Kapitel 5

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"P-p-politischer Be-Bezug oder so-sozialer?", fragte ich weiter. Er schaute mich nur fragend an. Ich hatte einen Kloß im Hals. Seine kastanienbraunen Haare fielen ihm leicht ins Gesicht und seine Augen fixierten mich. "Und ähm äh für w-welche Altergruppe?", stotterte ich hervor. Wieso schaute er mich die ganze Zeit so intensiv an? Das macht mich unheimlich nervös. "Ein Bilderbuch", sagte er und betonte jede Silbe, als wäre ich dumm und würde ihn nicht verstehen. "Also für Kinder.", schlussfolgerte er ernst. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Ja, a-aber für Vor-vorschüler oder Krippenki-kinder oder Grundschüler?", verbesserte ich meine Frage, damit er verstand, was ich von ihm wollte. "Achso.", seufzte er genervt. "Für Vorschüler, das ist ein guter Mix aus Text und Bildern. Für Kleinkinder wären es hauptsächlich Bilder und für die Älteren wäre es mehr Text. Damit wir es gut aufteilen, nehmen wir Vorschüler." Er fuhr sich durch die Haare und lehnte sich zurück ins Sofa. Ich machte schnell die Notiz und musste feststellen, dass wir dieselbe Idee vor Augen hatten. "Wie meintest du die andere Frage? Also das mit dem komischen Bezug?", fragte er und schaute nachdenklich zur Decke. "Wir könnten ein soziales oder politisches Thema aufgreifen wie Armut im Kindesalter oder so.", stotterte ich und mir überfiel langsam die Angst, dass er die Geduld mit mir verlor. "Weißt du, es ist echt nicht einfach dir zu zuhören.", seufzte er genervt. "Kannst du nicht einfach normal reden? Ich tue dir nichts so lange wir für das Projekt arbeiten." "Ich kann nicht.", nuschelte ich. "Wieso nicht?", fragte er nun aufgebracht, setzte sich auf und fixierte mich. "Ich stotter schon mein ganzes Leben.", versuchte ich mich zu erklären, dabei verstand ich nicht, warum ich überhaupt versuchte mich rechtzufertigen. "Oh Himmel.", seufzte er genervt. Er lehnte sich wieder zurück und es herrschte kurz eine erdrückende Stille zwischen uns. "Ich finde deine Idee mit der Armut nicht schlecht. Das gibt bestimmt Pluspunkte in der Note.", meinte er nun und streckte sich. Dabei rutschte sein Pullover leicht hoch. Man konnte die Andeutung eines Sixpacks sehen und ich schaute schnell weg. Mir schoss Röte ins Gesicht und um mich abzulenken, machte ich schnell die Notiz. Als ich aufsah, schaute er mich amüsiert an. "Du bist echt prüde. Wirst rot, weil du minimal Haut von einem Jungen siehst." Er prustete los und meine Wangen wurden gefühlt noch roter. Als er sich wieder beruhigt hatte, schaute er mich nachdenklich an. "Ich habe eine Idee für die Geschichte.", sagte er plötzlich. Ich nickte ihm zu, damit er sie mir erzählte. "Zwei Kinder, dass eine reich und das andere arm, aber beste Freunde. Wir zeigen beide Seiten des Lebens und dass die Kinder trotzdem Freunde sein können. Na ja und keine Ahnung, dass halt im Endeffekt beide reich sind. Also, ja, weißt du. Also das nicht das Geld Reichtum ausmacht, sondern ihre Freundschaft." Zum Ende seiner Erzählung wirkte er schon fast verlegen. Nervös kratzte er sich am Nacken, fasste sich dann aber schnell wieder und lehnte sich zurück. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. So eine Idee hatte ich von Jonathan weder erwartet noch annähernd vermutet. Seine Erzählung brachte mich zum Nachdenken. Was ist, wenn meine Vorstellung von Matthew und Jonathan falsch ist und Jonathan viel mehr weiß, als ich dachte? Ich schüttelte den Gedanken ab. "Ich finde die Idee richtig gut.", gab ich zu. "Ja?", fragte er viel zu schnell, setzte sich auf und schaute mich nervös an. "Ja.", bestätigte ich und konnte nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen legte. Doch es verschwand so gleich ich seinen irritierten Gesichtsausdruck sah. Ich notierte seine Idee und wir sprachen noch kurz über das Alter der Kinder. Zum Schluss schrieb ich die Notizen zweimal sauber ab und reichte eine Kopie Jonathan und die andere würde ich Mr. Klifford und Ms. Mabel geben. Während ich geschrieben hab, hatte sich Jonathan auf das Sofa gelegt und mit Kopfhörern Musik gehört. Nun schaute