Kapitel 69

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Mein Magen grummelte, denn er war noch immer leer. Doch der missmutige Gedanke jetzt auch noch eine Stunde bei Dr. Klopp putzen zu müssen, verdarb mir auch den kleinsten Rest Hungergefühl. In den Pausen war ich bei Vanessa und ihren Freunden. Es war das erste Mal, dass ich in der Kantine meine gesamte Mittagspause verbracht hatte. Ich fühlte mich zwar noch immer wie das fünfte Rad am Wagen, aber ich gab mir mehr Mühe mich zu beteiligen. Das schien vor allem Anthony zu freuen, der mir gegenüber saß und mich augenscheinlich in der Pause mehrfach beobachtet hatte. Er war es auch, der mich gefragt hatte, ob ich keinen Hunger hätte und der mir angeboten hatte etwas von seinem Essen zu nehmen, aber ich hatte dankend abgelehnt. Während ich tief in meinen Gedanken versunken war, leiteten mich meine Füße weiter zur Praxis. Ich hatte ein ungutes Gefühl tief in meinem Herzen. Eigentlich sollte ich ja nur putzen, doch irgendetwas sagt mir, dass es nicht allein dabei bleiben würde oder ich zumindest ewig putzen müsste, um die Schuldensumme überhaupt abzuarbeiten. Widerwillig drückte ich auf die Klingel und öffnete die Tür, als diese mit einem schrillen Ton das Signal dazu gab. Zu meiner Überraschung schien mich Dr. Klopp zu erwarten, denn er stand bereits im Flur seiner Praxis, dabei war ich mehr als pünktlich. Schließlich wollte ich diesen Menschen nicht noch weiter frustrieren. "Sehr erfreut, Abby. Ich hoffe dir geht es besser. Matthew hat mich über deinen untröstlichen Zustand am Wochenende in Kenntnis gesetzt.", sagte Dr. Klopp mit seiner autoritären tiefen Stimme. Ich nickte nur verunsichert und drückte meine Finger gegen die Innenseiten meiner Jackentaschen vor Nervosität. In seinen Augen lag ein teuflischer Glanz. Ich kann einfach nicht verstehen, wie das Gefühl von Macht Menschen zu Monstern machen kann. Macht ist wie ein langsames Gift. Erst breitet es sich unbemerkt in deinem Körper aus bis es dir deine Sinne vernebelt und den Menschen, der du eigentlich warst und bist langsam niederringt und schlussendlich tötet. Übrig bleibt die Sucht nach noch mehr Macht und Kontrolle, die den leeren Körper zu unmenschlichen Taten motiviert und steuert. Es lief mir erneut eiskalt den Rücken herunter, als ich ihm kurz in die Augen sah. "Umso froher bin ich nun, dass du wieder so gesund scheinst, um deine Arbeit aufzunehmen. Also gut, heute wirst du die Praxis putzen. Das beinhaltet das Wischen und Desinfizieren aller Oberflächen sowie des Bodens. Vorher müssen alle Räume gestaubsaugt werden inklusive des Eingangsbereichs, denn dieser gehört auch zur Praxis. Wir wollen ja nicht, dass du nur die Hälfte der Arbeit erledigst. Außerdem müssen alle Abflüsse gereinigt werden und die Mülleimer geleert werden. Alle Abfälle müssen draußen hinter dem Haus in den Sondermüll. Beim Putzen ziehst du dir bitte den Ganzkörperanzug an. Den findest du, wie auch alle anderen Reinigungsmittel und Reinigungsutensilien, in dieser Kammer.", beendete er seine erklärende Rede und zeigte auf eine kleine Tür unter der Treppe hinter der sich der Putzmittelraum verstecken müsste. Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass ich alles verstanden hatte und hoffte nun inständig, dass er mich damit zum Reinigen entlassen würde. "Meine Praxisassistentin wird dir bei Fragen zur Seite stehen und am Ende kontrollieren, ob du deiner Arbeit ordentlich nachgekommen bist. So, jetzt muss ich ins Krankenhaus. Ich habe eine geplante Operation in einer Stunde." Sein Blick war mahnend. Wieder nickte ich nur. Er kam auf mich zu und tätschelte zu meinem Bedauern meine Schulter, bevor er hinter mir die Praxis verließ. Etwas versteinert stand ich da. "Worauf wartest du? Beginne endlich zu arbeiten!", zickte mich die Frau hinter der Rezeption an. Etwas sauer drehte ich mich um und lief zum Putzmittelraum. Widerwillig quetschte ich meinen Körper in den blauen Ganzkörperanzug, der ekelig an meiner Haut klebte und begann zu putzen. Verzweiflung ließ meinen Magen in meine Hose rutschen, aber all die Wut und Verzweiflung bringt mich nicht weiter. Also schrubbte ich die nächste Stunde meine Finger und Hände wund bis die Praxis vor Sauberkeit blitzte. Zu meinem großen Glück hatte die unfreundliche Frau hinter der Rezeption nichts an meinem Tun auszusetzen und entließ mich in die Freiheit. Wie vom Teufel gejagt, rannte ich nun zum Krankenhaus, stürmte hinein bis ich bei meiner Mom ankam. Müde legte ich meinen Kopf auf meine Arme, die ich auf Moms Krankenbett gelegt hatte und atmete durch. Dann ergriff ich zaghaft Moms Hand und