Kapitel 87

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Mein Herz setzte aus. Wie von Sinnen machte ich eine energische Geste, dass Jonathan sich sofort oben verstecken sollte. Doch stur wie er war, schüttelte er den Kopf und zeigte mir an mit ihm zu kommen. Frustriert und verzweifelt rollte ich die Augen und lief mit ihm zügig und so leise wie möglich die Treppen herauf. Oben angekommen rannte ich ins Bad und wusch mir die Schminke aus dem Gesicht. Unten hörte man mehrere Stimmen. "Wo bist du?", schallte die Stimme von meinem Onkel durch das Haus. Eilig trocknete ich mir das Gesicht und wollte nach unten laufen, als Jonathan mich streng ansah und den Kopf schüttelte. "Vertraue mir.", flüsterte ich so leise wie möglich. Ohne auf eine Reaktion von ihm zu warten, lief ich nach unten. Mein Onkel stand für seine Verhältnisse gut gelaunt und ziemlich betrunken im Flur. "Bring uns eine Palette Bier und Chips, sofort!" Ich wusste, was ich zu tun hatte und rannte schnellen Schrittes los. Wenn ich das einfach erledigen würde, hätte ich Ruhe und würde vor allem Jonathan da oben beschützen. Es war hoch riskant, dass er hier mit mir war. Mein Onkel dürfte ihn niemals sehen, vor allem weil Matthew nicht in der Nähe ist. Voll gepackt lief ich ins Wohnzimmer und stellte alles vor den drei Männern ab. Mein Onkel erhob sich und kam auf mich zu. Unsicher trat ich einen Schritt zurück, doch er war schneller. In Windeseile holte er aus und mein Gesicht schlug zur Seite. "Das war dafür, dass du, Schlampe, nicht Klopfen konntest und jetzt verschwinde auf dein Zimmer. Ich will dich nicht mehr sehen und wehe du gibst nur ein Geräusch von dir.", brüllte er mich an. Das war mein Zeichen zu gehen und ich tat es. Ich schloss die Tür hinter mir und lief langsam nach oben. Tränen standen mir in den Augen und meine linke Wange pochte vor Schmerzen. Für einen Moment zweifelte ich wirklich daran nach oben zu gehen, denn so wollte ich mich Jonathan nicht zeigen. Einerseits schämte ich mich so sehr und andererseits wusste ich, dass seine Wut unberechenbar sein wird und uns womöglich noch größeren Ärger bereiten könnte. Oben angekommen stand Jonathan besorgt im Flur. Zum Glück brannte kein Licht, sodass er mein Gesicht noch nicht sehen konnte. Ich ergriff seine Hand und zog ihn zum Ende des Flurs, wo sich meine kleine Tür zu meinem Zimmer versteckte. Unsicher öffnete ich die Tür und zog ihn in mein kleines Zimmer. Schon fast in Zeitlupe vor Angst betätigte ich den kleinen Schalter meiner Lampe. Das dämmrige Licht erhellte den Raum nur schwach. Sofort suchten seine Augen die meinen. Seine Gesichtszüge verzogen sich so gleich und eine unbändige Wut glühte in seinen Augen auf. Vorsichtig ging ich ein, zwei Schritte auf ihn zu. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. "Jonathan, bitte tue nichts Unüberlegtes.", flüsterte ich heiser. Ich hatte einen Kloß im Hals. Sein Blick wanderte von meiner Wange zu meinen Augen. "Ich flehe dich an, Jonathan. Die Männer sind unten zu dritt. Bitte, tue nichts Unüberlegtes. Bitte, bleibe hier." Zitternd ergriff ich seine Hand. "Wie soll ich dir vertrauen, wenn du am Ende immer wieder verletzt bist?", fragte er mich zwar wütend aber leise. "Dann können wir uns wohl beide nicht vertrauen.", stellte ich fest und verblüffte ihn so für einen Moment. "Wie meinst du das?", fragte er verwirrt. "Na ja, ich kann dir nicht vertrauen, wenn es um uns in der Öffentlichkeit geht und du kannst mir nicht vertrauen, wenn es um meinen Onkel geht." "Das sind aber auch zwei verschiedene Dinge. Dieser Bastard misshandelt dich schwer, das kannst du nicht vergleichen.", fauchte Jonathan. "Ja, er tut mir weh seelisch und vor allem körperlich, aber du tust mir auch weh mit jeder Zurückweisung und jedem gemeinen Spruch, den du in der Öffentlichkeit von dir gibst. Und wenn es nur die Tatsache ist, dass du mit lachst zusammen mit Chris, Matthew und Melania. Weißt du, wie sehr das weh tut? Denn du bist mir wichtig, mein Onkel nicht.", stellte ich meine Position verzweifelt klar, aber es schien ihn immer noch nicht zu überzeugen. "Du hast mir mal