Kapitel 8

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Mein Kopf dröhnte, als ich zu mir kam. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Das Licht war so grell, dass es mich blendete. Also kniff ich meine Augen zu und versuchte es nach kurzer Zeit nochmal. Verwirrt sah ich mich um. Alles war weiß und plötzlich kamen die Erinnerungen zurück. Ich bin im Krankenhaus und Jonathan hatte mich her gefahren. Wieso hat er das gemacht? Wieso hat er sich um mich gekümmert? Ich sah mich um und fixierte nun die Gestalt, die schlafend auf dem Stuhl neben dem Bett saß. Es war nicht Jonathan. Das wäre auch ein zu großes Wunder gewesen. Wahrscheinlich war er einfach nur froh mich hier loszuwerden. Stattdessen hing zu meinem Erstaunen Matthew schlafend halb auf dem Stuhl halb auf dem Boden. "Matthew?", fragte ich stotternd. Er schreckte aus dem Schlaf und schaute sich verwirrt um bis sein Blick den meinen traf. "Du bist wach.", stellte er fest und klang fast so, als wäre er erleichtert. "Was ist passiert?", krächzte ich hervor. Meine Kehle war ganz trocken. Schnell stand er auf und goss mir ein Glas Wasser ein. Er reichte es mir und ich ergriff es mit zittrigen Fingern. Sofort führte ich es zu meinen trockenen Lippen und nippte am Wasser. "Ich bin nach Hause gekommen und habe gesehen, dass das Telefon drei verpasste Anrufe anzeigte. Gerade, als ich es ignorieren wollte, klingelte es erneut. Also bin ich an das Telefon gegangen und das war irgendeine Frau hier aus dem Krankenhaus, die Vater darüber informieren wollte, dass du im Krankenhaus bist. Ich habe gesagt, dass ich es ihm ausrichten werde und mich auf den Weg zu dir mache.", begann er zu erzählen. Mittlerweile hatte ich bemerkt, dass unter dem Krankenhauskleid eine Bandage war, die um meine Brust und Teile meines Bauchs gewickelt war. In meiner Hand steckte eine Nadel von der aus ein Schlauch bis zum Tropf über meinen Kopf führte. Deshalb hatte ich wahrscheinlich kaum Schmerzen. Ich nickte Matthew unsicher zu, damit er weiter erzählen würde. "Ich bin also zum Krankenhaus gelaufen, habe mich bei der Rezeption gemeldet und die haben mir dann deine Zimmernummer genannt." Wieder nickte ich, dass erklärte zumindest, warum er hier war. "Abby, du hast zwei gebrochene Rippen und musstest operiert werden, weil du eine leichte innere Blutung hattest." Ich schluckte. Die Rippen sind also doch gebrochen. Plötzlich klopfte es an der Tür und Dr. Brenigan betrat strahlend den Raum. "Das hört sich an, als wäre meine Lieblingspatientin wach.", sagte sie glücklich und kam zum Bett. "Hallo Matthew.", grüßte sie ihn lächelnd. Verwirrt sah ich zwischen den beiden hin und her. Kannten sie sich etwa? Dr. Brenigan sah wie immer wunderschön aus. Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und ihre braunen Augen leuchteten stets voller Hoffnung. Den weißen Kittel trug sie offen und setzte in einem blauen Rock und einem weißen engen T-Shirt ihre schlanke Figur in Szene. Ich hatte mich schon oft erwischt, dass ich ihr Aussehen beneidete und bewunderte. "Du hast uns heute morgen einen ganz schönen Schrecken eingejagt." Sie kam ums Bett herum und legte ihr Klemmbrett auf den Tisch neben meinem Bett. "Wie geht's dir, Abby?", fragte sie, während sie mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen leuchtete. "G-ganz gut. Ein b-bisschen K-Kopfschmerzen.", stotterte ich unsicher. "Jonathan hat mir erzählt, dass du ihm gesagt hast, dass du gestern die Treppe herunter gefallen bist. Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen?" Nun war ich ganz verwirrt. Kannte sie Jonathan jetzt auch und woher kannte sie ihn? Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. "Ich d-dachte es w-wäre nicht so schlimm. Ähm, ich, ich habe eine T-Tablette g-genommen und b-bin ins B-bett gegangen. Ich war a-allein zu Hause. Es hä-hätte m-mich niemand fahren k-können." Matthew hatte mich die ganze Zeit über mit einem drohenden Blick angesehen. Ich wusste, dass ich lügen musste. "Abby, so einen Sturz darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn Jonathan dich nicht her gefahren hätte, hätte alles noch schlimmer ausgehen können." Dr. Brenigan klang wie eine besorgte Mutter und dass erinnerte mich schmerzlich an meine Mom. Ich nickte traurig und spielte unsicher mit dem Bettlaken zwischen meinen Fingern. "Du musst die Woche hier bleiben. Wir müssen dich beobachten und du musst wieder zu Kräften