Kapitel 68

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In der Pause verkrümelte ich mich wie immer in der Bibliothek und war schon wieder kurz davor zu weinen. Verzweifelt versuchte ich mich auf mein Buch zu konzentrieren, aber es half nicht. Immer wieder schwirrte vor meinem inneren Auge das Bild von Jonathan, wie er wegfuhr mit Augen so schwarz wie die Nacht. Das Eisblau war verschwunden. So viel Enttäuschung und Wut lag in seinem Blick. "Hey, hier hast du dich wieder versteckt? Wie geht es dir? Du warst gestern krank und das soll nicht böse klingen, aber du siehst nicht besonders gut gestellt aus.", sagte eine besorgte Vanessa, die zu mir in die Ecke lief. Ich konnte es nicht verhindern und begann zu weinen. "Oh nein.", murmelte sie und umarmte mich schnell. "Was ist passiert? Willst du darüber reden?", fragte sie vorsichtig und löste sich von mir. Besorgt musterte sie mich und schaute mich mitfühlend an. "Jonathan und ich haben uns gestritten. Es war meine Schuld und ich weiß nicht, ob er mir je verzeihen wird.", schluchzte ich. Vielleicht war dieser Gedanke auch einfach zu dramatisch und es würde alles wieder gut werden. Doch bei Jonathan war ich mir da einfach nicht so sicher. "Du könntest dich entschuldigen oder nach einem Gespräch fragen? Dann könntest du ihm alles erklären. Vielleicht versteht er ja dann deine Beweggründe.", gab Vanessa ihre Idee preis. "Ich fürchte so einfach ist das nicht. Ich habe es versucht mit ihm zu sprechen. Er hat mich stehen lassen und ist weggefahren.", stotterte ich verzweifelt. Ich löste mich aus Vanessas Armen und wischte mir peinlich berührt über meine Wangen. Sie hatte gesehen, dass ich geweint habe. Das ist schlimm genug. Ich sollte mich nun mehr zusammen reißen, doch mein Herz war schwer wie Blei. "War das während des Streits?" Ich nickte nur als Antwort, denn ich hatte ihr eigentlich schon viel zu viel erzählt. Jonathan würde nicht wollen, dass ich nur irgendetwas über uns erzähle und daran hatte ich mich schon nicht gehalten. "Vielleicht muss er sich erst einmal beruhigen, um wieder klar denken zu können und dir zu zu hören. Jungs sind ja manchmal ganz schön impulsiv und Jonathan war sogar in der Schule oft aggressiv. Vielleicht ist es auch für dich sicherer, wenn du ihm etwas Zeit gibst und in ein paar Tagen einen neuen Versuch startest, um mit ihm zu sprechen." Vanessa hatte ihre Hand auf meinen Rücken gelegt. Erst war mir ihre Geste unangenehm, auch wenn mir klar war, dass sie dies nur gut meinte, doch nun merkte ich langsam den beruhigenden und mitfühlenden Effekt dieser Geste. Vielleicht könnte Vanessa wirklich meine Freundin werden. "Und bis dahin kommst du jetzt erst einmal mit. Du kannst jetzt Ablenkung gebrauchen, statt hier in deiner Ecke allein Trübsal zu blasen.", meinte sie lächelnd und zog mich mit sich hoch. "Ich weiß nicht.", murmelte ich unsicher und stotternd. "Komm, meine Freunde beißen schon nicht.", sagte sie amüsiert und zog mich einfach weiter mit. Perplex folgte ich ihr. Ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte. Denn einerseits hatte ich Angst davor ihre Freunde kennenzulernen, aber andererseits war da auch ein Fünkchen Neugier in mir. Vanessas Freunde hatten ihr vor einer Woche geholfen alle Plakate und Fotos von mir zu entfernen. Vielleicht sind sie also genauso nett wie Vanessa. Doch in meiner Magengrube hatte ich auch das flaue Gefühl, ob dass nicht eine Falle sein könnte. Unsicher und zwiegespalten folgte ich Vanessa durch die großen langen Flure der Schule bis in die Pausenhalle. Ihre Locken wippten bei jedem ihrer Schritte. Sie wirkte immer so glücklich und unbeschwert. Einst war ich das auch, doch nun hatte ich ein Päckchen zu tragen, dass mich so sehr herunter zieht, dass ich kaum Kraft habe aufrecht zu gehen. "Dort hinten sind meine Freunde. Komm weiter, ich stelle sie dir vor.", rief sie freudig und lief weiter. Mit mir selbst kämpfend ging ich ihr nach. Ich war ihrem Blick gefolgt und sah eine kleine Gruppe an der Wand stehend. Es waren drei Jungen und zwei Mädchen. Ich kannte sie vom Sehen und aus den Fluren. Doch nie zuvor hatte ich mit einem von ihnen ein Wort gewechselt. Keiner von ihnen hatte mich je geärgert oder verletzt, aber ob sie über mich lachten oder mich ignorierten kann ich bei der Masse von Schülern, die das alltäglich tun, nicht beurteilen. "Hey Leute, das ist Abby. Abby, das sind Sarah, Lena, Max, Jackson und mein nerviger Zwillingsbruder Anthony." Unsicher nickte ich ihnen zu. Sarah war im Kunstkurs und die Partnerin von Vanessa bei dem Projekt. Sie hat langes schwarzes Haar, blaue Augen, einen dunklen Taint und Kurven, um die ich sie beneiden könnte. Lena war dagegen eher zierlich und kleiner. Ihre Figur ähnelte der meinen. Sie hatte einen frechen Kurzhaarschnitt, der ihre Wangenknochen betonte. Ihre grünen Augen musterten mich interessiert. Sie war sehr bunt gekleidet und trug lange glitzernde Ohrringe. Max stand neben ihr und hatte seinen Arm lässig um ihre Schultern gelegt, weshalb ich vermutete, dass die beiden ein Paar sein könnten. Max war mittelgroß, etwas kräftiger gebaut und hatte braunes kurzes Haar. Jackson war dunkelhäutig, sehr groß und trug eine auffällige braune Brille passend zu seinen dunklen Augen. Daneben stand Anthony. Er hatte blondes kurzes Haar, dieses er lässig zur Seite gestylt hatte. Alle seine anderen äußeren Merkmale ließen erst einmal nicht darauf schließen, dass er Vanessas Zwilling war. Er war groß und hatte rehbraune Augen. Seine Kleidung schmiegte sich an seinen etwas muskulösen Körper. Ich konnte es nicht verhindern, dass der Gedanke sich in meinen Kopf schlich, dass er ziemlich gut aussah. Nun stand ich neben ihnen, aber ich gehörte nicht dazu. Sie redeten wild durcheinander und lachten viel. Vanessa versuchte mich zwar immer wieder mit in das Gespräch einzubinden, aber mir fiel es schwer am Ball zu bleiben. Ich wusste nicht, was ich erzählen sollte noch wie ich mich verhalten sollte. Schließlich kannte ich diese Menschen kaum und sie kannten mich genauso wenig. Zudem war ich einfach zu nervös und schüchtern, um groß etwas von mir preis zu geben. Es klingelte zum Pausenende. Ich fühlte mich etwas erlöst, da ich nun alleine zum nächsten Unterricht gehen könnte und mich so weniger unter Druck fühlen konnte. Also verabschiedete ich mich nervös und lief in Richtung meines nächsten Unterrichts. "Abby warte, ich begleite dich. Ich muss auch in die Richtung.", rief eine tiefe männliche Stimme mir nach. Verwirrt und unsicher drehte ich mich um. Anthony eilte auf mich zu und lächelte mich freundlich an. Ich versuchte ihm ein Lächeln zu schenken, auch wenn ich wusste, dass es nur ein kläglicher Versuch war. Nun liefen wir nebeneinander und es war einfach nur unangenehm still. "Du warst vorhin so ruhig.", versuchte Anthony ein Gespräch zu beginnen. "Ich w-weiß, ich, ich r-rede eher w-weniger." "Wenn es wegen dem Stottern ist, keiner von uns würde dich deshalb verurteilen." Wahrscheinlich wollte er nur nett sein und mich damit beruhigen, aber es würde nichts daran ändern, dass es für mich einfach bisher immer besser war wenig zu sprechen. Es war wieder still. "Hör mal Abby, Vanessa mag dich und Vanessa und ich würden uns echt freuen, wenn du öfter bei uns bist. Du musst nicht viel reden. Dazu wird dich keiner zwingen, aber wir wollen dich echt gern kennenlernen." Mit dieser Aussage ließ er mich vor meinem Klassenraum zurück, winkte und verschwand um die Ecke. Vielleicht sollte ich die Chance nutzen, dass mich jemand bereitwillig kennenlernen möchte.

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