Kapitel 37

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Bei dem Vorschlag, wir könnten zusammen kochen, hatte Jonathan wohl gemeint, dass ich koche und er nur auf der Küchenzeile sitzt und zu guckt, aber das fand ich nicht schlimm. An sich mochte ich es zu kochen und zu backen. Nur Zeitdruck, wie ich ihn abends immer hatte, machte mir zu schaffen und konnte mir die Liebe zum Kochen ziemlich verderben. Während ich das Gemüse schnitt, erwischte ich Jonathan immer wieder, wie er sich die Stücke in den Mund steckte und so unser Mittagessen naschte, bevor es überhaupt gekocht war. Beim letzten Mal hatte ich ihm amüsiert leicht auf die Finger gehauen. Geschockt hatte er mich angesehen und dann laut zu lachen begonnen. Er erzählte mir immer noch von seiner Liebe zur Musik und dass er Gitarre spielen konnte. Sein Wunsch war es Musik zu studieren, jedoch seien Steve und seine Mom dagegen. Ich bedauerte dies sehr, denn, wenn Jonathan von Musik erzählt, sieht man, wie er aufblüht und wie groß sein Herz für Musik ist. Ich lauschte ihm die ganze Zeit über und gab immer wieder kurz meine Meinung ab. Nun saßen wir uns schon zehn Minuten still gegenüber und genossen das Essen. Das Unbehagen in meiner Brust wuchs mit jeder Minute, die verging. Da mir immer bewusster wurde, dass unsere Zeit zusammen knapp bemessen war und sich bald dem Ende neigen würde. Natürlich wollte ich Mom besuchen, gar keine Frage, aber die Zeit mit Jonathan sollte zugleich nicht enden. Ich fühle mich so wohl und sicher bei ihm. Er vermag es, dass ich mich beinahe wie früher zu Hause fühle. Andererseits konnte ich die ganze Zeit schon nicht glauben, dass dieser gut aussehende Junge freiwillig seine Zeit mit mir verbrachte und ohne Mühe die Geduld aufbrachte mir die gesamte Zeit über zu zuhören. Nach dem Essen räumten wir den Tisch ab, sortierten eine Vielzahl der benutzten Gegenstände in die Spülmaschine und wuschen den Rest gemeinsam ab. "Das Essen war sehr lecker.", flüsterte er mir lächelnd zu, während er mich in seine Arme zog, nach dem ich den letzten Teller in den Schrank geräumt hatte. "Ein Wunder, dass noch etwas zum Kochen übrig geblieben ist.", stotterte ich amüsiert und Jonathan begann zu lachen. Ich liebte es, wie er lacht und auch, wenn es in meinen Gedanken merkwürdig klang, wenn ich dies dachte, beobachtete ich ihn dabei gerne. Er konnte so eine Freude damit ausstrahlen, dass es mir mein Herz erwärmte. Als sein Lachen verstummte, beugte er sich ein Stück zu mir herunter und küsste für einen Hauch einer Sekunde meine Stirn. "Wollen wir?", fragte er und ergriff meine Hand. Ich nickte ihm zu und wir liefen in den Flur, um Schuhe anzuziehen. Jonathan hatte mir einen Pullover von sich gegeben, in den ich mich nun schon seit einer Stunde kuschelte. Er war super bequem und mir viel zu groß, aber das war mir egal, denn er wärmte mich. Jonathan zeigte mir den Weg zu seinem Auto und wir stiegen ein. Ich setzte mich und schnallte mich an, zuvor hatte ich die Tüte mit meiner Kleidung von gestern auf den Rücksitz gelegt. "Hier, du darfst die Musik aussuchen.", sagte er lächelnd und reichte mir seine CDs, die er im Auto hatte. Die Wahl viel mir nicht schwer, also legte ich die CD ein und sogleich schallte die Musik uns entgegen. "Wieso wusste ich, dass du die CD wählen würdest?", fragte er amüsiert, während er seinen Wagen startete und geschickt aus der Garage fuhr. "Vielleicht, weil ich sie letztes Mal schon in der Hand hatte, als ich in deinem Auto saß.", stotterte ich leise. Jonathan lächelte mich als Antwort an und drehte die Musik auf. Er sang immer wieder mit, was mich zum Lächeln brachte, denn er konnte wirklich gut singen. Was kann dieser Junge eigentlich nicht? Ich biss mir gedankenverloren auf die Unterlippe, als ich ihn musterte. Jonathan war und ist einfach unheimlich attraktiv. Selbst in einem Kartoffelsack würde er wunderschön aussehen. Seine kastanienbraunen Haare fielen ihm leicht ins Gesicht, weshalb er sie lässig zur Seite strich. "Du starrst.", stellte er amüsiert fest. Sofort tauchte ich aus meinen Gedanken auf und schaute ertappt auf meinen Schoß. Die Röte schoss in meine Wangen und brachte sie zum Glühen. "Du solltest aufpassen, dass du nicht sabberst." Er begann zu lachen und ließ mich empört aufsehen. Doch so zeigte ich ihm nur mein hoch rotes Gesicht, dass ihn nur noch mehr zum Lachen brachte. Beleidigt sah ich aus dem Fenster. Nach kurzer Zeit blieben wir plötzlich an der Tankstelle stehen, doch er fuhr nicht zur Tanksäule. "Bin gleich wieder da.", sagte er verschmitzt grinsend und stieg aus. Nach kurzer Zeit kam er zu meinem großen Erstaunen mit einem großen Strauß weißer Blumen heraus und einer Schachtel Zigaretten. Wofür? Warum? Wofür braucht er die Blumen? Verblüfft und verwirrt zugleich schaute ich ihn an, als er einstieg. "Ich weiß, es sind nur Tankstellenblumen, aber es ist Sonntag, kein Florist hat auf und ich dachte, du willst deinem Dad bestimmt etwas mitbringen." Er reichte mir die Blumen, die ich ihm abnahm. Ich konnte es einfach nicht glauben. Geschockt sah ich zwischen ihm und dem wunderschönen Strauß hin und her bis mir die ersten Tränen in die Augen stiegen. Ich war ihm so unheimlich dankbar und sein Verhalten hatte mich wirklich direkt ins Herz getroffen. Ich war gerührt. Er hatte extra diesen Strauß für mich gekauft, damit ich ihn auf Dads Grab legen konnte. "Gefällt er dir nicht?", fragte Jonathan besorgt. Doch ich schüttelte den Kopf, während immer mehr Tränen meine Wangen hinunter liefen. "Abby, sag doch was.", meinte er ernst und ergriff nun meine freie Hand. "Danke, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin dir einfach so dankbar.", stotterte ich schluchzend. "Ach Abby, komm her.", forderte er mich lächelnd auf und zog mich sanft in seine Arme, soweit das mit einem riesigen Blumenstrauß und der Mittelkonsole von seinem Auto zwischen uns möglich war. "Danke.", wiederholte ich mich immer und immer wieder. Als ich mich beruhigt hatte, fuhren wir zum Friedhof. Mein Gefühlschaos von vorhin hatte ich noch nicht richtig überwunden und ich wusste das Nächste würde gleich schon auf mich hineinbrechen. "Ich warte hier.", sagte Jonathan und lächelte mich ermutigend an. Ich nickte und ergriff zitternd den Türgriff. Zu Dads Grab brauchte ich nicht lange, es war weiter vorne. Ich wusste genau, wo es war und so fand ich mich nun nach zwei Minuten vor seinem Grab wieder und legte zitternd den Strauß Blumen darauf. Vorsichtig hockte ich mich davor und sah mir sein Bild an. "Hallo Dad.", flüsterte ich und die ersten Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich wusste, es machte wahrscheinlich keinen Sinn hier zu sitzen und mit ihm zu reden, aber ich brauchte es. Ich wollte mich ihm nah fühlen. Also begann ich zu erzählen und ich erzählte ihm alles. Während ich bei Mom die schlimmen Details wegließ und stets nur Gutes berichtete, sprudelte das Schlimme gerade nur förmlich aus mir heraus. Wenn es einen Himmel gibt, hatte Dad womöglich das alles sowieso mitansehen müssen und es tat so gut ihm das zu erzählen. Immer wieder vergewisserte ich mich, dass Jonathan noch im Auto saß und mir nicht lauschen konnte. Am Ende saß ich da vor seinem Grab und wartete auf eine Antwort, obwohl ich wusste, dass keine kommen würde. Doch immer, wenn ich Dad von meinen Problemen erzählt hatte, wusste er eine Lösung und konnte alles zum Guten wenden. Aber er war nun mal schmerzlicherweise nicht mehr hier. Ich zitterte mittlerweile leicht durch die Kälte. Immer wieder vergewisserte ich ihm, wie sehr ich ihn vermisse, aber alles blieb still. "Abby?" Ich schaute auf und sah in die besorgten eisblauen Augen von Jonathan. Ohne zu überlegen stand ich auf und stürzte in seine Arme. Sofort zog er mich zärtlich näher an sich und legte seine Arme schützend um mich. Ich weinte nicht mehr, aber ich brauchte seine Nähe. Ich brauchte ihn, um mich vom Grab zu lösen und nicht ewig dort zu verweilen. Mit meiner Hand in seiner machten wir uns auf den Weg ins Auto. Sofort drehte er die Heizung hoch, damit mir warm werden konnte. Er hatte nichts weiter gesagt, er war einfach bei mir und das war gut so.

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