Kapitel 86

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Die Zeit schreitet immer mehr voran und so langsam würden mir nur noch wenige Minuten auf der Gala bleiben. Jonathan war umgeben von Chris, Melania und Angelika. Kein Meter hatte er sich von der Bar entfernt und mittlerweile trank er bestimmt sein sechstes Getränk. Ich müsste ihn also gar nicht mehr fragen, ob er mich fahren würde. Schließlich ist er augenscheinlich nicht mehr dazu fähig noch wäre dies erlaubt und überhaupt würde ich mich nicht in ein Auto mit einem betrunkenen Fahrer setzen. Abgesehen davon könnte ich Jonathan in der Anwesenheit seiner Freunde nicht mal fragen, ob er mich nun fährt. Jeglicher Versuch würde damit enden, dass ich verletzt werde, entweder durch die Zurückweisung von Jonathan oder die Beleidigungen durch seine Freunde. Also lief ich kurzerhand zu Anthony. Die Zeit über, die Jonathan an der Bar gesessen hatte, verbrachte ich damit mit Vanessa zu tanzen und Spaß zu haben. Es funktionierte sogar zum Teil, aber immer wieder fand mein Blick Jonathan an der Bar und die große Uhr des Ballsaals. Als ich bei Anthony ankam, drehte er sich zu mir und schaute mich fragend an. "Wäre es möglich, dass die Limousine mich nach Hause fährt?", fragte ich stotternd. "Natürlich, aber willst du jetzt schon gehen? Der Abend hat doch jetzt erst so richtig begonnen.", fragte er verdutzt. "Ich, ich m-muss n-nur leider g-gehen." "Ach ja stimmt, du hattest ja ein Zeitlimit.", stellte er fest und schlug sich gegen die Stirn. "Komm, ich bringe dich zur Limousine.", sagte Anthony nun lächelnd, legte seine Hand auf meinen Rücken und leitete mich so durch die Menge. Es fühlte sich komisch an, seine Hand auf meinem Rücken zu spüren. Ich versuchte immer schneller zu gehen in der Hoffnung, dass er so los lassen müsste. Seine Hand war kalt und hart und seine Berührung so anders als die von Jonathan. Es machte mich unbehaglich. Kurz bevor wir den Saal verließen, trafen sich Jonathan und mein Blick für wenige Sekunden. Verwirrt zog er seine Augenbrauen zusammen und Wut sammelte sich in seinen Augen. Draußen gab Anthony dem Fahrer der Limousine ein Zeichen und er fuhr zu uns herüber. "Der Abend war echt schön.", stotterte ich, um mich von Anthony zu verabschieden. "Ja, das stimmt.", zog Anthony jede Silbe bis ins Unendliche. "D-Danke, dass ich d-die Limousine n-nutzen k-kann." Ich schenkte ihm ein Lächeln und öffnete die Tür. Plötzlich ergriff Anthony meine Hand. "Warte noch einen kurzen Moment, Abby.", hielt er mich auf. Etwas verwirrt drehte ich mich zurück zu ihm. Fragend sah ich ihn an. Er wirkte dagegen gequält und nachdenklich. "Ich weiß nicht, was da zwischen dir und Jonathan ist und ich weiß, es geht mich auch nichts an, aber ich weiß, dass Jonathan ein riesiges verlogenes Arschloch ist. Abby, egal, was er dir sagt oder dir vielleicht verspricht, halte dich lieber von ihm fern. Ich sehe, wie du ihn ansiehst. Er verdient deine Gefühle gar nicht, denn er wird dich nur verletzen. Bitte pass auf dich auf und treffe weise Entscheidungen. Der Kerl hat nicht ein Lächeln von dir verdient, nachdem was er dir alles angetan hat.", sagte Anthony streng und verletzt zu gleich. Zumindest sah ich Schmerz in seinen Augen und fragte mich, warum er so in Sorge um mich war. Schließlich kannte er mich kaum. Ich nickte ihm unsicher zu, denn ich hatte nun wirklich keine Zeit mit ihm zu diskutieren. Nun ergriff Anthony die Tür und hielt sie mir auf. "Komm gut nachhause, Abby." "Danke, Anthony. Bis Montag.", stotterte ich und stieg ein. Anthony schloss die Tür hinter mir und winkte, während die Limousine startete. Ich schaute noch einmal zurück zum Galagebäude, als ich inne hielt, denn Jonathan stürmte aus dem Gebäude heraus. Unsere Blicke trafen sich für wenige Sekunden, dann verließ die Limousine das Gelände. War es falsch, Anthony zu fragen, ob ich mit der Limousine fahren dürfte? Jonathan hatte es offensichtlich nicht gefallen. Ich verstand einfach nicht, warum Anthony ihn so wütend machte, wo ich doch immer zu nur an Jonathan dachte. Auf dem Heimweg hatte ich den Fahrer gebeten, die Zwischenwand hoch zu fahren. So konnte ich mich schnell und unauffällig umziehen. Mein Pullover rutschte über meine Schultern. Nun war ich wieder ich. Meine Haare hatte ich geöffnet. Allein die Schminke deutete nun noch auf meinen Abend als verkleideter Traum hin, alles andere war wie zuvor. Im ungemütlichen Teil der Stadt flackerte das Licht der Laternen und ich hatte die leise Hoffnung, dass mein Onkel womöglich nach dem Spiel mit zu seinem zwielichtigen Freund gehen würde. Die Limousine kam zum Stehen. Ich bedankte mich schnell bei dem Fahrer und stieg mit meinen Sachen in die Dunkelheit. Kein Licht brannte im Haus. Erleichterung machte sich in mir breit. Mein Onkel war also offensichtlich noch nicht zu Hause. Schnell eilte ich um das Haus herum und durch den Hintereingang hinein. Mein Rucksack warf ich erst mal unbedacht neben die Treppe. Dann begann ein kleiner Putzmarathon. Denn ich sorgte innerhalb von wenigen Minuten dafür, dass der untere Teil des Hauses wieder betretbar war. Nun hatte ich zwei Säcke voll leerer Bierdosen in der einen Hand und den Wischmopp in der anderen. Es war noch immer relativ still in der Umgebung, also ließ ich mir nun etwas mehr Zeit beim Müll heraus bringen. Die Putzutensilien hatte ich bereits verstaut. Ich atmete etwas erleichtert auf. Es war also nun alles geschafft. Mein Onkel hatte vermutlich nicht mitbekommen, dass ich nicht zu Hause war und er hätte zumindest keinerlei Grund mich wegen des Hauses zu verletzen. Gerade als ich zurück zum Hintereingang lief, hörte ich plötzlich ein leises Rascheln. Ich hielt kurz inne und drehte mich um. Es war nichts zu sehen, andererseits war es so dunkel, dass ich fast meine eigene Hand nicht vor Augen sah. Die kleinen Härchen auf meinem Nacken, hatten sich aufgestellt und mein Körper überzog eine Gänsehaut. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich erneut ein komisches Geräusch vernommen hatte. Schnell eilte ich die letzten Schritte zum Eingang, als ich plötzlich zurück gezogen wurde. "Ahhh!" Ich schrie erschrocken auf bis sich blitzschnell eine warme Hand vor meinen Mund legte. Mein Herz raste vor Angst und ich versuchte mich los zu reißen. Plötzlich schlug mein Rücken gegen eine muskulöse Brust. "Hey Abby, beruhige dich. Ich bin es nur. Alles ist gut. Ich bin es nur.", flüsterte er eine mir allzu bekannte Stimme beruhigend ins Ohr. Meine Muskeln entspannten sich und in Windeseile drehte ich mich zu ihm. In seinen Augen wütete ein Sturm. "Jonathan." Mehr wollte mir nicht über die Zunge kommen. Ich musste den Schock erst einmal noch verdauen. "Warum hat dich Anthony nach Hause gefahren? Wir hatten doch abgemacht, dass ich dich fahren würde.", fragte er vorwurfsvoll. "Ja, aber du warst umgeben von Chris und Melania. Außerdem hast du getrunken.", stotterte ich hervor. "Ja, alkoholfreies Bier und Cola.", sagte er ernst. "Oh." "Ja oh, ich habe extra nichts getrunken, um dich nach Hause zu fahren. Ich habe es dir schließlich versprochen." Jonathan war wütend und daran könnte ich womöglich nichts ändern. "Aber wie hätte ich dir denn ein Zeichen geben sollen, dass ich los muss. Du hast mich nicht mal angesehen.", meinte ich nun verständnislos. Plötzlich veränderte sich seine Miene. "Hast du mich beobachtet?", fragte er arrogant und ein schiefes Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Ich...", begann ich, aber wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. "Abby, ich hatte dich immer im Augenwinkel. Ich hätte und habe es auch sofort gesehen, dass du gegangen bist.", sagte er wieder ganz ernst. "Es t-tut m-mir leid.", nuschelte ich leise, als mir klar wurde, dass er mich wirklich direkt angesehen hatte, als ich gegangen bin. Ich hatte die Situation offensichtlich komplett falsch eingeschätzt. "Abby , du musst mir einfach vertrauen." "Aber wie Jonathan? Wie soll ich dir in der Öffentlichkeit vertrauen, wenn ich doch weiß, dass ich da nur auf Zurückweisung stoßen werde?", stotterte ich verzweifelt. Er seufzte und griff sich in den Nacken. Es blieb still und auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, verletzte es mich, dass er mir nicht antwortete. "Warum bist du hier?" Ich muss zugeben, es überraschte mich sehr, dass er mir wütend hinter her gefahren sein musste. Schließlich ignorierte er mich doch immer, wenn er wütend war. Jonathan ergriff sanft meine Hand. "Ich musste mich vergewissern, dass es dir gut geht.", sagte er leise und zog mich näher an sich. Mein Kopf lehnte nun an seiner Brust. "Na ja und eigentlich wollte ich dich überzeugen mit zu mir zu kommen.", flüsterte er nah an meinem Ohr. Irritiert löste ich mich wieder von ihm. "Wenn du dich erinnern kannst, hatten wir Anfang der Woche eine Abmachung. Du musst noch einmal nach Hause, um deine wichtigen Sachen zu packen und dann würdest du nie wieder zu diesem Bastard gehen." Jonathan hatte Recht. Am Montag sollte ich meine Sachen packen und es wäre die letzte Nacht dort gewesen. "Ist der Bastard schon zu Hause?", fragte er wutentbrannt. Ich schüttelte schnell den Kopf. "Nein, d-das ist er n-nicht." "Okay, dann gehen wir jetzt schnell deine Sachen packen und du kommst mit mir. Ich werde nicht eher weg fahren, bevor du bei mir im Auto sitzt.", sagte er streng. Zweifel und Angst drängten sich in meine Gedanken. Das war alles so riskant. "Komm wir holen deine Sachen." Jonathan nahm meine Hand und zog mich hinein. Er hatte gar nicht auf eine Antwort meinerseits gewartet. Ich würde ihn niemals vom Gegenteil überzeugen können. Vor allem, weil ich selbst tief in meinem Herzen zu ihm will und weg von diesem Haus voll Schmerz und Trauer. Im Flur hielt ich kurz an, um meinen Rucksack zu nehmen. Plötzlich erklang das Knartschen der Haustür. Erschrocken mit weit aufgerissenen Augen sahen Jonathan und ich uns an.

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