Kapitel 1

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Der Moment, der mein Leben aus allen Fugen riss, war nur wenige Sekunden lang, der Schmerz, den er hinterließ, werde ich für immer spüren...

Vor 5 Monaten, 6 Tagen und ca. 3 Stunden fuhr ein LKW auf das Stauende auf und drückte das Auto meiner Eltern gegen das Auto vor ihnen. Mein Dad war sofort tot, meine Mom liegt seit dem im Koma.

Das sind die Fakten, die Realität ist, dass ich seitdem nicht mehr ich selbst bin. Mein Leben, dass ich wie ein Kartenhaus immer höher gebaut habe, wurde mit einem Windzug zerstört. Ich erhielt die Nachricht kurz vor dem Vortanzen für die Tanzakademie. Meine Eltern waren auf dem Weg zur Audition. Monika, meine Tanzlehrerin, kam auf mich zu und hatte Tränen in den Augen. Ihr Blick hielt so viel Mitgefühl oder ich beschreibe es besser als Mitleid. Ich wusste, dass etwas passiert war. Ich hatte es deutlich in meinem Herzen gespürt, dass es etwas schlimmes sein musste. Als sie dann die Worte aussprach, konnte ich sie im ersten Moment nicht realisieren. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich fühlte mich in meinem Körper gefangen, denn meine Emotionen versuchten aus mir hinaus zu brechen, aber ich stand da und bewegte mich nicht. Monika umarmte mich und weinte. Meine Ohren begannen zu dröhnen und plötzlich wurde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Meine Welt wurde schwarz. Als ich wieder zu mir kam, hatte die Welt ihre Farben verloren. Monate sind seitdem vergangen, Monate voller Schmerz und Tränen. Mom lag nun schon über 5 Monate im Koma und bisher gab es keine Hoffnung, dass sie erwachen würde. Die Krankenhausrechnung wird von Stunde zu Stunde höher. Doch die Schulden sind mir egal, allein der Gedanke Mom auch noch zu verlieren, raubt das letzte bisschen Licht und Leben in meinem Herzen. Das Jugendamt schickte mich zu Moms Bruder, meinem Onkel, ich hatte ihn zuvor noch nie gesehen. Meine Mom hatte den Kontakt zu ihm lange vor meiner Geburt abgebrochen und mittlerweile wusste ich auch wieso. Er ist arbeitslos und alkoholabhängig. Sein Sohn Matthew ist ein zweischneidiges Schwert. Er ist so alt wie ich und wir gehen in dieselbe Schule. Matthew ist beliebt und Teil des Footballteams. Hinter seiner Fassade versteckt er einen gebrochenen kleinen Jungen, den er mit aller Macht vor der Öffentlichkeit fernhält. Sein Leben lang ließ sein Vater all seinen Kummer und seine grenzenlose Wut an ihm aus. Doch nun war ich da und Mathew war frei. Ich schaute auf zu meiner Mom. Jeden Tag besuche ich sie und verbringe meinen Nachmittag mit ihr. Sie ist alles, was mir geblieben ist und ich bete jeden Tag zu Gott, dass sie mir erhalten bleibt. Ich brauche sie. Meine Mom stand mein ganzes Leben lang hinter mir. Sie ist meine beste Freundin und nannte sich immer meinen größten Fan. Ich ergriff ihre Hand und streichelte zärtlich über ihren Handrücken. Meine Hausaufgaben hatte ich gerade beendet. Nun könnte ich ihr von meinem Tag erzählen, wobei ich alle schlechten Details ausließ für den Fall der Fälle, dass sie mich hören kann. Ich stellte es mir immer zu vor und wünschte es mir so sehr, aber ob sie mich hören kann bleibt eine unbeantwortete Frage. Da ich alle schlechten Details wegließ, glichen sich meine Erzählungen. Ich erzählte ihr von meinen Schulstunden, den verrückten Lehrern und meinen Noten. Den Teil, dass ich keine Freunde habe, mich alle hassen und mein Schulleben eigentlich die reinste Hölle ist, ließ ich weg. Ich hatte die Schule gewechselt wegen dem Umzug. Matthew hatte im Vorfeld dafür gesorgt, dass jegliche Verbindungen zwischen uns geheim blieben. Noch am Vorabend meines ersten Schultags drohte er mir, dass, wenn ich nur ein Wort darüber verlieren würde, er mich genauso verprügeln würde wie sein Vater. Außerdem trug er mit viel Eifer dazu bei, dass mich alle Schüler hassen und demütigen. Aber er ist nicht allein schuld an meinem Image in der Schule. Seit meiner Geburt stotter ich. Nur bei Menschen, den ich von ganzem Herz vertraue, meine Eltern, schaffe ich es nicht zu stottern. Das Tanzen hat mir immer geholfen. Dort zählte meine Stimme nicht und den Mädchen in meinem Tanzverein war es egal, ob ich stotterte. Doch ich habe sie seit dem Umzug nicht mehr gesehen noch habe ich seit dem Unfall meiner Eltern getanzt. Davon mal abgesehen könnte ich mir den Tanzverein gar nicht mehr leisten. Die Bank hat das Haus meiner Eltern verkauft, damit ich die