Kapitel 38

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Jonathan fuhr das Auto in die Parklücke und zog den Schlüssel. Das Brummen des Motors verstummte und mir wurde bittersüß bewusst, dass es das Ende des Traums war. Jonathan hatte mir auf der Fahrt zum Krankenhaus gesagt, dass er mich nicht nach Hause fahren kann. Stattdessen wollte er mir Geld für den Bus geben, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dass ich ihn selbst bezahlen würde. Also war nun ein Abschied unumgänglich. Ich konnte es nicht bestreiten, wie traurig mich dies machte. Seine eisblauen Augen fixierten die meinen. "Ist m-morgen w-wieder alles w-wie f-früher?", brach es aus mir heraus, denn diese Angst wurde immer stärker. "Nein.", sagte er beruhigend, konnte aber mein misstrauisches Bauchgefühl nicht besänftigen. Trotzdem schenkte ich ihm ein letztes Lächeln. "Bis morgen, Jonathan.", stotterte ich leise. Doch bevor ich aufstehen konnte, zog er mich nochmal kurz in seine Arme. Ich atmete sein Aftershave ein und spürte seine Wärme. Dann ließ er mich los. Wenn ich mich nicht irrte, wirkte er genauso traurig wie ich. "Bis morgen, Abby." Ich nickte ihm zu und stand auf. Leise schloss ich die Autotür hinter mir und lief ins Krankenhaus. Ich schaute nicht zurück, denn ich wollte das Wochenende, so schön es war, in meinen Gedanken und meinem Herzen bewahren. Das Gefühl in mir, dass es fortan nicht mehr so sein würde, war noch immer stark und geisterte durch meine Gedanken. Bei Mom angekommen, erzählte ich ihr all die schönen Erinnerungen des Wochenendes und hoffte inständig, dass sie mir es nicht übel nehmen würde, dass ich in den Armen eines Jungen geschlafen habe. Anderseits bin ich schon siebzehn Jahre alt, andere Mädchen in meinem Alter haben wohl durchaus mehr mit einem Jungen erlebt als ich. Kurz vor Ende der Besucherzeit klopfte es an der Tür und ließ mich aufschrecken. Schnell drehte ich mich zur Tür, in der ein älterer Mann stand. Ich hatte ihn zuvor noch nicht gesehen. Er hatte schwarzes kurzes Haar, einen Dreitagebart und trug den üblichen Ärztekittel. Darunter trug er eine enge schwarze Jeans und einen blauen Pullover. Seine dunklen Augen musterten mich genauso neugierig, wie ich ihn betrachtete. "Hallo Abby, ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Chefarzt Dr. Brenigan. Meine Frau hat mir gesagt, dass ich dich hier sicher treffen würde.", erklärte er sein Kommen, während er eintrat und mir die Hand reichte. Ich nickte unsicher. Was würde er wollen? Geht es um Mom? Ist es etwas Schlimmes, wenn der Chefarzt persönlich mit mir reden will? "Sie sagte mir, du hattest gestern einen Unfall." Ich nickte bestätigend. "Sie hat mich gebeten, die Wunde nochmal anzusehen." "O-okay." Die erste Anspannung fiel sofort von mir ab. Er nickte und zeigte mir ihm zu folgen. Ich verabschiedete mich schnell von Mom, nahm meine Sachen und folgte ihm durch die langen Gänge des Krankenhauses bis in einen Behandlungsraum. Er inspizierte schnell meine Wunde und glücklicherweise konnte ich nach zehn Minuten gehen, somit würde ich den Bus noch kriegen. Das war also Steve Brenigan, der Stiefvater von Jonathan. Er wirkte auf den ersten Eindruck sympathisch, jedoch gab ich Jonathan recht, dass er sehr überzeugt von sich selbst und seinen Fähigkeiten wirkte. Nach dem ich mich verabschiedet hatte, beeilte ich mich, um den Bus zu bekommen. Zu meinem großen Unmut regnete es, aber ich erreichte den Bus noch. Im Bus zog ich Jonathans Pullover aus und zog mir meinen blutigen Cardigan und meine Jacke an. Den Pullover versteckte ich in der Tüte. Wenn Matthew auf mich warten würde, sollte er nicht sofort anhand des Pullovers erkennen, dass ich bei Jonathan war, so lebensmüde war ich nicht. Zu Hause in meiner Straße angekommen, stellte ich erschrocken fest, dass der Audi von Jonathan vor unserem Haus stand. Abrupt blieb ich stehen. Und jetzt? Es regnete noch immer in Strömen, so könnte ich nicht ewig hier stehen. Also schlich ich mich möglichst unauffällig in den Garten zur Hintertür. Ich konnte erkennen, dass sie im Wohnzimmer saßen, weshalb ich gebückt unter dem Fenster entlang lief. An der Tür angekommen, war diese zum Glück offen. Ich wusste, dass Matthew die Tür nachts benutzte, um sich hinaus zu schleichen und scheinbar schloss er sie danach nicht wieder zu. Leise schlich ich hinein und zog meine nassen Schuhe aus. Danach tippte ich auf Zehenspitzen durch den Flur und versuchte kein Laut zu machen. Trotz der Gefahr verweilte ich kurz an der Tür zum Wohnzimmer und versuchte zu lauschen. Ich war einfach zu neugierig, um weiter zu gehen. "Nein, du hast uns gestern echt dumm stehen lassen. Du warst es doch der die Idee hatte, Chris ist im Krankenhaus gelandet, man! Und nur, weil du nicht da warst!", sagte Matthew wütend. "Ich hab euch doch gesagt, ich kann nicht und wenn Chris so dumm ist und das eingegangen ist, ist er selbst schuld." Jonathan klang ebenfalls sehr sauer. Was war diese Sache, von der die beiden sprachen? Ist es dieselbe Sache von neulich, wo Matthew blutig nach Hause kam? Sind sie doch in etwas Gefährliches verstrickt? "Klar, war das dumm, aber auf dich hätte Chris vielleicht gehört.", seufzte Matthew. Ich hörte die Couch knarzen, so als hätte sich einer der beiden gesetzt. "Hast du das mit Abby mitbekommen?", fragte Jonathan nun ruhiger. "Nein, wieso?" "Chris, hat sie wohl gegen die Spinde geschubst. Mr. Kellington hat das gesehen und sie hatte wohl eine Platzwunde an der Stirn." "Was? Davon hat Chris gar nichts erzählt! Weiß Kellington, dass es Chris war?" "Glaub nicht.", sagte Jonathan mit einem merkwürdigen Unterton, den ich nicht deuten konnte. "Alter, wir müssen den Freak fertig machen. Sie muss dicht halten. Sie darf kein Wort über Chris verlieren.", meinte Matthew wütend und ließ mich nun vor Angst fast erstarren. "Meinst du nicht, es reicht mal? Er hat sie richtig verletzt. Das geht irgendwann zu weit.", warf nun Jonathan zu meiner großen Verwunderung ein. "Ach was? Mitleid mit dem Freak oder was soll das?" Plötzlich hörte ich Schritte Richtung Tür, weshalb ich so leise wie möglich die Treppen hoch lief und mich im Schattenbereich versteckte. "Wir sollten einfach nicht zu viel Ärger riskieren. Sonst fliegen wir alle aus dem Footballteam." Sie standen nun beide im Flur. "Lass das mal meine Sache sein, danach erzählt der Freak kein Wort und wir können weiter machen wie bisher.", meinte Matthew locker und zuckte dazu mit den Schultern. Ich schluckte. Das bedeutet wohl, dass er mir erneut drohen wird. Die Frage bleibt nur, wie diesmal. "Matthew, ich meine es ernst. Wir dürfen uns nicht mehr viel erlauben. Die Ansage vom Coach war klar und deutlich." "Ich weiß.", seufzte Matthew und lief mit Jonathan weiter zum Eingang, sodass ich sie aus meinem Blickwinkel verlor. Auch hören konnte ich sie nun kaum noch, weshalb ich voller Sorge und Angst in mein Zimmer lief. Zuerst zog ich mir andere Kleidung an und versteckte die Oberteile von Jonathan unter anderer Kleidung in meiner Kommode. Als das geschafft war, ließ ich mich auf meine Matratze fallen. Das ganze Gespräch der beiden ergab für mich wenig Sinn. Wobei wurde Chris so stark verletzt, dass er ins Krankenhaus musste? Was war Jonathans Idee? Welche Idee könnte er gehabt haben, die alle drei in Gefahr bringt? Ich dachte Matthew und Chris wollten zu einer Party mit Jonathan? Das, was Matthew gesagt hat, klingt so gar nicht nach einer in Anführungszeichen harmlosen Party von Jugendlichen. Aber von Bedeutung für mich war eindeutig, dass Jonathan versucht hatte mich zu beschützen, auch wenn der Versuch nicht besonders gut war. Ich seufzte, aber er hatte es ja zumindest versucht. Bedeutet das, dass es wirklich anders werden könnte? Dass er mich in der Schule so gut es ging beschützen würde? Er hat zu Matthew meinen richtigen Namen gesagt, das kann doch nicht ganz ohne Bedeutung sein, oder? Im nächsten Moment knallte meine Tür auf und ein wutentbrannter Matthew kam herein. "Ich wusste, ich hab die Hintertür gehört. Zumindest warst du so schlau, die auch zu benutzen. Wo warst du?", brüllte er mich an und lief auf mich zu. Ich versuchte mich von ihm zu entfernen, landete jedoch in der Ecke meines Zimmers, wo nun kein Fluchtweg mehr in Aussicht stand. Ängstlich hob ich schützend meine Hände vor meinen Körper. "Ich war im Krankenhaus.", stotterte ich leise, da mir die Angst die Stimme raubte. "Wer weiß davon? Was hast du erzählt?" Matthew ergriff meinen Kragen und zog mich gewaltsam zu sich. "Mr. Kellington hat mich ins Krankenhaus gebracht. Ich hab ihm gesagt, dass es so schnell ging, dass ich nicht sehen konnte, wer es war. Er hat es auch nicht gesehen. Ich konnte Dr. Brenigan überreden weder die Polizei noch deinen Vater zu informieren.", stotterte ich vor mir her und sah in seinen Augen, wie seine Geduld mit jeder Sekunde mehr und mehr abnahm. "Und wo warst du letzte Nacht?" "Im, im K-Krankenhaus w-wegen d-der K-Kopfverletzung." "Ich sag das nur einmal, zu keinem ein Wort, dass es Chris war, sonst erfährst du noch mehr Schmerzen.", drohte er mit glühenden Augen. Ich nickte verängstigt. "Hast du mich verstanden?", fragte er wütend und schüttelte mich. "J-ja." "Gut." Seine Stimme wurde ruhiger und er ließ mich los. "Ich hoffe in Kürze steht das Essen auf dem Tisch." Damit war Matthew im Flur verschwunden. Ich schlang meine Arme um meinen Körper und ließ meinen Kopf auf meine Knie fallen. Ich wusste, das Wochenende war nichts weiter als ein Traum, zu schön, um wahr zu sein.

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