Kapitel 93

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"Abby, bitte gehe, ich will dir nicht weh tun.", versuchte er mir vor Wut kochend nahe zu legen, warum er mich nicht hier haben wollte. "Das wirst du nicht, das weiß ich!", hielt ich vorsichtig dagegen an. In seinen Augen konnte ich einen Hurrican aus Hass, Wut und Zorn, aber vor allem aus Schmerz sehen. So viel Schmerz, dass es mir schwer ums Herz wurde. Ohne weiter nachzudenken, umarmte ich ihn einfach. Sein Körper und seine Muskeln waren vor Zorn so angespannt, dass sein Körper sich hart gegen den meinen anfühlte. Er erwiderte die Umarmung nicht, aber ich ließ ihn nicht los bis das schnelle starke Pochen seines Herzens langsamer wurde. Seine Atmung wurde ruhiger. Plötzlich legte er seine Arme, um meinen Rücken, zog mich noch enger an sich und schmiegte seinen Kopf an meinen Hals. Lange standen wir einfach so da. Die Kälte um uns herum hatte ich schon lange vergessen und das Plätschern von den schwimmenden Enten auf dem See war nur ganz leise in der Ferne zu hören. Der Wind rauschte durch die Bäume. Ich würde so gerne wissen, was in Jonathan vorgeht, aber ich würde ihn nicht fragen. Er muss es mir von sich aus freiwillig erzählen, sonst komme ich sowieso nicht an diese Informationen, um das Rätsel Jonathan zu lösen. Wie ich ihn kenne, würde es ihn nur über alle Maße wütend machen, wenn ich versuchen würde ihn zu löchern. Ich genoss seine Nähe und war froh, dass er nun aus dem Kreislauf der immensen Wut heraus gekommen war. Natürlich hatte Jonathan mich gestern fast ausversehen vor Wut die Treppe heruntergeschubst und ja, es hat mir Angst gemacht und mich verunsichert und doch, wusste ich genau, dass er mir heute nicht weh getan hätte. Es war wie eine tiefe Gewissheit in meinem Herzen, dass er mir nie bewusst weh tun würde zumindest körperlich, aber auch am Seelischen hatte er mir versprochen zu arbeiten. "Abby, was machst du nur mit mir?", nuschelte Jonathan an meiner Schulter. Ich ließ es unbeantwortet, denn ich wusste nicht, wie ich es schaffte ihn von seiner Wut und seinem Zorn immer wieder abzulenken und ihn zu beruhigen. Es war einfach etwas, was intuitiv, unbewusst zwischen unseren beiden Körpern geschah, so wie er es immer schaffte, dass ich mich stärker und besser fühle mit nur einem Augenkontakt, einem Lächeln oder einer Berührung von ihm. Langsam löste er seine Arme von mir und auch ich befreite ihn von meiner Umklammerung. Jonathan sah mir tief in die Augen. "Danke, Abby.", sagte er so dankbar, dass mich seine Augen förmlich anleuchteten. Ich schenkte ihm ein breites Lächeln. Als wir so da standen von einander wieder getrennt, stieg langsam die Kälte meine Beine hoch und ließ mich erzittern. "Ist dir kalt?", fragte Jonathan besorgt. "Et-etwas.", gab ich leise zu. "Dann sollten wir zurück laufen.", meinte er schnell, ergriff meine Hand und zog mich zurück zu dem kleinen Waldstück. Wir liefen still nebeneinander her. Innerlich hoffte ich, dass er das Wort ergreifen würde und mich in sein Inneres blicken lassen würde, dass er mit mir über seine Gefühle spricht und sie nicht herunterschluckt. "Abby, es tut mir leid, dass ich so ausgerastet und weggerannt bin. Das war gegenüber dir nicht fair, dich mit meiner Mom sitzen zu lassen, aber ich habe es nicht eine Sekunde länger dort in der Küche ausgehalten.", begann er sich zu erklären. "Man verdammt, ich wohne dort und meine eigene Mutter kann mir nicht erzählen, dass sie schwanger ist. Nein, sie erzählt es lieber ihrer ach so klugen perfekten Stieftocher, statt ihrem eigenen Sohn. Ich verstehe das einfach nicht." Ich merkte, wie er mit jedem Wort wieder wütender wurde. "Deine Mom hat zu mir gesagt, dass Cassandra es eigentlich auch noch nicht wissen sollte, aber das Steve es wohl beim Flughafen verraten hat. Deine Mom und Steve wollten es euch wohl eigentlich zusammen erzählen.", versuchte ich das Vernommene der Unterhaltung zwischen Maggie und Cassandra wieder zu geben. "Natürlich hat Steve es Cassandra gesagt. Sie ist ja auch sein beschissener Stolz. Cassandra, die perfekte Tochter, die immer alles richtig macht.", spuckte er die Wörter vor Hass aus. "Bist du eifersüchtig?", stotterte ich meine Gedanken hervor ohne vorher darüber nach gedacht zu haben. "Wie bitte?", fragte Jonathan Wut entflammt und entzog mir seine Hand. "T-Tut m-mir leid.", erwiderte ich sofort erschrocken von seiner Wut. "Ich will nicht wie Cassandra sein und das ist das Problem, weil Steve mich immer mit ihr vergleicht und mich deshalb konsequent abwertet, weil ich nicht perfekt bin und wie gesagt Abby, ich will es auch gar nicht sein. Ich will nicht wie Cassandra sein!", erklärte er wütend. "Aber ich will auch nicht immer deshalb der Looser sein mit den Aggressionsproblemen und den Schulproblemen, der ja nichts auf die Reihe kriegt und nur Leid meiner Mutter mit dem Verhalten bringt." Ich wusste durch die Art, wie er es sagte, dass Steve ihm all dies genauso zuvor ins Gesicht gesagt haben musste. Ich hielt an. "Das ist Unrecht! Du bist ein guter Mensch und keiner hat das Recht dir solche Beschimpfungen entgegen zu bringen. Du hast so viele gute Eingeschaften, die ich an dir liebe. Ich verstehe nicht, warum Steve das nicht erkennt.", stotterte ich verständnislos. Jonathan schaute zu mir und ein sanftes Lächeln, legte sich auf seine Lippen. "Du bist viel zu gut für mich, Abby.", murmelte er leise. "Das stimmt nicht.", erwiderte ich und sah ihm in seine stürmischen Augen. Er beugte sich vor und verband unsere Lippen in einem zärtlichen Kuss. Mein Herz begann automatisch schneller gegen meine Brust zu pochen. Als er sich von mir löste, legte sich ein schiefes Grinsen auf seine Lächeln. "Welche sind denn die Eigenschaften, die du an mir liebst?", fragte er neugierig und wackelte mit den Augenbrauen. Ich stieß ihn sanft an die Schulter und antwortete: "Du bist frech." "Und das ist auch eine Sache, die du sicherlich an mir liebst.", meinte er leicht überheblich. "Vielleicht.", gab ich nach und lief einfach weiter. "Vielleicht?", fragte er nach. "J-ja, w-wieso?" "Was soll vielleicht denn bitte bedeuten? Entweder du liebst es oder du liebst es nicht.", fragte er wissbegierig weiter. "So leicht ist das Leben nicht. Es gibt nicht nur ja oder nein.", stotterte ich erklärend. "Doch, liebst du es oder liebst du es nicht?" Langsam war ich genervt und drehte mich zurück zu ihm. "Ob ich es liebe, wenn du frech bist oder auch nicht, ist doch ganz egal. Ich liebe dich so wie du nunmal bist.", meinte ich nun leicht gereizt. Ich wollte mich wieder umdrehen, doch er nahm meine Hand und hielt mich auf. Seine Augen leuchteten. "Sag es nochmal.", forderte er mich auf und erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich das erste Mal "ich liebe dich" zu ihm gesagt hatte. Wir hatten vorher noch nie das Wort: "Liebe" benutzt, sondern immer nur das Wort: "Mögen" oder dass man nicht ohne den anderen kann. Ich wurde unsicher und Angst stieg in mir empor. "Bitte sag es nochmal.", forderte er mich erneut auf mit einer deutlich sanfteren Stimme. Er muss meine Unsicherheit gespürt haben. "Ich liebe dich.", flüsterte ich, weil meine Stimme keine Kraft hatte. "Ich liebe dich auch.", antwortete er mir lächelnd, legte seine Hände liebevoll an meine Wangen und zog mich zu sich. Im nächsten Moment berührten sich unsere kalten Lippen zu einem zärtlichen Kuss.

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