Kapitel 79

601 32 2
                                    

Und Jonathan ist in der Leitung geblieben bis ich schlussendlich eingeschlafen bin. Er war sogar noch darüber hinaus am Telefon, wie ich feststellte, als ich mein Handy checkte. Wir hatten fast sechs Stunden telefoniert. Die Sonne schien in mein Fenster hinein und ich hatte das unsichere Bauchgefühl, das heute ein guter Tag werden könnte. Langsam streckte ich mich und genoss die Stille und Friedlichkeit des frühen Morgens. Ich nutzte die Zeit und dachte zurück an unser Gespräch. Wir hatten so getan, als gäbe es die Wut seinerseits und den Fehler meinerseits nicht. Es tat so gut mit ihm normal zu sprechen, mich fallen zu lassen und einfach seiner Stimme zu lauschen. Stunden hatten wir über Musik und über die Schule gesprochen, haben uns über Lehrer belustigt und uns über den schlechten Unterricht beschwert, aber unsere unterschiedlichen Freundeskreise ließen wir lieber außen vor. Auch wusste ich nach dem Gespräch nicht, ob Matthew und Jonathan wieder miteinander redeten. Ich vermutete schon fast, dass noch immer Funkstille zwischen ihnen herrscht. Ein leises Gähnen schlich sich aus meinem Mund und ich raffte mich auf. Einen letzten Blick warf ich hinaus zur Sonne, bevor ich aufstand und leise ins Bad trottete. Es war sehr leise im Haus. So betrunken wie mein Onkel gestern war, schlief er bestimmt noch immer. Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, zog ich mich an und lief ganz still nach unten. Ohne einen Mucks von mir zu geben, begann ich die Küche und den Flur aufzuräumen sowie zu reinigen. Ich weiß nicht, was mein Onkel und sein Freund gestern Nacht hier veranstaltet haben, aber ein Schweinestall war dagegen sauber. Mühsam schrubbte ich den Boden und sammelte die leeren Dosen ein. Als alles wieder einigermaßen reinlich duftete und aussah, machte ich mir Frühstück. Während ich aß, packte ich meinen Rucksack für heute. Zuerst müsste ich bei Dr. Klopp putzen, dann würde ich weiter zum Krankenhaus gehen und zuletzt von dort aus zu Vanessa. Also machte ich mich schlussendlich dick eingepackt auf den Weg zu der Praxis von Dr. Klopp. Ich hatte den richtigen Riecher bezüglich meiner Kleidung. Die Sonne schien und wir hatten strahlend blauen Himmel, aber es war bitterlich kalt. Der Rasen sah aus, als wäre er mit weißer Farbe besprüht worden und alle Dächer glänzten weiß in der Sonne. Es hatte ziemlich stark gefroren. Der Bürgersteig war recht glatt, weshalb ich sehr vorsichtig lief und bedacht darauf war nicht zu stürzen. Mit kleinen tapsigen Schritten bewegte ich mich vor. Der Wind hatte nachgelassen. Es war nur noch eine leichte Brise. Dennoch war er eisig kalt. Ich hatte ein beklemmendes Gefühl tief in der Magengrube bei dem Gedanken gleich bei Dr. Klopp in seiner Wohnung putzen zu müssen. Denn ich empfand die Wohnung als privater im Gegensatz zu der Praxis. Als ich in die richtige Straße bog, wurde das Gefühl noch erdrückender, dass ich lieber an einem ganz anderen Ort sein würde. Mein Zeigefinger zitterte leicht, als ich auf die Klingel drückte und das Läuten ertönte. Es dauerte nicht lange, da hörte ich schon Schritte vor der Tür. Ich hielt vor Unwohlsein den Atem an und schaute unbehaglich auf meine Füße, denn ich wollte ihm nicht in die Augen sehen. "Hallo Abby, du kannst mir gleich nach oben folgen. Deine Schuhe musst du hier unten ausziehen. Wo die Putzutensilien sind, weißt du ja mittlerweile." Seine Stimme war wie immer kalt und streng. Ich beeilte mich meine Schuhe auszuziehen, um ihm nach oben folgen zu können. Die erste Vierstelstunde verbrachte ich damit mir anzuhören, was ich wie zu putzen hätte. Dr. Klopp hatte diesbezüglich klare und nicht umgängliche Vorstellungen. Seine Wohnung war kalt schon fast so steril wie seine Praxis. Man hatte auf den ersten Eindruck nicht das Gefühl, dass dort jemand wohnen würde. Es fehlte komplett die persönliche Note. Die Wände waren alle weiß und wurden von seltsamen Kunstwerken gesäumt. Allesamt hielten sie sich in Grautönen. Es wurden keinerlei