erzählte ihr von meinem Tag. Schließlich konnte ich ihr nun endlich erzählen, dass ich vielleicht gerade dabei war echte Freunde zu finden. Doch als ich von Vanessa und Anthony erzählte, wurde mir schwer ums Herz. Denn tief in mir wusste ich, dass ich Jonathan ziemlich vermisste und es war noch schmerzlicher Mom nicht einfach alles erzählen zu können, weil ich dann zu viel von meinem schrecklichen Leben preis gegeben hätte. Die letzte halbe Stunde bei meiner Mom nutzte ich für die ersten Hausaufgaben und eilte dann im Dunkeln nach Hause. Paranoid drehte ich mich bei jedem Geräusch um. Ich schaute misstrauisch in jede dunkle Gasse und rannte förmlich nach Hause. Die Angst ließ mich immer schneller laufen, aber zugleich trieb sie mich nur in weiteres Unglück. Vor der alten morschen kaputten Tür atmete ich kurz durch, bevor ich eintrat. Man hörte die leisen Geräusche des Fernsehers aus dem Wohnzimmer, weshalb ich schnell in die Küche stürmte, um mit dem Kochen zu beginnen. Von Matthew fehlte noch jede Spur und ich wusste nicht, ob diese Tatsache mich beruhigen oder eher beunruhigen sollte. Pünktlich um sechs Uhr stellte ich das heiße Essen auf den Tisch und kurz danach kam mein Onkel polternd herein. Mit einem Gesichtsausdruck wie drei Tage Regenwetter setzte er sich auf den Stuhl und nahm sich etwas von dem Essen. Geduldig wartete ich, als Matthew herein kam. Augenscheinlich war er bis gerade joggen, denn er war schweißgebadet und in seinen Trainingsanzug gekleidet. Ohne mich zu beachten, setzte er sich und nahm sich ebenfalls von dem Essen. Zum Glück war es während dem Speisen sehr leise, sodass ich erleichtert abräumte und den Abwasch erledigte. Kurz bevor ich fertig war, hörte ich, wie Matthew sich nochmal von seinem Vater verabschiedete und meinte, dass er bei einem Freund schlafen würde. Das ließ mich verwundert aufhorchen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Jonathan ihm so schnell verzeiht und bei ihm schlafen lässt, als wäre gestern nichts passiert. Andererseits hatte Matthew mehr Freunde als nur Jonathan, weshalb es nahe lag, dass er vielleicht bei Chris übernachten möchte. Oder es ist einfach nur ein Vorwand, um in seiner Wohnung zu schlafen und diese weiter zu renovieren, wie er sich ausgedrückt hatte. Möglichst unauffällig checkte ich mein Handy, aber ich hatte, wie zu erwarten, keine Nachricht von Jonathan. Das zog mich nur weiter herunter. Als ich in Richtung meines Zimmers schlich, wurde ich zu meinem Unmut aufgehalten. "Miststück, ich möchte, dass du das ganze Badezimmer putzt, aber sofort! Morgen früh ist das blitzeblank, verstanden?", brüllte mich mein Onkel aus der Tür vom Wohnzimmer an. Missmutig nickte ich und brachte meine Sachen in mein Zimmer. Dann lief ich wehmütig zum Badezimmer und erschrak, als ich die Tür öffnete. Ich rümpfte angeekelt die Nase und musste ein Würgen unterdrücken. Die Toilette war offensichtlich verstopft und Fäkalien waren nun über der ganzen Toilette sowie dem Boden verteilt. Zu meinem Unmut hatte sich niemand dafür verantwortlich gefühlt zumindest das Fenster zu öffnen. Plötzlich wünschte ich mir den Ganzkörperanzug von Herrn Dr. Klopp zurück. Schnell schloss ich die Tür wieder und atmete erst einmal durch, denn mein Körper hatte automatisch die Luft angehalten. Widerwillig holte ich die stärksten Reinigungsmittel, die wir im Haus hatten und einen Pömpel. Bevor ich das Bad betrat, band ich ein Tuch um meinen Mund und meine Nase, dass ich zuvor heimlich mit Matthews Parfum besprüht hatte. Zuerst öffnete ich das Fenster sperrangelweit und begann dann den Saustall vor mir zu reinigen. Ich musste mehrfach eine Pause einlegen und am Fenster Luft holen. Durch mehrfaches Würgen kratzte mein Hals nun fürchterlich, aber ich hatte es geschafft. Das Badezimmer war wieder sauber und die Toilette nicht mehr verstopft. Meine Kleidung schmiss ich danach direkt in die Wäsche und ich gönnte mir eine Dusche, um mich wieder sauber zu fühlen. Total entkräftet setzte ich mich auf meine Matratze. Mit letzter Kraft beendete ich meine Hausaufgaben und lernte für den morgen bevorstehenden Test. Als mein Körper auf die Matratze fiel, war es weit nach Mitternacht. Zum Glück hatte ich es noch geschafft, mir einen Wecker auf meinem Handy zu stellen. Ich konnte es nicht verhindern, dass mein Herz schneller schlug, als ich eine Nachricht bekommen hatte, aber ich war zu meinem Erstaunen ziemlich enttäuscht, als es nur eine Nachricht von Vanessa war. Zum Glück war mein Körper so erschöpft, dass mein Gehirn das Denken aufgab und ich gleich einschlief.

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