Kapitel 13

977 48 1
                                    

Zuhause erwartete mich mein wutentbrannter Onkel in der Küche. Ich wusste, ich hatte keine Möglichkeit zu fliehen. Wenn er seine Wut jetzt nicht auslässt, kommen die Schläge später. "Miststück, wie stellst du dir vor deine Krankenhausrechnung zu zahlen?" Er stand auf und ich wich zurück. "Ich muss sie nicht bezahlen. Mom's Ärztin macht das. Ich habe gesagt, dass ich die Treppe herunter gefallen bin.", stotterte ich, um schlimmes abzuwenden. Doch im nächsten Moment schubste er mich zu Boden. Unglücklich schlug ich mit meinem Hinterkopf auf, sodass es schmerzhaft in meinem Kopf pochte. "Wenn du Jemanden das hier erzählst, bist du tot.", brüllte er und trat gegen meine Beine. "S-stopp." Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich schrie einmal vor Schmerz auf. "Stopp! Oder willst du, dass sie gleich wieder im Krankenhaus liegt? Dann glaubt keiner mehr, dass sie wieder die Treppen herunter gefallen ist.", rief plötzlich Matthew und lief zu uns. Sein Vater hielt inne. Er schien zu überlegen. Dann spuckte er auf mich, drehte sich um und holte sich ein Bier. "Wehe, das Essen ist nicht um sechs fertig, dann bin ich nicht so gnädig.", brummte er und verließ das Zimmer. Vorsichtig raffte ich mich auf und humpelte ins Bad, um mir seine Spucke vom Gesicht zu waschen. Ich fühlte mich so ekelig und angewidert. Matthew kam hinterher und musterte mich nun besorgt, während ich mein Gesicht mehrfach mit Seife wusch, doch das ekelige Gefühl seiner warmen Spucke wollte nicht verschwinden. "Ich glaube, dein Gesicht ist sauber, Abby.", mischte sich Matthew nach ein paar Minuten erst noch amüsiert ein. Doch ich hörte ihn nur wie durch Watte. Mein Gesicht war nicht sauber, ich muss es weiter waschen. Das Wasser stellte ich heißer in der Hoffnung, dass es mir das Gefühl gibt sauber zu werden, aber es änderte sich nichts. Als ich wieder zur Seife griff, schnappte sich Matthew meine Hände und drehte mich sauer zu sich. "Abby, es reicht.", er wollte ermahnend klingen, doch aus seiner Stimme hörte man Mitleid und Sorge. Durch sein Stoppen hielt ich für einen Moment inne, bis alles auf mich hinein brach. Meine Knie begannen zu zittern und tausende Tränen begannen nun den kurzen Weg über meine Wangen zu begehen, um dann dumpf und leise auf den Boden zu tropfen. Ohne etwas zu sagen, zog mich Matthew zu sich in seine Arme und hielt mich einfach nur. Es tat gut. Doch ich konnte mich nicht vollkommen entspannen. Also versuchte ich all meinen Kummer herunterzuschlucken, wie ich es oft tat, um mich weniger verletzlich in seinen starken Armen zu fühlen, denn ich war nicht stark. Ich bin klein und kaputt, ein Haufen Scherben. Ich seufzte leise und löste mich von ihm. "D-danke für a-alles." Ich hoffte, dass er hörte, wie ernst ich es meinte. Wäre er nicht eingeschritten, hätte sein Vater weiter gemacht. Er nickte mir zu und das war mein Signal in die Küche zu gehen. Ich wusste mir blieb nicht mehr viel Zeit, weshalb ich zu den Fischfilets im Tiefkühlfach des kleinen röhrenden alten Kühlschranks griff und diese in den Backofen gab. Dazu machte ich Bratkartoffeln. Es wurde ganz schön knapp, aber schlussendlich schaffte ich es noch bis Punkt sechs alles fertig zu haben. Während dem Kochen pochten meine Beine und mir war schon bewusst, dass sich bestimmt blaue Flecken bilden würden. Der Tisch war gedeckt und die Männer setzten sich. Erleichtert atmete ich auf, dass mein Onkel nun ein anderes Thema gefunden hatte, über dass er sich aufregen konnte und das waren glücklicherweise weder Matthew noch ich. Nachdem Essen machte ich die Küche sauber und schleppte mich in mein Zimmer. Der ganze Tag hatte mich total ausgelaucht. Müde fiel ich ins Bett, aber beendete mit letzter Kraft noch die im Krankenhaus begonnenen Hausaufgaben. Meine Beine schmerzten, aber es war auszuhalten. Es dauerte nicht lange, da hatte die Müdigkeit vollkommen Besitz von mir ergriffen und mich in dunkle Träume gezogen. Es wurde eine unruhige Nacht voller Albträume. Ich war noch vor dem Klopfzeichen wach und mühte mich sehr aus dem Bett zu kommen. Meine Knie zitterten, aber ich hoffte, dass die kalte Dusche mich