kommen.", sagte sie ernst und schaute nun zu Matthew, der bestätigend nickte. Doch ich hatte nur meine Krankenhausrechnung vor Augen, die ich nun auch bezahlen müsste. Verzweiflung machte sich in mir breit, doch davon wurde ich abgelenkt, als Dr. Brenigan zurück lief und sich noch einmal umdrehte. "Gleich wird noch ein Arzt für ein Check-up kommen.", informierte sie mich. Dann wendete sie sich zu Matthew. "Möchtest du nicht heute bei uns zu Abend essen? Jonathan würde sich bestimmt freuen.", lächelte sie ihn an und er antwortete ihr. Doch seine Antwort hörte ich gar nicht mehr, denn es machte plötzlich Klick. Die kastanienbraunen Haare, die gleiche Hautfarbe und dieselbe Nase, der Sohn der immer Ärger in der Schule hat und der Umstand, dass sie Matthew zweifellos gut kannte, ließen keinen anderen Schluss zu: Dr. Brenigan ist Jonathans Mutter?! Ich musste wohl ausgesehen haben, als hätte ich einen Geist gesehen, denn Matthew musterte mich besorgt und fragte, was los sei. "Sie ist Jonathans Mutter.", stotterte ich hervor. Ich war noch immer total schockiert. Warum war mir die Ähnlichkeit nicht früher aufgefallen? Tausende Ängste bauten sich in mir auf. Oh Gott, ich hatte ihr so viele persönliche Dinge erzählt. Hoffentlich hat sie nichts davon Jonathan erzählt. Matthew sah mich belustigt an. "Jetzt erst gemerkt?", fragte er amüsiert. "Aber sie haben doch gar nicht denselben Namen.", murmelte ich nachdenklich. Jonathan hieß doch Parker. "Seine Mutter hat vor ein paar Jahren wieder geheiratet.", erklärte er. Ich nickte, das ergab Sinn. "Du hör mal, ich kann wirklich gut mit Maggie und ich hab mit ihr geredet, dass sie Jonathan nicht erzählt, dass ich dein Cousin bin. Sie hält dicht. Na ja und als sie herausgefunden hat, dass Jonathan dich kennt und du mich kennst, meinte sie noch, dass ich dir sagen soll, dass Jonathan nichts von dir und deiner Mom weiß. Denn sie wüsste, wie ängstlich du bist und als Ärztin dürfte sie sowieso nichts über Patienten und ihre Verwandten erzählen." Zum Schluss machte er Dr. Brenigans Stimme nach und formte mit seinen Fingern Gänsefüßchen. Ich musste lachen und sofort fühlte ich mich erleichtert. Das heißt, Jonathan weiß rein gar nichts über mich und das ist gut so. Peinlich genug, dass er es war, der mich so gefunden hat. Aber andersherum hat er mich her gefahren und sich um mich gekümmert. Das hätte ich nie von ihm erwartet. Und wieder hatte er mich überrascht. Matthew blieb noch etwas bis der Arzt für den Check-up kam. Am nächsten Tag kam er nach der Schule vorbei und brachte mir Kleidung sowie meine wichtigsten Badutensilien. Es klang fast verrückt, aber der Krankenhausaufenthalt fühlte sich wie Urlaub an. Ich bekam dreimal am Tag vernünftig was zu essen. Der Fernseher lief den ganzen Tag und unterhielt mich. Ich konnte jederzeit vorsichtig in Begleitung einer Schwester meine Mom sehen und ich hatte Ruhe. Niemand tat mir weh und niemand demütigte oder beleidigte mich. So wohl und entspannt hatte ich mich schon so lange nicht mehr gefühlt. Das fiel auch Dr. Brenigan auf, die sich freute, dass es mir von Tag zu Tag besser ging. Außerdem hatte sie mir eine Sorge abgenommen. Sie ist wirklich ein Engel auf Erden, denn sie hatte beschlossen für meine Krankenhausrechnung aufzukommen. Ich hatte erst protestiert und diskutiert. Ich wollte nicht so viel Geld von ihr annehmen, doch sie ließ nicht locker bis ich zustimmte. Der Fernseher war an und ich lag entspannt im Krankenhausbett, während mich eine Serie köstlich unterhielt, als es plötzlich klopfte. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgemacht. "Hey Freak, hast du mich vermisst?" Erschrocken setzte ich mich auf und zischte kurz vor Schmerz, weil meine Bewegung zu abrupt war. "W-was m-machst du hier?", fragte ich unsicher und verwirrt. Jonathan schloss die Tür und setzte sich auf den Stuhl neben meinem Bett. "Ich habe Mr. Klifford und Ms. Mabel gefragt, ob ich nicht zu dir ins Krankenhaus fahren könnte, um weiter am Projekt zu arbeiten. Eigentlich wollte ich das nur als Vorwand nehmen, um eher zu gehen, aber ich musste sowieso her fahren, um Mom etwas vorbei zu bringen, dass sie heute morgen vergessen hat. Na ja und sie ist gerade im OP und mir ist langweilig. Also was solls, lass uns am Projekt arbeiten." Ich schaute ihn noch immer verwirrt an und versuchte zu registrieren, was er gesagt hatte.

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