gesagt, dass dir die Meinungen der anderen egal sind, dass dich nur die Meinungen deiner Mom, Matthew und mich interessieren, aber warum ist es dir dann offensichtlich so wichtig, dass niemand von uns weiß und vor allem deine sogenannten Freunde nicht?" Mittlerweile war ich auch wütend und steigerte mich vielleicht auch etwas in die Wut hinein. "Was willst du von mir? Dass wir in der Schule herum machen?", fragte er empört. "Nein, mir würde es schon reichen, wenn du mich nicht mobbst. Du musst mich nicht mal ansehen in der Schule, es wäre einfach nur schön, wenn du nicht mehr mit machst, was die anderen machen.", meinte ich nun etwas verzweifelt. Sein Blick wanderte zu meinen Lippen und plötzlich entspannten sich seine Gesichtszüge. "Na wenn es nur das ist, ich hätte auch mit dir in der Schule herum gemacht.", meinte er nun amüsiert. Empört sah ich ihn an und musste schmunzeln. "Idiot.", nuschelte ich lächelnd. Er kam einen Schritt auf mich zu und seinem Gesicht war die Wut vollkommen entwichen. Allein ein gewisses Verlangen blitzte in seinen Augen auf. Es war verrückt, wie schnell seine Emotionen wechselten, wie er blitzartig von wutentbrannt zu amüsiert und wieder zu absolut streng wechseln konnte. Doch eine leise Stimme in mir flüsterte, dass ich womöglich dasselbe Gefühlschaos in ihm auslöste, wie er in mir. Mein Blick wanderte für wenige Sekunden zu seinen verboten weichen Lippen. Er machte mich verrückt. Ich war so abhängig von ihm. Vielleicht war dieses Etwas zwischen uns auch toxisch, aber ich war süchtig nach mehr, nach mehr Zeit mit ihm, nach dem Schutz, den er mir bietet, nach seiner Nähe und seinen Berührungen. Jonathan machte mich einfach zu einem anderen Menschen, wenn ich bei ihm war und ich fand diesen Menschen viel besser, als die Abby, die ich geworden war in den letzten Monaten bei meinem Onkel. Jonathan konnte mir einfach immer das Gefühl geben wertvoll zu sein, natürlich nur, wenn wir zu zweit sind, aber er konnte es und momentan kann es kein anderer. Jonathan kam noch einen Schritt näher auf mich zu und beugte sich langsam zu mir. Ich hielt den Atem an und mein Herz begann vor Aufregung wild zu pochen. Wir waren uns schon so nah. Es fehlten lediglich Zentimeter, um uns zu küssen, als er sanft, ganz zaghaft seine Hand an meine rote Wange legte. Seine Finger streichelten zärtlich über meine gereizte Haut. "Gott, wie sehr ich mir wünsche dir all den Schmerz zu nehmen.", flüsterte er leise in die Stille. "Das t-tust du d-doch schon." Er zog nachdenklich seine Augenbrauen zusammen. "Jeder Moment wie dieser heilt alle Narben und Wunden.", erklärte ich stotternd. "Wenn es doch so einfach wäre, Abby.", nuschelte er in Gedanken versunken. "Wenn ich dich einfach berühren könnte und alles ändern könnte." Ohne weiter nachzudenken, legte ich meine Lippen zärtlich auf die seinen. Sanft legte er seine andere Hand auch an mein Gesicht und zog mich noch enger an sich. In diesem Kuss lag so viel Gefühl, dass ich für einen Moment dachte, mein Herz würde womöglich gleich explodieren. Meine Haut kribbelte warm. Jonathan vertiefte den Kuss und ließ seine Hände zu meinen Hüften sinken, um mich noch näher zu sich zu ziehen. Meine Hände fanden wie von selbst den Weg zu seinem Nacken. Ich stellte mich auf Zehenspitzen, um den Kuss besser zu erwidern. Vorsichtig drückte mich Jonathan einen Schritt zurück bis mein Rücken die Wand berührte. Aus dem sanften Kuss war eine leidenschaftliche Sucht geworden, eine Sucht nach Nähe und den gegenseitigen Berührungen. Seine Finger glitten über meine Seiten und hinterließen ein Kribbeln wie bei leichten Stromschlägen. Es knisterte förmlich in der Luft. Überrascht löste er sich von meinen Lippen und legte meine Haare zu Seite. Plötzlich küsste er mich sanft unter mein Ohr. Seine Lippen strichen an meinem Hals entlang und entlockten meiner Kehle ein Seufzen. Seine Hände rutschten unter meinen Pullover. Nun berührten seine warmen starken Hände meine nackte Hüfte und es fühlte sich einfach so richtig an. Sollte ich mich in diesem Moment verlieren?

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