grelle oder bunte Farben verwendet. Auch die Möbel waren schwarz und grau oder in einem dunklen Holzton. Insgesamt kam es mir schon fast unheimlich vor. Es fehlten Farbe, Liebe und Leben. Nach der unmissverständlichen Instruktion, wie ich seine Wohnung zu putzen hatte, ließ er mich allein zurück und verschwand hinter einer wuchtigen dunklen Holztür. Dahinter verbarg sich das einzige Zimmer der Wohnung, dass ich niemals sehen würde. Denn er hatte die Gnade, dass ich einen von zehn Räumen nicht reinigen müsste. Seufzend machte ich mich an die Arbeit und trug zu meinem Unmut alle Putzmittel hoch in den ersten Stock. Der große Staubsauger war von allem am Schwersten und ließ mich, als ich oben ankam, schwer atmen. Es dauerte mehrere Stunden bis ich endlich alle Räume so gereinigt hatte, wie Dr. Klopp es sich wünschte. Mir würde sogar eine halbe Stunde mit Mom fehlen, weil die Zeit bereits schon so voran geschritten war. Als ich den Eimer zusammen mit dem Wischmopp hoch hob, spürte ich plötzlich eine Präsenz hinter mir. Schlagartig drehte ich mich um und sah in die etwas verwirrt drein blickenden Augen von Dr. Klopp, der mir aus meiner Perspektive etwas zu nah kam. "Bist du fertig, Abby?", fragte er brummend. Seine Augen musterten mich noch immer leicht zusammen gekniffen. Mich irritierte dieser Blick immens, denn ich konnte ihn keineswegs einordnen. So hatte er mich noch nie angeschaut. Es kam mir schon fast abschätzig vor, doch weshalb sollte er mich so prüfend ansehen. Ich nickte nur verunsichert und hoffte, dass er mich nun gehen lassen würde. Ich wollte dieser Eiseskälte, die ihn und seine Wohnung umgibt mit allen Mitteln entfliehen. "Dann darfst du gehen." Ich nahm dies sehr ernst und rannte schon fast die Treppe herunter. Schnell brachte ich alles in den Reinigungsraum und keine Minute später ließ ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen. Ich atmete einmal tief durch und machte mich dann schnurstracks auf den Weg zum Krankenhaus. Schließlich hatte ich heute noch viel vor und ich wollte unbedingt die Zeit bei Mom genießen und zur Ruhe kommen vor dem wahrscheinlich sehr aufregenden Abend. Zum Glück war es nun nicht mehr glatt dank der Sonne. Ich eilte den Bürgersteig entlang und achtete kaum auf meine Umgebung. Alles in mir sträubte sich gegen den Gedanken weiterhin bei Dr. Klopp putzen zu müssen, doch so schnell würde ich mich nicht aus dieser Abmachung lösen können. Im Krankenhaus war es heute sehr laut und viele Menschen waren in der Eingangshalle. Ich schlich mich an ihnen vorbei bis ich endlich bei Mom ankam. Dort angekommen, begrüßte ich sie und setzte mich auf einen der Stühle neben ihrem Bett. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich konnte endlich etwas zur Ruhe kommen. "Heute werde ich auf eine Gala gehen, wo mein Schulprojekt auf einer Auktion versteigert wird für den guten Zweck.", begann ich irgendwann zu erzählen. "Es geht um das Kinderbuch, weißt du, von dem ich dir erzählt habe. Ich hoffe, die Gäste der Gala finden es gut und lachen mich nicht aus. Auch hoffe ich, dass Jonathan vielleicht das Buch vorstellt und ich so nicht vor den ganzen Menschen reden muss. Dabei weiß ich nicht mal, ob er überhaupt zusammen mit mir auf die Bühne gehen will. Weißt du Mom, er ist immer noch sauer auf mich, aber er hat gesagt, dass ich ihm nun alles erklären könnte und Dad hat ja immer gesagt, wenn man sein Verhalten erklären kann und es einem wirklich leid tut, wird einem vergeben." Ich seufzte. "Ich hoffe, Jonathan denkt da gleich oder zumindest ähnlich." Moms Hand hielt ich in der meinen und streichelte ihr sanft über den Handrücken. Ich sehnte mich so sehr danach mit ihr zu sprechen, dass mein Herz schmerzhaft schwer in meiner Brust schlug. Doch nun müsste ich mich verabschieden, denn Vanessa hatte mir deutlich gemacht, pünktlich zu kommen. Wir hätten viel vor. Also packte ich meine Sachen zusammen, verabschiedete mich und begab mich auf den Weg zu Vanessa.

Ephemeral danceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt