Kapitel 82

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Doch so sehr ich mich noch vor wenigen Minuten gefreut habe, umso enttäuschter war ich nun. Die Gebote für unser Buch wurden wild durcheinander gerufen. Viele hatten Interesse, sogar Jonathans Mom, Dr. Brenigan, hat zuerst mit geboten bis sich die Preise über die 1000er Marke steigerten. Unser Buch ging für unfassbare 2510 Euro schlussendlich an einen gewissen Herr Webber. Der Name sagte mir nichts, aber er war sehr edel gekleidet und außerdem saß er direkt neben dem Tisch des Bürgermeisters. Also war er wohl eine wichtige Person der Stadt. Voller Stolz hatten Jonathan und ich uns angelächelt und dem Herrn Webber unser Bilderbuch übergeben. Wir hatten das höchste Gebot der Schule ergattert. Als wir zum Tisch liefen, gratulierten uns erst Mr. Klifford und Ms. Mabel und dann unsere Mitschüler, wobei die meisten Glückwünsche Jonathan galten. Den gesamten Rückweg über hielt Jonathan schon einen gewissen Abstand von mir, der mich verunsicherte. Er hatte mich nicht mal mehr angesehen, seit dem letzten Lächeln auf der Bühne. Nun saßen wir bereits eine Viertelstunde zusammen am Tisch und mein Lächeln war verschwunden. Keinen Augenblick seiner Zeit hatte er mehr für mich. Vanessa redete und redete auf mich ein, aber ich verstand kaum ein Wort. Sie war stolz auf uns, das hatte ich heraus gehört, doch so leid es mir tat, der Rest ging von einem in das andere Ohr. Meine Gedanken waren allein bei Jonathan. Warum hatte er wieder seine steinernde Maske aufgesetzt? Warum war er nun wieder so kalt zu mir? Lag es daran, dass ich mit Vanessa und Anthony hier war? Oder lag es daran, dass wir uns bisher nicht ausgesprochen hatten? Oder, und der Gedanke tat mir besonders in der Seele weh, es war alles nur Show und nun ist er wie in der Schule zu mir, weil unsere Klassenkameraden dabei sind? Plötzlich wurde mir etwas bewusst und meine Augen huschten durch den Saal von einem zum nächsten Tisch. Wenn alle wichtigen Bürger der Stadt eingeladen sind und darunter befand sich augenscheinlich die reiche Elite der Stadt, dann müsste auch Chris oder Melanias Familie geladen sein. Bevor meine Augen fündig wurden, ertönte plötzlich das tiefe Brummen der Stimme von Chris neben mir. Mein Kopf schoß nach links, um mich zu vergewissern, dass ich mich wirklich nicht verhört hatte. Doch neben Jonathan stand Chris und sie schienen gerade eine Unterhaltung miteinander zu beginnen. Ich verkrampfte mich auf meinen Stuhl. Wenn Chris hier ist, wusste Jonathan wahrscheinlich, dass Chris Familie auch eingeladen ist, aber das erklärt nicht, warum er meine Hand haltend die Bühne hinauf gestiegen ist. Dann hätte er mich ja die gesamte Zeit über meiden müssen, oder nicht? Aber fern von diesen Gedanken, war mein Herz schon weiter. Es gestand sich gerade ein, dass meine Vermutung womöglich wohl richtig war und Jonathan hier die Absicht verfolgt keinerlei Hinweise in der Öffentlichkeit auf unser gemeinsames Etwas, was es nun auch ist, zu geben. Mein Herz fühlte sich an, als würde es etwas einreißen und zu meinem Erschrecken stiegen mir Tränen in die Augen. Ohne weiter nachzudenken, schaute ich zur Bühne, auf der keiner mehr stand. Also nutzte ich die Gelegenheit und wollte mich erheben. Doch Vanessa hielt mich kurzerhand auf. "Wo willst du hin? Das Essen wird gleich serviert." "Auf d-die T-Toilette.", stotterte ich und lief los. Ohne mich umzudrehen, flüchtete ich mich hinunter in den Keller in die Damentoilette. Tief atmete ich durch und versuchte mir einzureden, dass all dies kein Grund sei um nur eine Träne zu vergeuden. Wenn Jonathan mich nun den Rest des Abends über ignorieren würde, wie sollten wir uns dann bitte aussprechen? Natürlich wäre es möglich ihn ganz einfach auch zu ignorieren, wobei mich dies wahrscheinlich nicht weiter bringen würde. Ein leises verzweifeltes Seufzen kam über meine Lippen. Die gesamte Situation war so frustrierend. Ich sollte gar nicht hier sein. Ich gehöre hier nicht hin. Meine Unterlippe begann leicht zu zittern und wieder musste ich mich ermahnen nicht zu weinen. Jonathan spielt mit mir wie mit einem Jojo. Er zieht mich an sich heran und dann stößt er mich wieder ruckartig ab. Zu meinem Unmut tut er dies nun schon eine ganze Weile. Was will er von mir und warum tut er das? Bemerkt er gar nicht, wie er mich damit verletzt? Ich schüttelte den Kopf. Mein Zeitgefühl hatte mich komplett verlassen. Mir war nicht bewusst, wie lange ich mich schon hier unten in der Damentoilette befand. Würde ich noch länger hier verweilen, würden sie mich bestimmt suchen, zumindest Vanessa und Anthony. Ich würde mich wohl oder übel zusammen reißen müssen den Rest des Abends. Nachdem ich noch einmal tief Luft geholt hatte, machte ich mich auf den Weg nach oben bis mir eine bekannte Gestalt begegnete. "Dann habe ich mich doch nicht verguckt. Abby, Abby, ich muss dir schon lassen, man erkennt dich heute Abend kaum wieder.", säuselte sie und kam näher. Ich hingegen wich zugleich drei Schritte zurück. "Aber du kannst dich noch so viel schminken, deine Haare machen und dir einen geklauten Fummel der letzten Saison anziehen, du bist und bleibst für immer fett und hässlich. Und glaub mir Liebes, Jonathan denkt genauso. Bilde dir mal nichts darauf ein, dass er dich geehrt hat und vielleicht kurz dein hässliches Händchen berührt hat, das war alles nur Show. Alles waren Lügen, um euer scheiß Buch verkauft zu bekommen. Vor der Gala hat er uns seinen Plan erzählt und du bist, so blöd und naiv, wie du bist, darauf hinein gefallen. Wie du gelächelt hast, ach du meine Güte. Hast du wirklich für den Hauch einer Sekunde geglaubt, Jonathan könnte irgend eins der Wörter ernst gemeint haben? Freak, du bist so erbärmlich." Melania hatte sich vor mir aufgebaut und lachte gehässig vor sich her. Ich betete, dass sie nun einfach gehen würde und es bei den Beleidungen belassen würde, aber vielleicht hatte ich mich auch zu früh gefreut. "Hier das passt zu deinem Look.", sagte sie lachend und kippte mir ihren Drink über den Kopf. Dann drehte sie sich um und ging. Nass und gedemütigt stand ich nach Alkohol stinkend vor den Toiletten. Ohne noch eine Sekunde zu verschwenden, drehte ich um und lief zurück in die Kabine, in der ich mich vor wenigen Minuten schon einmal befunden hatte. Dieses Mal konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. Angestrengt versuchte ich leise zu weinen, denn es betraten immer wieder Frauen die Toilette. Als mir doch ein einziges Mal ein leises Schluchzen entwich, hörte ich plötzlich Schritte vor meiner Kabine. "Alles in Ordnung bei dir da drinnen?", fragte mich eine weibliche Stimme. "J-ja.", antwortete ich kurz. "Warum überzeugt mich das nicht?", fragte die weibliche Stimme in den Raum. Vermutlich hatte es sie wenig überzeugt, weil meine Stimme gezittert hatte und man merklich herausgehört hatte, dass ich weine. "Bitte mach auf, vielleicht kann ich dir helfen." Nun konnte ich die Stimme zu ordnen und war ziemlich überrascht. Wenn ich mich nicht täusche, ist es Dr. Brenigans Tochter Cassandra. Unsicher schloss ich die Tür auf und erblickte tatsächlich Cassandra hinter der Tür. Besorgt schaute sie mich an. "Oh nein Abby, wie ist das passiert?" "Man hat mir einen Drink übergeschüttet.", stotterte ich unsicher. Immer noch wirkte sie sehr besorgt. "Das kriegen wir schon wieder hin.", versicherte sie mir, ergriff meine Hand und zog mich aus der Kabine heraus. Im Hand umdrehen, hatte sie meine Hochsteckfrisur gelöst und wies mich an, meine Haare im Waschbecken einmal auszuspülen. In der Zeit hatte sie ein Handtuch und Vanessa organisiert, wie sie das gemacht hat, ist mir ein Rätsel. "Abby, was ist passiert?", fragte Vanessa besorgt, die auf mich zu stürzte. "Melania ist passiert.", stotterte ich gedemütigt. "Diese Bitch.", fluchte Vanessa empört und brachte damit Cassandra zum Lachen, die mir das Handtuch reichte. "Solche Ausdrücke habe ich von dir noch nie vernommen." Nun begann auch Vanessa zu lachen. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen und der Gedanke beschlich mich, dass Cassandra womöglich netter ist, als ich erwartet hatte. "Es gibt Menschen, die verdienen sich diesen Namen zurecht.", meinte nun Vanessa überzeugt. "Ich renne schnell hoch und organisiere dir ein neues Kleid.", sagte Cassandra lächelnd. "W-wie?", fragte ich verwirrt. "Ich bin vor zwei Stunden mit dem Flugzeug angekommen. Mein Koffer ist noch in Dads Auto.", erklärte sie und lief danach los. Während ich meine Haare trocknete, schimpfte Vanessa über Melania und brachte mich auch ein, zweimal zum Lachen. Noch immer war ich verwundert über Cassandras Verhalten, vielleicht hatte mich ihr erster Eindruck und Jonathans Schilderungen getäuscht.

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