Kosten für die Behandlung meiner Mom zahlen kann. Mein Pflegegeld gibt mein Onkel für Alkohol aus und den Rest überlässt er mir für die Krankenhausrechnungen, damit er die Schulden nicht tragen muss. Wenn er betrunken ist, lässt er seine grenzenlose Wut an mir heraus. Er schlägt mich, schubst mich zu Boden und tritt auf mich ein. Einmal konnte ich nicht wieder aufstehen. Matthew hat mich gefunden und mich versorgt. Ihm stand Mitgefühl und Zwiespalt in den Augen. Ich sagte ja bereits, er ist ein zweischneidiges Schwert. Er kümmert sich um mich, wenn ich von seinem Dad verprügelt werde. Vielleicht aus einem schlechten Gewissen heraus, weil er weiß, wäre ich nicht da, würde er die Schläge einstecken müssen. Bei den Gedanken hatten sich mittlerweile Tränen in meinen Augen gebildet. Schnell blinzelte ich sie weg, als jemand zur Tür herein kam. Es war Dr. Brenigan. Sie ist Moms behandelnde Ärztin und ein Engel auf Erden. Sie tut alles für meine Mom. "Hallo.", stotterte ich hervor. Ihr Gesicht zierte ein Lächeln. "Hallo Abby, wie geht es dir?" Sie setzte sich zu mir und musterte mich. "Gut und Ihnen?", fragte ich höflich. "Ach mein Sohn hat wieder Ärger in der Schule, aber sonst ist alles gut." Sie seufzte. Ihr Sohn schien oft Ärger zu machen, zumindest ist es nicht das erste Mal, dass sie davon erzählt. "Abby? Darf ich dich was fragen?" Sie klang ernst und musterte mich noch immer nun mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Ich nickte verunsichert. "Isst du genug? Du siehst von Woche zu Woche dünner aus." Ihre Aussage schockierte mich. Ich wusste, dass ich abgenommen hatte. Mein Onkel gab mir kaum was zu essen und alles Geld sparte ich für Mom. "Ja.", beteuerte ich, doch durch das Stottern klang es kläglich und nicht sehr glaubwürdig. "Du kannst immer mit mir reden, Abby." Ich schenkte ihr ein Lächeln und nickte. "Ich weiß, dafür bin ich sehr dankbar." Sie erwiderte mein Lächeln, legte kurz ihre Hand auf meine Schulter und verließ dann leise den Raum. Mein Blick wanderte zur Uhr. Die Besucherzeit würde gleich enden. Meine Haare stellten sich auf und mein Herz schlug schneller. Der Gedanke nach Hause zu gehen, bereitete mir jeden Tag Angst. Ich verabschiedete mich mit einem Kuss auf die Stirn von meiner Mom und begann meinen Weg nach Hause. Ich lief ungefähr eine halbe Stunde. Der Himmel war matt grau und der Wind heulte um die Häuser herum. Ich zog meine Jacke enger an mich in der Hoffnung, dass sie mich so mehr wärmen könnte. Ich verließ die Innenstadt und mein Weg führte nun in eins der ärmeren Viertel der Stadt. Die Häuser und Gärten wurden ungepflegter und die Gassen enger und dunkler. Ich hielt meinen Kopf geduckt bis ich auf die Hausauffahrt abbog zum schäbigen alten Haus meines Onkels. Das Holz bräuchte dringend einen neuen Anstrich, die Veranda fiel auseinander und das Garagentor zierten Einschusslöcher und eine Delle. Das Glas der Haustür hatte ein großes Loch, dass mit einer Plastiktüte überklebt wurde. Ich öffnete die Tür und sah mich um. Erleichtert stellte ich fest, dass glücklicherweise niemand zu Hause war. Ich atmete auf und meine Muskeln entspannten sich leicht. Schnell machte ich mich auf den Weg in die Küche um zu kochen. Wenn nicht pünktlich um sechs Uhr warmes Essen auf dem Tisch steht, bekomme ich ziemlich ärger. Ich öffnete den Kühlschrank und seufzte. Bis auf Bierdosen war kaum etwas drinnen. Mit den wenigen Lebensmitteln kochte ich Nudeln mit Tomatensauce und hoffte inständig, dass es meinem Onkel genügen würde. Ich ließ das Essen bei geringer Temperatur auf dem Herd, damit es nicht abkühlt und nahm mir meinen Teller mit einer kleinen Portion mit nach oben in mein Zimmer. Ich wollte weder Matthew noch meinen Onkel sehen. In meinem Zimmer angekommen, einem kleinen Raum mit einer Matratze, einer schiefen alten Kommode und einer kleinen Lampe, legte ich meinen Rucksack ab und legte mich auf meine Matratze. Tränen sammelten sich wieder in meinen Augen. Doch die würden nichts an dieser Situation ändern, das hatten sie zuvor auch nicht vermocht. Meine einzige Hoffnung war mein 18. Geburtstag in vier Monaten. Dann könnte ich hier weg. Doch wo von sollte ich leben? Wie sollte ich die Rechungen meiner Mom weiter zahlen? Verzweiflung machte sich in mir breit und es wurden immer mehr Tränen, die langsam meine Wangen herunterrollten und mit einem dumpfen Geräusch auf die Matratze tropften.

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