Kapitel 28

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"Ich, ich w-weiß nicht, ob ich, ob ich m-mitkommen d-darf.", gab ich offen zu. Er schaute nachdenklich auf die Straße, während mein Blick nervös wieder zu seiner Uhr fuhr. Mir blieb nicht mehr viel Zeit, aber ich wusste Jonathan fuhr schon so schnell, wie es eben erlaubt war und er sollte uns wegen mir nicht in unnötige Gefahr bringen. Ich fühlte mich immer angespannter. Die Stille nach meiner Antwort war erdrückend. Ich wusste, er hatte warum auch immer gehofft, dass ich ja sagen würde. Seine Schultern hingen nun leicht herab und sein Blick war ernst. "Willst du nicht?" Verwirrt sah ich ihn an. "D-doch, ich, ich m-muss nur erst f-fragen.", versuchte ich mich zu erklären. Er nickte und es wurde wieder still. "Ich geb dir meine Nummer, dann kannst du mich anrufen und mir bescheid geben.", schlug er vor und lächelte mich wieder an. Meine Körperhaltung entspannte sich nun wieder etwas. Doch auch das würde zu einem Problem führen, wurde mir plötzlich klar. "Das geht nicht. Ich habe kein Handy.", gab ich stotternd zu und schaute beschämt nach unten. Jeder in unserem Alter hat ein Handy. Er wird mich nun bestimmt für eine Außerirdische halten. "Okay, ich gebe zu, das verkompliziert es.", sagte er lachend. Nervös sah ich auf meine Finger. Er nahm es zwar mit Humor, aber vielleicht verlor er gerade schon die Lust mich mitzunehmen. "Dann komme ich morgen einfach zum Krankenhaus und du sagst mir, ob du mitkommen kannst." Aufgeregt und wahrscheinlich viel zu schnell nickte ich glücklich. Mit seiner Idee fiel mir ein Stein vom Herzen. Er schenkte mir sein strahlendes Lächeln. Mein Herz schlug plötzlich ziemlich schnell in meiner Brust und ich versuchte den Gedanken zur Seite zu schieben, dass ich mich ein bisschen zu sehr darüber freute, ihn morgen wieder zu sehen. Denn dieses unglaubliche Glück, dass ich verspürte, könnte mir auch zum Verhängnis werden. Es machte mir Angst. Schließlich hatte noch nie jemand diese Gefühle in mir ausgelöst. Doch der Junge mit den eisblauen Augen vermochte es stets mich zu überraschen. "Okay, dann sehen wir uns morgen beim Krankenhaus." Er wurde langsamer und fuhr geschickt in die Parklücke. "Danke, dass du mich mitgenommen hast. Bis morgen.", stotterte ich lächelnd und öffnete die Tür, um auszusteigen. "Abby?" Schnell drehte ich mich zurück. "Pass auf dich auf.", sagte er ernst und doch überwog die Sorge in seiner Stimme. Ich nickte ihm zu und mein Blick huschte noch einmal für ein paar Sekunden zu seiner Uhr. Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. Mir blieben nicht mal mehr zwanzig Minuten. Schnell verabschiedete ich mich von ihm und eilte zu dem ersten Haus in der Straße. Jonathan fuhr aus der Parklücke und mit einem coolen Winken seinerseits fuhr er fort. Als er außer Sichtweite war rannte ich um mein Leben die Straße entlang, um nach Hause zu kommen. Meine Gedanken waren nicht mehr bei Jonathan, auch nicht bei unserem möglichen Treffen morgen, nein, meine Gedanken fokussierten allein die Frage, wie ich es schaffen sollte in dieser kurzen Zeit etwas Essbares zu kochen. Ich stürmte ins Haus, zog mit voller Kraft an meinen Schuhen, stellte sie in Windeseile auf und eilte in die Küche. Schnell füllte ich den Kochtopf mit zwei gleichen Dosensuppen und betete zu Gott, dass sie in zehn Minuten warm sein würde. Ich huschte durch den Raum, um den Tisch zu decken. Meine Finger zitterten schon vor Angst, denn das ungute Gefühl in meinem Bauch wuchs mit jeder Sekunde an. Selbst wenn das Essen warm sein würde, wäre es überhaupt nach den Wünschen von meinem Onkel? Er ist nun wirklich kein Suppenliebhaber, genauso wenig wie Matthew, aber vielleicht würden sie sich heute damit begnügen. Die Tür krachte auf und ich wusste mein Onkel stampfte nun zu seinem Stuhl. Schnell nahm ich den Kochtopf vom Herd und trug ihn vorsichtig zum Tisch. Dort stellte ich ihn auf einem Holzbrett ab und rannte förmlich zurück in Richtung Herd, da ich Brot geschnitten hatte, um es zur Suppe zu servieren, in der Hoffnung, dass es die Mägen der Männer füllen würde. Die Tür knallte erneut auf und Matthew kam herein. Er war scheinbar joggen, denn er triefte buchstäblich vor Schweiß. Unsicher und ängstlich setzte ich mich auf den Stuhl, während mein Onkel mich bereits die gesamte Zeit über wütend beäugte. Meine Finger begannen unter dem Tisch zu zittern. Es war unheimlich still. Ich hörte meinen schnellen Atem und der Stuhl von meinem Onkel knarzte. Matthew nahm sich nun etwas von der Suppe und begann zu essen. Mein Onkel widmete mir noch einen angewiderten Blick, dann nahm er sich ebenfalls von der Suppe. Erleichtert atmete ich auf und versuchte mich etwas zu entspannen. "Matthew, ich fahre morgen zu Dave. Wir schauen das Spiel zusammen und Dave kriegt später noch  Frauenbesuch. Ich komme Sonntag wieder." Während mein Onkel seine Wochenendpläne mitteilte, grinste er dreckig und aß wie ein Tier die Suppe. In seinem Bart hingen Tropfen der Brühe und ein bisschen Lauch hatte sich in den struppeligen Haaren verfangen. Ich erschauderte bei seinen Plänen, denn ich wusste sofort, welche Art von Frauenbesuch mein Onkel meinte, wenn er von seinem Freund Dave sprach. Regelmäßig suchen die beiden zusammen Prostituierte auf. Dave verkauft ihnen Drogen und Alkohol und bekommt wohl daher einen Bonustarif für die Nacht mit den Frauen. Mir gruselte es bei der Vorstellung und ich versuchte mir schnell andere Gedanken zu machen. Doch bevor meine Gedanken in eine andere Richtung wandern konnten, wurde plötzlich hart gegen mein Stuhl getreten. Sofort kippte er mit mir nach hinten und ich schlug schmerzvoll auf dem Boden auf. "Koch das nächste Mal etwas Richtiges, Schlampe! Und ich will, dass du das Haus putzt, wenn ich weg bin, sonst bin ich Sonntag nicht so nett.", brüllte mein Onkel wütend, warf die restliche Suppe um und lief zur Tür. "Und wisch das weg, Miststück!" Damit war er verschwunden und Matthew aß noch immer, als wäre die Szene nicht gerade vor seinen Augen geschehen. Mein Kopf pochte leicht vor Schmerz und ich befürchte, dass meine Schulter geprellt sein könnte von der Wucht des Aufpralls. Ohne weiter nachzudenken, wischte ich die Suppe auf und machte mich an den Abwasch. Matthew hatte den Raum noch nicht verlassen, obwohl er bereits seit einigen Minuten fertig gegessen hatte und ich seinen Teller in der Spüle wusch. "Was ist das zwischen dir und Jonathan?", fragte er nun und zerbrach dadurch die merkwürdige ruhige Atmosphäre. "N-nichts, w-was sollte d-da schon s-sein? Er h-hasst m-mich.", versuchte ich ruhig zu erklären. Ich hatte ihm den Rücken zugedreht, da ich noch immer an der Spüle lehnte und die Teller abtrocknete. Plötzlich knallte es und ich drehte mich sofort um. Matthew hatte wütend auf den Tisch geschlagen, war nun aufgestanden und kam direkt auf mich zu. "Abby, verkauf mich nicht für blöd! Ich weiß, dass er dir dein Essen gezahlt hat und ich habe doch gerade eben gesehen, wie du aus seinem Auto gestiegen bist. Deshalb warst du auch so spät und hast nur Suppe gekocht." Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Schließlich hatte er es beobachtet, leugnen wäre also keine Option. "Abby, halt dich von ihm fern oder du bekommst noch mehr Probleme!" Er griff nach meinem Kragen und zog mich harsch zu sich. Erschrocken und ängstlich schaute ich ihm in seine grünen wütend funkelnden Augen. "Hast du das verstanden?", fragte er ernst. Schnell nickte ich. Er lockerte den Griff an meinem Kragen und ging ein Schritt zurück. "Ich hoffe es für dich!" Damit war auch er verschwunden. Mit zittrigen Knien trocknete ich den Rest der Teller ab und lief in mein Zimmer. Erste Tränen wanderten meine Wangen hinunter, als ich mich vorsichtig auf meine Matratze legte bedacht darauf auf meine Schulter zu achten, die noch immer fürchterlich schmerzte. Wie soll ich mich von Jonathan fernhalten? Vor allem jetzt, wo ich mich doch mit ihm treffen könnte? Schließlich ist mein Onkel morgen bei Dave. Es stünde dem Treffen also nichts im Weg, wenn da nicht Matthew wäre. Was soll ich nur tun?

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