Kapitel 17

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Zu Hause angekommen war ich noch immer sauer. Normalerweise hätte mich der Aufenthalt bei Mom im Krankenhaus beruhigt, aber ich war noch immer total aufgewühlt und mit den Gedanken bei zwei eisblauen Augen, die mich vor meinem inneren Auge arrogant anfunkelten. Gedankenverloren beim Kochen zu sein, hatte unglückliche Nachteile. Ich hatte mich bereits zweimal an der Pfanne leicht verbrannt und hätte fast die Kartoffeln überkochen lassen. Das machte mich wiederum nur noch wütender. Wieso kann der Idiot mich nicht einfach in Ruhe lassen? Was bildet der sich eigentlich ein? Gut, seine Mom ist eine wundervolle Ärztin, die bestimmt viel Geld verdient nach seinem Auto zu urteilen, aber das gibt ihm doch nicht das Recht sich über andere hinweg zu setzen und sie zu nichte zu machen. Ich stellte genervt seufzend das Essen auf den Tisch. Kann ich nicht einfach aufhören über ihn nachzudenken? Vor dem Projekt war er mir doch auch vollkommen egal. Ich war nur froh, wenn er mich in Ruhe ließ und nun ist er ständig Teil meiner Gedanken. Kann ich meine Gedanken irgendwie beeinflussen? Mein Onkel schlug die Tür auf, weshalb ich zusammen zuckte. Er war in keinem guten Zustand und das machte mir ziemlich Angst. Nervös wartete ich auf Matthew, aber er war scheinbar nicht zu Hause. Mein Onkel hatte tiefe Ringe unter den Augen. In seinen Augen sah ich, wie viel er bereits getrunken hatte und das war deutlich mehr, als sonst um diese Uhrzeit. Als ich ihm ein Bier holte, wanderte mein Blick kurz zum Kalender und mit einem Mal war klar, warum Matthew nicht da war und sein Vater in diesem Zustand war. Heute war der Todestag von Matthews Mutter. Sie war wohl an Krebs verstorben, genaues wusste ich nicht. Dieses Thema war Taboo und ein großes Schweigen wurde darum gemacht. Ich schluckte ängstlich. Schnell reichte ich ihm sein Bier. "Tue mir Essen auf!", befahl er lallend und ich tat ihm schnell das Fleisch und Kartoffeln auf. Gerade als ich mich setzte und mir ebenfalls etwas auftuen wollte, schmiss er plötzlich wutentbrannt den Tisch um. Die heiße Soße landete auf meinen Beinen, weshalb ich schmerzhaft aufstöhnte. "Du Miststück kannst auch nichts!", brüllte er und lief auf mich zu. Schnell erhob ich mich und rannte los, aber er konnte noch meine Haare ergreifen. Schmerzhaft zog er mich an ihnen zurück, weshalb ich aufschrie. Im nächsten Moment drückte er mich gegen den Kühlschrank und würgte mich. Sein Blick war getränkt in Wut und Verzweiflung. Verzweifelt versuchte ich seine Hände wegzudrücken, aber er war zu stark und mir blieb langsam die Luft weg. Ich versuchte ihn mit meinen Beinen wegzutreten, doch dafür kassierte ich eine Ohrfeige. Meine Lungen begannen zu brennen. Angst machte sich mehr und mehr in mir breit. Was ist, wenn er nicht aufhört? Dann ließ er mich los. Ich fiel hustend und keuchend zu Boden. "Das Fleisch ist zu lange gebraten und versalzen, Schlampe!", damit trat er mir in den Magen und verschwand mit dem Bier. Ich weinte bitterlich und keuchte weiter um Luft und vor Schmerz. Die Küche war ein reinstes Chaos und so wie es klang, zerlegte er gerade von der Trauer und Wut getrieben das Wohnzimmer. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag bis ich mich aufraffte und die Küche begann zu putzen. Es liefen noch immer Tränen über meine Wangen, während ich den Boden wischte. "Was ist passiert?", fragte Matthew erschrocken, als er zur Tür herein kam. Ich zeigte ihm mit meiner Hand leise zu sein. Er kam zu mir und half mir hoch. Besorgt musterte er mich und blieb an meinem Hals stehen. Er sah geschockt aus. Auch Matthew war in keinem besonderen Zustand. Er wirkte müde und blass. "Hat er dich gewürgt?", fragte er geschockt. Ich nickte. "Das Essen schmeckte nicht.", erklärte ich stotternd und schluchzend. Ich wusste nicht, ob er überhaupt ein Wort verstehen konnte, doch er nickte. "Geh hoch und ruhe dich aus. Ich kümmere mich um den Rest.", sagte er entschlossen und nahm mir den Wischmopp ab. Ich nickte ihm dankend zu und schleppte mich hoch ins Badezimmer. Dort zog ich meine nasse Hose aus und wusch sie. Meine Beine waren gerötet durch die heiße Soße. Dann stellte ich die Waschmaschine an und duschte so leise wie möglich. Als ich meinen Hals im Spiegel sah, schluckte ich schwer. Ich hatte deutliche blaue Handabdrücke am Hals.  Wie sollte ich die nur morgen verstecken? Noch immer liefen Tränen meine Wangen hinunter. Ich zog mich gemütlich an und hing noch die Wäsche auf, als sie gewaschen war. Müde trug ich mich auf meine Matratze. Matthew hatte mir noch eine Schmerztablette gegeben und ich war erleichtert, dass sie dazu beitrug, dass ich in einen traumlosen Schlaf fiel. Lautes Klopfen holte mich aus dem Schlaf und sofort griff ich an meinen schmerzenden Hals. Ich konnte nur schwer schlucken, wahrscheinlich war er leicht geschwollen. Vorsichtig setzte ich mich auf und zog mir einen schwarzen etwas engeren Pullover an und eine blaue Jeans, die zum Glück über Nacht getrocknet war. Im Spiegel im Bad machte ich meinen Schal um und stellte frustriert fest, dass er nur einen Teil des Schadens verdeckte. Ich machte meine Haare auf und meine langweiligen braunen Haare fielen in leichten Wellen bis zu meiner Brust herunter. Ich hasste es meine Haare offen zu tragen, weil sie mir stets ins Gesicht fielen, aber sie konnten alles verdecken, weshalb ich es wagen müsste. Mir war kalt, weshalb ich noch einen alten dunkelroten Cardigan überzog. Es gab noch keinen Schultag, an dem ich mit offenen Haaren zur Schule gelaufen war. Als ich die Treppe herunter lief, war im leichten morgendlichen Sonnenschein das Ausmaß der Zerstörung im Wohnzimmer zu sehen. Überall lagen leere Flaschen und kein Teil stand mehr auf dem anderen. Ich seufzte verzweifelt, wahrscheinlich würde es mein Job sein, das heute Abend aufzuräumen. Geschickt schlich ich leise ins Wohnzimmer und sammelte schon mal die leeren Flaschen auf. Dann machte ich mich auf den Weg zur Schule und aß meinen Apfel. Ich hatte Glück, das schlechte stürmische Regenwetter von gestern hatte sich verzogen und die Sonne schien schwach am Horizont, der durch die hohen Häuser der Stadt kaum auszumachen war. An der Schule angekommen, sahen mich alle an, als sei ich ein Außerirdischer von einem fernen Planeten. Geduckt lief ich zu meinem Spind und holte die Bücher für den heutigen Tag heraus. Die Blicke hörten nicht auf und brannten sich förmlich in meinen Rücken ein. Den ganzen Morgen über wurde ich angestarrt. In dem Biologietest hatte ich glücklicherweise sehr gut abgeschnitten und war nun erleichtert in meiner Ecke in der Bibliothek zu sitzen. Vertieft in meinem Buch hatte ich gar nicht bemerkt, dass sich zwei Gestalten in den Gang neben mir bewegt hatten. Durch leise tiefe Stimmen schreckte ich hoch und konnte es nicht verhindern, dass ich neugierig lauschte. Normalerweise war außer mir in den Pausen niemand in der Bibliothek. "Hast du Schmerzmittel von deiner Mutter bekommen?", fragte die eine männliche Stimme, die verblüffend viele Ähnlichkeiten zu Matthews Stimme aufweiste. "Ja, aber ich dachte, er schlägt dich nicht mehr. Oder hat er es gestern getan wegen dem Todestag deiner Mutter? Du hättest doch bei mir bleiben sollen." "Jonathan!", brummte Matthew ärgerlich und nun blieben keine Zweifel mehr. Matthew bekam die Schmerzmittel, die er mir gab von Jonathan und er wiederum von seiner Mom. "Tut mir leid.", sagte Jonathan, klang jedoch besorgt. "Er hat mich nicht geschlagen. Er ist nur momentan wieder so wütend. Ich will einfach etwas für den Notfall zu Hause haben.", verteidigte sich Matthew. "Ich will einfach nicht, dass er dir weh tut. Alter, er ist dein Vater." Jonathan klang verzweifelt. Ich wusste, ich dürfte nicht lauschen und dass es mich in eine ziemlich gefährliche Situation bringen würde, wenn einer der beiden mich hier entdeckt. "Das hatten wir doch schon. Lass gut sein, Jonathan.", winkte Matthew genervt ab und schien zu gehen. "Warum lässt er sich nicht helfen?", fragte Jonathan aufgebracht die Luft und verschwand ebenfalls aus der Bibliothek. Ich traute meinen Ohren nicht. Jonathan wusste also, dass Matthew von seinem Vater verprügelt wird bzw. wurde und er versucht ihm zu helfen, in dem er ihm Schmerzmittel besorgt. Ich schluckte. Ich hatte ihre Freundschaft mehr als unterschätzt, nein, ich hatte ein komplett falsches Bild von den beiden. Jonathan war also nicht von Grund auf böse und ein Idiot.

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