wecken würde. Doch nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, gähnte ich dennoch mehrfach. Der Weg zur Schule war kalt und nass. Ich glaube, ich war noch nie so dankbar für eine Kapuze wie heute. Meine Jacke war triefend nass als ich das Schulgebäude betrat und ich überlegte stark, ob ich vom Krankenhaus mit dem Bus nach Hause fahren sollte, wenn es immer noch so stark regnen würde. Ich lief zu meinem Spind und hielt mich geduckt. "Schaut mal, der Freak sieht aus, als wäre er durch einen Hurrikan gelaufen.", kicherte Melania. Ich versuchte sie zu ignorieren. "Schaust du nie zu den Personen, die mit dir sprechen.", fauchte nun Jonathan sauer. Meine Härrchen im Nacken stellten sich auf und ein kleiner Schauer lief mir den Rücken herunter. "Dreh dich um, Freak.", rief Chris und ich wurde brutal umgedreht und gegen meinen Spind geschubst. Ich schaute unwillkürlich auf und sah in die giftig grünen Augen von Matthew, seine schwarzen Haare hatte er heute nicht gesstylt, weshalb sie ihm leicht ins Gesicht fielen. "Gott Mädel, du bist so hässlich.", sagte Angelika mit einem angewiderten Unterton. Als Chris mich wieder leicht schubsen wollte, zuckte ich zusammen und ging einen Schritt zurück und prallte erneut gegen meinen Spind. "Der Freak hat Angst.", säuselte Chris. Ich biss mir leicht auf die Unterlippe, um die Tränen zu unterdrücken, die sich in meinen Augen sammelten. Der Grund für sie war nicht der Schmerz meines Körpers, sondern der meiner Seele. Ich konnte es nicht verhindern, dass ich mich durch Matthew unheimlich verletzt fühlte. Gestern hatte er sich noch für mich eingesetzt und heute war es ihm vollkommen egal, ob mir weh getan wird. "Du kleiner Streber musst uns aushelfen.", sagte Matthew ernst. Meine Finger zitterten leicht. "Genau.", rief Chris und schlug gegen den Spind neben mir, weshalb ich wieder reflexartig zusammen zuckte. Bitte lasst mich in Ruhe. "Gib mir deine Hausaufgaben für Religion bei Mr. Prayer.", forderte mich Matthew drohend auf. Ich nickte unsicher und wusste, das war die einzige schnelle Lösung aus dieser Situation ohne Schmerzen heraus zu kommen. Gerade als ich mich zu meiner Tasche drehen wollte, ergriff Chris den Kragen meines Pullovers und drehte mich zurück. "Haben wir dir erlaubt dich umzudrehen?" Ich sah kurz in seine Augen und sah das sadistische Leuchten der Macht in ihnen, dass auch in den Augen meines Onkels aufleuchtet, wenn er mich schlägt. Übelkeit überkam mich und mir wurde ganz flau zu Mute. "Hol sie.", forderte er mich nun auf wie ein Hund. Als ich mich zu meinem Spind drehte, landete mein Blick für den Hauch einer Sekunde auf Jonathan. Er stand zwar direkt neben Chris und Matthew, aber sein Blick war nachdenklich auf den Boden gerichtet. Auf seiner Stirn hatte sich dieselbe Falte gebildet, die er bekommt, wenn er angestrengt nachdachte. Ich zog den Aufsatz aus meiner Tasche und gab ihn widerwillig Matthew. "Brav hast du das gemacht.", sagte nun Matthew und brachte damit alle bis auf Jonathan zum Lachen, der schaute noch immer starr auf den Boden, als würde er es vermeiden mit mir Blickkontakt aufzubauen... Das flaue Gefühl in meinem Magen war noch immer da und ich betete, dass sie nun endlich gehen würden. "Danke.", sagte Chris in einer Art Singsangstimme und schubste mich erneut, sodass ich dies mal zu Boden fiel. Schnell fing ich mich einigermaßen auf. "Nun bist du bei deinen Freunden. Da wo du hingehörst.", sagte Melania arrogant. "Genau zum Dreck und Müll.", giftete Angelika in ihrer hohen Stimme hinterher. Damit machten sie kehrt und ließen mich zurück. Als ich wackelig aufstand, schaute ich kurz zu der Gruppe meiner Peiniger, wie sie in den Weiten des Flurs verschwanden. Alle um mich herum Tuschelten oder Lachten, aber das vergaß ich für einen Moment, als Jonathan zurück sah und unsere Blicke sich kreuzten. Er sah nicht glücklich aus. Zumindest vermutete ich das, denn seine Gedanken kann ich nicht lesen. Mit einem unguten Gefühl machte ich mich auf den Weg zu Religion, denn ich wusste mit Mr. Prayer ist nicht zu scherzen, wenn man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Ephemeral danceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt