Kapitel 76

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Aufgeregt saß ich im Klassenraum. Ich konnte kaum die Füße still halten. Gleich würde es zu Beginn der ersten Stunde klingeln. Von den Beliebten gab es noch keine Spur, also müssten sie jeden Moment den Raum betreten. Meine Atmung war schnell und mein Herz hämmerte laut gegen meine Brust. Was würde Jonathan tun, wenn er den Raum betritt? Würden sich unsere Blicke treffen? Ist er noch wütend? Wird er mich ignorieren? Ich wusste, dass ich nicht zu viel Hoffnung in diesen flüchtigen Augenblick setzen sollte, aber ich konnte nicht anders. Die Frage brannte sich seit Mittwoch in meine Gedanken. War irgendetwas von den Worten, die er betrunken am Telefon zu mir sprach, wahr? Oder waren es nur leere Worte, die er einfach so dahin gesprochen hatte, weil er nicht bei vollem Bewusstsein war? Plötzlich erklang das Knallen der Tür und mein Blick wanderte blitzartig hoch. Melania und Angelika kamen herein stolziert, gefolgt von Matthew und Chris. Zuletzt betrat Jonathan den Raum. Ich hielt den Atem an. Mein Herz schlug, wenn das überhaupt möglich war, noch schneller gegen meine Brust. Meine Muskeln spannten sich an. Doch er lief zu seinem Platz ohne mir nur einen Blick oder einen Hauch Aufmerksamkeit zu würdigen. Sofort fiel die Anspannung von meinem Körper ab und mein Kopf füllte sich mit immenser Enttäuschung. Keiner meiner Fragen fühlte sich beantwortet. Missmutig schaute ich auf meinen Block vor meinen Fingern. Die Enttäuschung wog so schwer, dass ich mich kaum aufraffen konnte der Schulstunde zu folgen. Irgendwann fühlte sich mein Kopf so schwer an, dass ich ihn auf meiner Hand abstütze. Ich hatte einfach zu viele Gedanken, die wild herum schwirrten und immer wieder neue Fragen und Thesen hervorbrachten. Auch die nächste Stunde zog an mir vorbei, während ich mich in meiner Enttäuschung suhlte. Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass es zur Pause geläutet hat. Plötzlich saß ich allein im leeren Klassenraum. Irritiert hatte ich schnell meine Sachen gepackt und mich auf den Weg in die Pausenhalle begeben, wo Vanessa und Anthony mit ihren Freunden schon auf mich gewartet hatten. Unsicher entschuldigte ich mich und versuchte mich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Es ging um die Spendengala morgen. Alle waren ziemlich aufgeregt und redeten wild durcheinander, was sie alles tun wollten oder tragen würden. Ich war zwar ebenfalls sehr aufgeregt wegen dem morgigen Ereignis, jedoch aus eher beunruhigenden Gründen. Was würde passieren, wenn mein Onkel bemerken würde, dass ich nicht zu Hause sein würde? Wie sollte ich mich gegenüber Jonathan verhalten? Würde er überhaupt da sein oder die Veranstaltung schwänzen? Kurz vor Ende der Pause legte Anthony plötzlich seinen Arm um meine Schultern und zog mich ein Stück zur Seite. Unbewusst versteifte ich mich sofort, als sich unsere Körper berührten. Ich fühlte mich so gleich unwohl und hätte mich gern von ihm gelöst, aber ich wollte nicht unfreundlich sein. Er war mir einfach zu nah. Das ließ mich leicht panisch werden. "Abby, ich habe mich gefragt, ob du schon ein Date für morgen Abend hast?", fragte er sichtlich nervös, während er sich durch die Haare fuhr. Verwirrt sah ich ihn an. Wieso sollte das unbeliebteste Mädchen der Schule ein Date haben? Ich schüttelte unsicher den Kopf. "Willst du mit mir hingehen?" Jetzt war ich wirklich verblüfft. "Ich dachte, du gehst mit Cassandra?", stotterte ich hervor. Plötzlich überkam mich das merkwürdige Gefühl beobachtet zu werden und dann sah ich ihn im Augenwinkel. Er stand circa vier Meter entfernt mit seiner Clique an den Fenstern. Lässig lehnte er an der Wand und hielt seine Hände in seinen Hosentaschen. Jonathan sah mich ziemlich intensiv an. Ich wurde noch nervöser und versteifte mich weiter. Am liebsten würde ich einfach gehen. "Ja schon, aber ich würde lieber mit dir gehen.", sagte Anthony lächelnd. Er würde Cassandra einfach absagen einen Tag vor der Gala nur um mit mir hin zu gehen? "N-nein Anthony, d-das kannst d-du nicht m-machen.", sagte ich perplex. Ich wollte nicht, dass er ein Mädchen für mich stehen ließ noch wollte ich sein Date sein. Denn tief in meinem Herzen war mir bewusst, dass ich das Date von einem anderen Jungen sein wollte. "Wieso?", fragte er verunsichert. "Weil du Cassandra verletzen würdest.", stotterte ich und gestikulierte mit meinen Händen, um meine Aussage zu unterstreichen. Für mich war meine Äußerung vollkommen nachvollziehbar und logisch, doch er sah mich mit einem unverständlichen Blick an. "Mach dir keine Gedanken. Das ist zwar süß, aber ich bin mir sicher, dass Cassandra nicht traurig sein wird.", versuchte er mich weiter umzustimmen. Warum wollte er unbedingt mit mir auf die Gala gehen? Warum bemühte er sich so sehr mich in die Gruppe zu integrieren? Ich fühlte mich immer unwohler und wollte am liebsten ein Stück von ihm weg rücken, aber sein Arm um meine Schultern gab mir dazu keine Möglichkeit. Plötzlich wurde Anthony mit einem heftigen Stoß von der Seite angerempelt und fiel etwas nach vorne. Somit löste er seinen Griff um mich blitzartig, um sich selbst auszubalancieren. Meine Augen huschten jedoch so gleich zu der Person, die Anthony angestoßen hatte. Ich traf auf wütend funkelnde eisblaue Augen. Mir blieb der Atem in der Kehle stecken und mein Herz begann schnell zu pochen. Nun sah auch Anthony Jonathan ziemlich entsetzt an. Doch ich sah wie versteinert und voller Schock Jonathan in die Augen, die mich noch immer mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung ansahen. Mein Magen begann sich zu drehen und das schlechte Gewissen wuchs exponentiell an. Dabei hatte ich mir diesmal nichts zu Schulden kommen lassen. Ich hatte Anthony abgesagt und das würde ich auch noch ein zweites Mal tun. Plötzlich löste Jonathan unseren Blickkontakt und schaute zu dem total verwirrten sowie wütenden Anthony. "Sorry, habe dich nicht gesehen.", sagte Jonathan in einem ziemlich sarkastischen Tonfall, drehte sich um und ging. "Was war das denn?", fragte Vanessa geschockt, die zu uns herüber gestürmt kam. "Keine Ahnung, was den Idioten geritten hat.", seufzte Anthony sauer und richtete sein Oberteil, dass durch den Stoß leicht verrutscht war. Wieso hatte Jonathan Anthony geschubst? Machte es ihn wütend, wenn ich mit anderen Jungen sprach? Hatte er unser Gespräch gehört? Das würde bedeuten, dass er eifersüchtig wäre? Nein, wieso sollte Jonathan eifersüchtig sein? Schließlich schien er keinerlei Interesse mehr an mir zu haben. Vielleicht empfand er ja nicht mal mehr Freundschaft für mich. Total in meinen Gedanken versunken, hatte ich das Gespräch zwischen Vanessa und Anthony überhört. Warum konnte Jonathan nicht einfach mit mir sprechen? Wieso verhielt er sich so komisch und so unberechenbar? "Abby?" Verwirrt sah ich zu einer amüsierten Vanessa. "Hm?", fragte ich unsicher. "Anthony wollte dich noch etwas fragen.", sagte sie grinsend, zwinkerte mir zu und verschwand. Ängstlich stand ich nun vor ihm. Ich hatte ihm doch schon eine Antwort gegeben. "Und? Möchtest du mein Date sein?", fragte er nervös. Ich schüttelte den Kopf, bevor ich überhaupt irgendetwas denken geschweige denn sagen konnte. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Anthony war nett. Das stellte ich auch gar nicht in Frage und ich fand es auch nach wie vor wirklich nett, dass er versuchte mich zu integrieren, aber ich wollte nun mal einfach nicht sein Date sein. "Das war recht eindeutig.", murmelte er sichtlich betrübt. "Tut mir leid, Anthony.", stotterte ich, denn mich überkam die plötzliche Angst etwas zwischen uns dadurch kaputt zu machen. "Alles gut, Abby.", sagte er und versuchte zu lächeln. Doch das blieb eher ein kläglicher Versuch. "Ich kann das verstehen. Schließlich kennen wir uns noch nicht so gut.", redete er nervös weiter, um die erdrückende Stille zu meiden. Ich nickte nur unsicher bis plötzlich wieder Vanessa auf tauchte und sofort die angespannte Stimmung wahrnahm. Schnell begann sie mit einem anderen Thema. Ich war ihr wirklich dankbar für den Themenwechsel und lief mit ihr zu meiner nächsten Stunde. Den gesamten restlichen Tag über musste ich immer wieder an die Situation mit Jonathan denken. Ich setzte nun all meine Hoffnungen auf das versprochene Gespräch beim Krankenhaus. Jonathan muss mir einfach die Möglichkeit geben ihm alles zu erklären.

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