Kapitel 9

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Jonathan lehnte locker im Stuhl. Seine kastanienbraunen Haare waren etwas verwuschelt. Er trug einen blauen Pullover, der seine muskulösen Arme betonte. Mal wieder sah er unverschämt gut aus. Noch immer konnte ich nicht realisieren, dass er überhaupt hier war. Mit ihm hätte ich nie gerechnet. "Also Freak? Können wir arbeiten?" Damit holte er mich aus meinen Gedanken. "J-ja.", stotterte ich und versuchte nun vorsichtig aufzustehen. Verwirrt sah er mich an. "Wo willst du hin?" "M-meine T-tasche" "Bleib liegen, ich hole sie dir.", sagte er schnell und stand auf. Er muss meine Schultasche mit abgegeben haben, denn sie war schon hier, als ich nach der Operation aufwachte. Mit einem dumpfen Geräusch ließ er sie auf das Bett fallen und setzte sich wieder. "D-danke." Er nickte mir zu und schaute auf sein Handy. Ich wühlte in meiner Tasche bis ich meinen Block fand und meine Federmappe. Zum Glück hatte ich schon etwas verfasst für das Projekt.  Ich klappte meinen Block auf und überflog meinen Erstentwurf für die Geschichte. Als ich wieder aufsah, war er noch immer auf sein Handy fokussiert. "Jon-Jonathan?" Er sah auf und fixierte mich mit seinen blauen Augen. Ich spürte, wie ich Gänsehaut bekam bei seinem intensiven Blick. "Hier, das ist mein erster Entwurf.", stotterte ich und reichte ihm meinen Block. Er antwortete nicht, sondern nahm mir nur den Block ab und überflog nun die Geschichte. Zwischendurch bildete sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. Es sah ganz anders aus, als das arrogante Grinsen, dass er sonst immer auf den Lippen trug. Als ich realisierte, dass ich ihn die ganze Zeit über angestarrt hatte, schaute ich schnell auf meinen Schoß und spürte, wie sich meine Wangen erhitzten. Wieso schaue ich ihn mir immer so genau an? Er räusperte sich und gewann somit wieder meine Aufmerksamkeit. "Ich finde sie echt gut. Ich mag es, wie du die Momente zwischen den Kindern in Worte fasst. Du beschreibst alles sehr genau. Man kann es sich richtig gut vorstellen. Ich hätte nur ein paar Ideen, was man ändern könnte." Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und meine Wangen, die gerade abkühlten, wurden nun wieder feuerrot. Er hatte meinen Schreibstil komplimentiert. Unglaublich! Er findet die Geschichte richtig gut. Ich kann es nicht glauben. Nervös kratzte er sich am Hinterkopf, nachdem er mich gemustert hatte. "Ähm ja, die Geschichte ist ganz in Ordnung, bilde dir nichts darauf ein", sagte er nun mit einem genervten Unterton und reichte mir meinen Block. Da war sie wieder seine versteinerte ernste Miene. Zurück in seiner Rolle lehnte er sich im Stuhl zurück und fixierte mich ernst. Ich seufzte. Warum fühlte er sich nur zu cool für Komplimente? "W-was sind d-denn d-deine Ideen?", fragte ich nun und holte mir einen Stift aus der Federmappe, um Notizen zu machen. Er stand auf und lief zu mir. Neben dem Bett blieb er stehen und zeigte auf eine Stelle der Geschichte. Ruhig erklärte er, was er daran ändern würde. Angestrengt versuchte ich ihm zu zuhören, aber das war gar nicht so einfach, weil er mir so unheimlich nah war. Sein Geruch zog in meine Nase und ich erwischte mich dabei, wie ich tiefer einatmete. Sein Parfum oder Aftershave roch wirklich gut. Schnell machte ich mir am Rand Notizen, denn er sprang schon zur nächsten Stelle. Innerhalb von einer Viertelstunde hatten wir die Geschichte besprochen und die meisten seiner Ideen fand ich sogar richtig gut. Sie passten zur Geschichte und meistens waren es nur Details, die die Szene weiter ausschmücken sollten. "Krass, wir sind schon richtig weit.", stellte er fest und setzte sich auf den Stuhl. Ich nickte ihm zu und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Die Zusammenarbeit mit ihm ist zwar anstrengend, aber er gibt sich Mühe einigermaßen umgänglich zu sein. Er war so ganz anders wie sonst. Ich wünschte mir, er würde immer so sein. Doch ich wusste, dass das wahrscheinlich zu viel verlangt war. "Ich werde deine Ideen einfließen lassen und die Geschichte überarbeiten.", stotterte ich, um die Stille zu durchbrechen, die sich wie eine Wand um uns herum aufgebaut hatte. Er sah von seinem Handy auf und nickte. "Gut, ich könnte erste Skizzen machen. Kann ich mir den Text schnell abfotografieren?" Ich nickte und reichte ihm erneut meinen Block. Während er die Fotos vom Text schoss, wirkte er nachdenklich. "Wie geht es dir eigentlich, Abby?", seine Stimme klang schon fast unsicher und er schaute starr auf sein Handy und den Block. Ich hatte nicht mit der Frage gerechnet und wusste nicht, ob ich ihm die Wahrheit erzählen sollte. "G-ganz gut. Ich, ähm, ich habe n-noch ein b-bisschen Schmerzen." Er schaute auf und seine eisblauen Augen wirkten nicht mehr so kalt und unnahbar, sondern besorgt. "Wann kannst du nach Hause?" "M-morgen, aber ich, ich s-soll m-mich noch ausruhen." Er nickte und schaute zurück auf sein Handy. "Danke Jonathan.", stotterte ich nervös und unsicher. Verwirrt schaute er mich an. "F-für alles." Er sah mich lange an. Ich konnte sein Blick nicht richtig deuten. Was soll das? Was hat das zu bedeuten? Dann nickte er und setzte wieder seine steinernde Maske auf. "Hier. Ich gehe jetzt meine Mom suchen. Man sieht sich, Freak.", sagte er arrogant und schmiss den Block auf meinen Schoß. Dann verschwand er. Dieser Junge hat wirklich Stimmungschwankungen. Ich seufzte. Wieso interessierte ich mich plötzlich so für ihn? Wieso geistert er immer wieder durch meine Gedanken? Er kann so ein Idiot sein und dann ist er wieder umgänglich und schon fast nett. Schrecklich, dass man nicht einschätzen kann, wie er mit einem umgehen wird. Ich konnte mir wirklich kein Bild von ihm machen, denn er hat zwei verschiedene Seiten ähnlich wie Matthew. Nur bei Matthew weiß ich anhand seines Gesichtsausdrucks, wie er mich behandeln wird. Entscheidend ist auch die Umgebung. Zuhause ist er meist viel netter außer sein Vater bzw. mein Onkel ist daheim. In der Schule brauchte ich noch nie hoffen, dass er nett sein würde, denn dort tat er alles, um den Leuten zu zeigen, wie sehr er mich angeblich hasst. Jonathan dagegen konnte von einer Sekunde auf die nächste ein ganz anderer Mensch sein. In einem Hauch von einem Augenblick ändert sich der Ausdruck in seinen Augen. Vielleicht muss ich mehr auf sie achten, wenn er in der Nähe ist. Schließlich zeigten sie die größten Anhaltspunkte seiner momentanen Stimmungslage. Ich hob die Tasche vom Bett und legte sie vorsichtig auf den Boden. Matthew würde mich morgen abholen, wenn ich entlassen werde. Zumindest hatte er das Dr. Brenigan gesagt. Sie ist jeden Tag während ihrer Schicht hergekommen, um sich nach mir zu erkundigen und mit mir zu reden. Der Gedanke zurück nach Hause zu müssen, ließ mich frösteln. Meine Wunden sind noch nicht verheilt. Wie sollte ich meinem Onkel erklären, wo ich die ganze Zeit über war, ohne dass er gleich auf mich einprügelt? Angst durchfuhr meinen gesamten Körper bei den Gedanken und einzelne Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich schaute zum Fenster heraus. Es war schon erbärmlich sich zu wünschen im Krankenhaus bleiben zu dürfen, wo sich jeder Patient doch wünscht nach Hause zu dürfen. Erste Tränen kullerten meine Wangen hinunter. Die Dämmerung hatte eingesetzt und rosarote Wolken türmten sich neben grauen und orangenen Wolken auf. In der Ferne konnte man noch die letzten Umrisse der Sonne ausmachen. Wie vergänglich doch ein Tag ist, mein Gedanke wurde durch das Poltern der Tür unterbrochen. Vor Schreck zuckte ich zusammen. "Freak, ich habe meine Jacke vergessen." Jonathan stürmte in den Raum. Mein Blick fuhr zum Stuhl. Tatsächlich hing dort seine schwarze Lederjacke, die ist mir zuvor gar nicht aufgefallen. Er nahm sich die Jacke und wollte schon zurück zur Tür, als sich unsere Blicke trafen. Irritiert hielt er in seiner Bewegung inne und blieb schlussendlich stehen. "Wieso weinst du?", fragte er besorgt und lief zum Bett. Ich wusste nicht warum, aber in mir sammelte sich Wut. Vielleicht lag es daran, dass er mich behandelte, wie er wollte. "Egal.", stotterte ich und wischte mir schnell über die Wangen. Ich schaute auf meinen Schoß. Erneut legte er sanft seinen Finger unter mein Kinn und hob es an. "Abby, das ist es nicht.", sagte er ernst. Ich zuckte weg und meine Wut auf ihn wurde immer größer. "Verschwinde! Du hast mich in den letzten Monaten so oft zum Weinen gebracht und es war dir immer egal. Nein, es war sogar toll für dich mir weh zu tun, mich zu beleidigen und zu demütigen. Also geh, es kann dir weiterhin egal sein.", stotterte ich und schaute ihn mit Tränen gefüllten vor Wut funkelten Augen an. Er wirkte geschockt und ging ein Schritt zurück. Verwirrt musste ich feststellen, dass er sogar für einen Moment verletzt aussah. Doch dann wurde seine Miene ernst und er ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich wusste nicht warum, mich überkam ein Gefühl der Reue, dabei hatte ich jeden Grund wütend auf ihn zu sein und es war dringend überfällig ihm meine Meinung zu sagen, doch der kurze Moment in den seine Augen verletzt und traurig in die meinen sahen, ließ mich elendig fühlen. Ich war wütend auf mich, dass ich mich so fühlte und dass stoppte die Tränen nicht, sondern beschleunigte nur ihren Fall.

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