Kapitel 61

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Wir saßen bestimmt zehn Minuten einfach so da, aber genau kann ich es nicht sagen. Es war, als hätte ich völlig mein Zeitgefühl verloren. Irgendwann wachte ich aus meinen wirren Gedanken auf durch eine Bewegung von Dr. Brenigan. Sie tippte etwas in ihren Pager. Doch ich konnte nicht lesen, was sie schrieb. Was ist, wenn sie den Sicherheitsdienst oder die Polizei alarmiert? Was ist, wenn sie glaubt, Matthew würde mir immer solch schlimme Gewalt antun? Plötzlich knarrte die Tür und kein anderer als Dr. Brenigans Mann stand vor uns. Hatte sie ihn benachrichtigt? "Was ist hier passiert?", fragte er besorgt und kam sofort auf uns zu. "Abby muss zu uns nach Hause. Sie ist hier nicht sicher. Wir können die Polizei nicht benachrichtigen.", sagte Misses Brenigan gehetzt zu ihrem Mann. Der sah sie wiederum sehr entgeistert und schockiert an. Er verstand vermutlich kein bisschen von dem, was Misses Brenigan herunter gerattert hatte. "Was? Wieso? Was ist hier passiert, Maggie?", fragte Mr. Brenigan verständnislos. Doch ich hörte ihm gar nicht richtig zu, ich war viel zu sehr in meinen Gedanken. In einem inneren Dilemma zwischen Freude und Verzweiflung rang ich um eine Antwort. Sollte ich glücklich sein zu den Brenigans zu kommen? Was ist mit Jonathan? Er war heute morgen so anders. Bestimmt will er mich gar nicht bei sich haben. Wieso hat Misses Brenigan gesagt, dass sie die Polizei nicht verständigen will? Will sie Matthew schützen, weil er Jonathans Freund ist? Oder will sie mich schützen, weil ich zuvor schon einmal gefleht hatte die Polizei nicht zu verständigen? Vielleicht steht sie auch noch selbst unter Schock und weiß nicht, was sie gerade gesagt hat. Mittlerweile überwog der Gedanke, dass ich lieber im Krankenhaus bleiben sollte. Ich wollte Jonathan nicht unter die Augen treten. Womöglich könnte er sogar wieder wie ausgewechselt sein, als wäre heute morgen nichts passiert, so wie es schon oft war. Er hatte nun mal unberechenbare Stimmungsschwankungen, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass er noch immer fies zu mir sein würde. Dabei war er ja nicht direkt fies, nein, er war außer sich und eher schroff statt wie sonst verständnisvoll. Ich verstand noch immer nicht, warum er sich so verhalten hatte, aber ich wusste, dass ich zum ersten Mal, seitdem Jonathan und ich uns näher sind, nicht zu ihm nach Hause wollte. Denn das Gefühl von Geborgenheit und eines Zuhauses hing hier konsequent mit Jonathan zusammen. Ich glaube nicht, dass es noch immer so schön sein würde bei den Brenigans, wenn Jonathan mich mit dieser ignoranten Eiseskälte begegnet. Während ich mal wieder tief in meinen Gedanken versunken war, hatten Mr. und Ms. Brenigan bereits weiter mit einander diskutiert. "Gut, dann fahre ich euch jetzt zu uns nach Hause. Maggie, du stehst noch immer unter Schock. Ich möchte nicht, dass du in diesem Zustand Auto fährst. Du darfst jetzt nicht mehr nur an dich denken.", sagte Mr. Brenigan streng. Misses Brenigan nickte, stand auf und zog mich mit sich hoch. "Ich besorge einen Rollstuhl." Damit verschwand Mr. Brenigan und ließ mich verwirrt zurück. "W-wie m-meinte er d-das?" "Was?", fragte Ms. Brenigan verwirrt. "Dass du nicht mehr nur an dich denken darfst.", stotterte ich. Ich setzte mich vorsichtig auf die Kante meines Bettes und sah sie forschend an. Auf ihren Lippen legte sich ein wunderschönes breites Lächeln. "Achso, das meintest du. Ich bin jetzt im vierten Monat schwanger. Wir wollen es bald den Kindern sagen.", gab sie überglücklich zu und legte dabei ihre Hand auf ihren Bauch. Ich freute mich wirklich für sie, keine Frage, aber mein erster Gedanke galt Jonathan und mich überkam sofort das üble Gefühl, dass er diese Nachricht nicht so gut auffassen wird, wie Dr. Brenigan es sich sichtlich erhofft. "D-das ist schön.", brachte ich hoffentlich glücklich hervor, denn bei meiner Angst um Jonathans Reaktion fiel es mir schwer freudig zu sein. Bevor noch ein weiteres Wort gewechselt werden konnte, stand Mr. Brenigan im Raum mit einem Rollstuhl. Kurzerhand wurde ich dort hinein gesetzt und meine Tasche auf meinen Schoß gestellt. Dann wurde ich durch die Krankenhausflure geschoben. Es ging alles unheimlich schnell, als wären wir drei auf geheimer Mission und es war tatsächlich so absurd, wie es gerade klang. Auf den Fluren war niemand zu sehen, als wüssten alle bescheid, dass sie gerade diese Flure meiden müssten. Dr. Brenigan eilte neben ihrem Mann den Gang herunter, während dieser mich ziemlich schnell, schon fast rennend, durch das Krankenhaus schob bis wir plötzlich in der Parkgarage des Krankenhauses ankamen und Mr. Brenigan mir half in seinen viel zu teuren Sportwagen einzusteigen. In nur Bruchteilen einer Minute saßen wir alle im Auto und fuhren ins Helle. Ich wollte nicht zu den Brenigans und doch sitze ich nun hier, ohne dass ich gefragt wurde, auf den Weg zu ihnen. Mr. und Ms. Brenigan redeten kein Wort. Es herrschte eine angespannte schon fast elektrisierende Stille. Das Radio war aus und man hörte bis auf die lauten Motorgeräusche keinen Laut. Ich kam mir immer unerwünschter vor und das schlechte Gewissen plagte mich zunehmend. Ich hätte Matthew nicht provozieren dürfen. Dann wäre ich jetzt noch im Krankenhaus und nicht hier. So laut meine Gedanken in meinen Ohren auch dröhnten. Irgendwann nahm die Müdigkeit Besitz von mir und ich driftete in einen unruhigen Schlaf. Als ich erwachte, wusste ich erst einmal nicht, wo ich war bis meine Erinnerungen sich langsam einen Weg zu mir in meine Gedanken bahnten und doch wusste ich nicht, wo ich mich im Hause der Brenigans befand. Ich kannte diesen Raum nicht. Er war mir völlig unbekannt mit seinen beigen Tapeten mit Rosenmuster und dem dazu passenden dunkelroten Teppich, der den gesamten Boden des Raumes verkleidete. Die Möbel waren in einem dunklen Holzton gehalten und ich lag in einem für meine Größe viel zu großen Bett. An den Wänden hingen ziemlich bunte Bilder von verschiedenen Landschaften und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Jonathan sie gemalt hatte. Denn sein Malstil war unverkennbar und atemberaubend präzise sowie filigran. Der Raum war abgedunkelt. Jemand müsste die Jalousien herunter gezogen haben. Wackelig stand ich auf, nur um meine Kleidung zu wechseln. Dann kuschelte ich mich zurück ins Bett und schloss meine Augen, aber ich fand nicht zurück in den Schlaf. Noch immer fühlte ich mich unerwünscht oder zumindest fehl am Platz. Ich hatte keine Ahnung, in welchem Zimmer ich mich in diesem großen Haus befand und ebenfalls keine Antwort auf die Frage, welche Stimmung gerade im Haus herrschte. Man hörte keine Stimmen. Vielleicht war ich ja sogar allein im Haus. Dieser Gedanke erleichterte mich jedoch nicht, sondern machte mir eher Angst. Wer will schon allein in einem unbekannten Haus sein? Anhand des matten Lichts, dass durch die Ritzen der Jalousie drang, wusste ich, dass es Tag sein müsste, vermutlich später Abend, aber sicher konnte ich es nicht sagen. Im gesamten Raum hing keine Uhr, noch stand irgendwo ein Wecker. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, nur dass ich es dringend nötig gehabt hatte nach den Ereignissen des Tages. Mein Hals fühlte sich geschwollen an und mir fiel es schwer zu schlucken. Vermutlich waren dies die üblen Nachwirkungen des Vorfalls mit Matthew. Wahrscheinlich trug ich erneut blau lilane Mahle an meinem Hals. So könnte ich Jonathan niemals unter die Augen treten. Vor allem weil er noch immer das Gespräch weiter führen möchte, dass ich nicht nach mir zu Hause zurück kehren soll. Einerseits konnte ich seine Sorgen verstehen und ich selbst will nicht zurück keineswegs, aber mir blieb keine große Wahl. Weder möchte ich ins Heim, noch könnte ich mir eine Wohnung leisten. Die Entscheidung läge zwischen Miete für die eigene Wohnung oder Moms Krankenhausrechnungen und da würde ich mich immer für Mom entscheiden, komme, was wolle. Plötzlich hörte ich eine Tür zuschlagen und zuckte erschrocken zusammen. Der Knall hallte durch das Haus und es wurde wieder leiser. Ich versuchte mich zu entspannen, doch mein Gefühl sagte mir, dass das nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. "Lass mich, Mom!", hörte ich Jonathan wütend rufen. "Jonathan, verdammt, rede mit mir!" "Nein, Mom!" Ich hörte laute Schritte vor meiner Tür und hielt den Atem an. "Du musst leise sein.", flüsterte Misses Brenigan, die Jonathan wohl gefolgt sein müsste. "Wieso?", fragte er gereizt ohne seine Lautstärke zu verändern. "Weil Abby im Gästezimmer schläft." "Was? Wieso ist sie hier?" Ich konnte seine Stimme nicht deuten und das machte mir Angst. Er wollte mich wohl wirklich nicht hier haben. Also ist er wütend auf mich, aber wieso? Was habe ich falsch gemacht?

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