall unterhalten. Sie würden sich über Greg Lestrade lustig machen, der mal wieder im Dunkeln tappte. Sie wären auf dem Weg zum Tatort oder um einen Verdächtigen zu fassen. Er würde Sherlock den Vortritt bei der Befragung lassen und selbst aus dem Hintergrund die Szenerie beobachten. Danach würden sie über jeden kleinen Hinweis diskutieren. Am Ende waren sie sich einig und würden gemeinsam Tee trinken gehen. Beim Tee würden sie über die alten Zeiten schwadronieren, in denen sie einander in einer ewigen Rivalität gegenüber gestanden hatten. Jeder von ihnen wollte der bessere Detektiv sein und so hatten sie um jede Anerkennung Schottland Yards gebuhlt. Schließlich hatte ein entnervter Greg Lestrade sie an einen Tisch gesetzt und nach stundenlangen Gesprächen, in denen jeder versucht hatte, den anderen zu übertrumpfen, hatten sie sich zusammengerissen. Tatsächlich stellte sich heraus, dass sie ein perfektes Team waren Ihre Aufklärungsquote belief sich auf hundert Prozent und nach anfänglichen Schwierigkeiten waren sie zu wirklichen Freunden geworden. Es wäre ein gutes Leben.
In einem anderen Leben würde er durch die Straße schlendern und sich auf Zuhause freuen. Er hätte drei Vorlesungen in der Universität abgehalten, denn er war nach seiner Zeit in Oxford an die Londoner Uni gewechselt, um zu unterrichten. Er liebte die Mathematik wie am ersten Tag und er versuchte seinen Studierenden diese Liebe zu den Zahlen zu vermitteln. Der Großteil der Studierenden mochte ihn und manchmal schweifte er vom Thema ab und erzählte ihnen wie er als junger Mann auf den Straßen für alles Mögliche demonstriert hatte. Bei einer dieser Demonstrationen hatte er Sebastian kennengelernt, der von dem Trubel der Pride Parade verwirrt und angezogen zu gleich gewesen war. Anfangs waren sie nur Freunde gewesen, doch schnell war mehr da gewesen.
Nun wäre er auf dem Weg nach Hause, wo Sebastian schon auf ihn warten würde. Sie würden gemeinsam kochen und sich über ihren Arbeitstag beschweren, auch wenn dieser wirklich gut gewesen war. Es war eine Art Running Gag zwischen ihnen. Vielleicht kämen am Abend Freunde auf ein Bier vorbei und sie würden gemeinsam über vergangene Zeiten sinnen. Sebastian und er würden gemeinsam einschlafen und aufwachen. Sie wären die Art von Ehepaar, das von allen dafür bewundert wurde, dass ihre Liebe auch nach Jahren noch so wie früher zu sein schien. Dass sie einander noch genauso attraktiv fanden und ihre Herzen noch immer zu rasen begannen, wenn sie an ein Date mit dem anderen dachten. Sie würden glücklich miteinander alt werden. Es wäre ein gutes Leben.
Sein Klingelton riss ihn aus den Gedanken. Sebastian, schon wieder. Stay'ing Alive hallte aus seinen Handylautsprechern und er zögerte einen Moment. bevor er Sebastian wegdrückte. Langsam wandte er seinen Blick zu Sherlock, der das Dach betreten hatte. Der Detektiv sah aus wie immer. Die mediale Schlammschlacht der letzten Tage schien ihn kaum mitgenommen zu haben. Es war fast als gehöre auch sie zu einem anderen Leben.
„Am Leben bleiben", begann er, „So langweilig, nicht wahr? Es nur bleiben."
In einem anderen Leben wäre das genug. In einem anderen Leben würde ihm allein das Versprechen zu leben reichen. Aber nicht in diesem, oh nicht in diesem.
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Hi,
nach Ewigkeiten mal wieder ein Oneshot (und wieder hat mich Bittersweet_rebell inspiriert).
Ich bin in letzter Zeit nicht zu den Oneshots gekommen, weil ich meine Hannigram geschrieben/ hochgeladen habe. Im Nanowrimo schreibe ich derzeitig an einer eigenen Geschichte, aber die 50.000 Worte werde ich nicht schaffen.
Ansonsten habe ich wieder fürs Studium zu tun und habe damit angefangen 'The Originals' zu gucken.
Was ist bei euch so los?
Nehmt ihr am Nanowrimo teil? Wenn ja, wie läuft es bei euch?
Wir lesen uns!
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Sherlock One Shots
FanfictionOneshots zur Sherlock Serie. Überwiegend Mormor und ein bisschen Johnlock. Keiner der Charaktere gehört mir! Sie gehören der BBC bzw. Athur Conan Doyle.