er mich irritiert an, da ich ihm noch immer den Zettel vor die Nase hielt. Er nahm ihn, überflog die Notizen und nickte mir dann zustimmend zu. "Bis zur nächsten Stunde versuche ich unsere Idee in eine erste kleine Geschichte zu verpacken. Dann können wir sie besprechen und abändern." Gefühlt hatte ich mehrere Minuten für die zwei Sätze gebraucht. Er nickte. "Dann lass uns das abgeben, dann können wir vielleicht eher gehen." Er stand auf und lief los. Schnell packte ich meine Sachen ein und lief ihm nach. Während er Musik gehört hatte, wirkte er nachdenklich. Er sah ganz anders aus, wenn er nicht dieses fiese arrogante Grinsen in seinem Gesicht trug. Ich hatte mich mehrfach beim Abschreiben der Notizen erwischt, mich zu fragen, worüber er wohl so angestrengt nachdachte. Beim Nachdenken bildeten sich auf seiner Stirn leichte Falten und er wirkte angestrengt. Warum dachte ich darüber überhaupt nach? Schnell versuchte ich die Gedanken zu verdrängen und betrat mit Jonathan den Kunstraum. Ms. Mabel saß auf dem Pult und Mr. Klifford auf einem Stuhl daneben. Sie waren eindeutig verliebt, denn sie alberten herum wie Teenager und liefen beide nun rot an, als sie uns in der Tür stehen sahen. "Jonathan, Abby seid ihr schon fertig?, fragte Ms. Mabel lächelnd, die sich als erste aus der peinlich berührten Starre lösen konnte. "Ja, wir sind gut voran gekommen. Die Idee steht und die weiteren Schritte sind besprochen.", erklärte Jonathan kühl. Ich war erleichtert, dass er die Frage beantwortete, aber vielleicht tat er das auch nur, weil er gehen wollte und er wusste, dass ich Stunden für denselben Satz gebraucht hätte. Schnell lief ich nach vorne und gab Mr. Klifford den Zettel. "Super, dann könnt ihr gehen.", sagte er, nachdem er einmal den Zettel überflogen hatte. Als ich mich umdrehte, war Jonathan bereits weg. Also lief ich erleichtert zum Spind. Es waren noch fünf Minuten bis Schulschluss, das war meine Chance unversehrt die Schule zu verlassen. Ich beeilte mich und lief zur Schule hinaus. "Ey, Freak.", hörte ich Jonathan rufen und drehte mich zurück. Er lehnte lässig neben dem Eingang zur Schule an der Wand und rauchte. Angst überkam mich. Was will er? "Du solltest öfter lächeln, dann siehst du nicht ganz so hässlich aus.", sagte er ernst. Mein Mund klappte auf. Schnell drehte ich mich um, um die Röte meiner Wangen zu verstecken. Verdammt Abby, das war kein Kompliment, ermahnte ich mich und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg zum Krankenhaus. Auf den Weg dorthin konnte ich kaum einen klaren Gedanken fassen. Warum sagt er so etwas? Was will er damit bezwecken? Wieso hat er sich nicht gewehrt, sondern die Partnerarbeit mit mir einfach akzeptiert. Schließlich hat er in Chemie auch protestiert und wollte nichts mit mir zu tun haben. Na ja, ich möchte auch nichts mit ihm zu tun haben, aber er hat die Macht der Sprache, das Image und das Ansehen, um seine Meinung durchzusetzen. Komplett in Gedanken versunken, hatte ich gar nicht bemerkt, dass mich meine Füße zum Krankenhaus geleitet haben. Ich war noch immer verwirrt, doch ich wusste bei Mom könnte ich mich beruhigen und wieder klar im Kopf werden. Ich drückte den Knopf im Fahrstuhl zum passenden Stockwerk. Zuvor hatte ich noch die liebe Empfangsdame begrüßt, die mich schon per Vornamen kannte und mir stets Keckse anbot, die sie gebacken hat. Mittlerweile hatte ich mich durch alle Keckssorten durchprobiert, aber zwischendurch probierte sie auch neue Rezepte aus. Ich stieg aus dem Fahrstuhl aus und lief zielstrebig zu Moms Zimmer. Im Zimmer angekommen, lief ich zu ihrem Bett. "Hallo Mom, ich hab dich vermisst.", flüsterte ich und küsste zur Begrüßung ihre Wange. Ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hand. Meine Atmung wurde sofort langsamer und mich durchströmte innerliche Ruhe und Zufriedenheit. Dass ich in einem Krankenhaus saß, war egal, bei Mom fühlte ich mich einfach geborgen. Nach kurzer Zeit begann ich mit den Hausaufgaben und erzählte ihr von meinem Tag. Am liebsten würde ich ewig bei Mom bleiben.

Ephemeral danceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt