Kapitel 81

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Ich fühlte mich erschlagen von der Größe und Schönheit des Saals. An jeder Ecke und auf allen Tischen standen riesige Blumen-Bouquets. Die großen Kerzen- sowie Kronleuchter ließen den Saal erstrahlen. Ein roter Teppich lag ausgerollt am Eingang zum Saal. Runde Tische säumten den Raum und umrandeten die große Bühne. Tausende Menschen rankten sich um die Tische herum. Ich war vollkommen überwältigt. So große Menschenmassen war ich gar nicht gewöhnt. Natürlich hatten wir bei Auftritten unserer Tanzgruppe auch immer wieder ein großes Publikum, aber da war ich Teil einer Gruppe und das Tanzen ließ mich stets mutiger sein und die Umgebung vergessen. Also war dies nun eine ziemlich neue Situation. Zwar waren Vanessa und Anthony an meiner Seite, aber bei all den nobel aussehenden Menschen fühlte ich mich trotz meiner eigentlich passenden Kleidung fehl am Platz. Was machte ich nur hier? Plötzlich trafen sich die Blicke von mir und Dr. Brenigan. Sie lächelte mich an und winkte uns zu sich. Sofort begrüßten Vanessa und Anthony Ms. und Mr. Brenigan, der an ihrer Seite stand. Meine Augen suchten verzweifelt die bekannten eisblauen Augen, doch von Jonathan fehlte jede Spur. "Hallo Ms. und Mr. Brenigan.", stotterte ich nun, da ich an der Reihe war sie zu begrüßen. Ms. Brenigan hatte meinen suchenden Blick gesehen und wirkte selbst, seit sich unsere Augen das erste Mal heute Abend trafen, nervös. Während Anthony Smalltalk mit Mr. Brenigan führte, glitt ich möglichst unauffällig einen Schritt näher an Ms. Brenigan. "Er ist n-nicht h-hier, oder?", flüsterte ich leise. Sie schüttelte den Kopf und ich konnte meine Enttäuschung nur schwer verbergen. "Aber er wird sicher noch kommen.", sagte sie ernst und leise zugleich. Doch man hörte auch leises Zweifeln. Es klang eher, als würde sie es sich selber versichern. "Wo ist Jonathan?", fragte nun Anthony interessiert. "Er ist an die frische Luft gegangen, um zu rauchen.", log Ms. Brenigan Anthony direkt ins Gesicht ohne ein Zeichen der Reue oder des Verrats. Mr. Brenigan sah seine Frau etwas irritiert an, nickte jedoch schlussendlich, um seine Frau nicht zu verraten. Plötzlich sah ich im Augenwinkel eine sehr schöne junge Frau auf unsere Gruppe zu steuern. Sie hatte große Ähnlichkeit mit Mr. Brenigan. Sofort zählte ich eins und eins zusammen. Das müsste also seine Tochter sein, die am anderen Ende des Landes Medizin studiert. "Hallo Cassandra.", tönte es von Vanessa und Anthony. Beide lächelten ihre Cousine strahlend an, während ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. "Cassandra, das ist Abby. Abby, das ist Cassandra.", stellte uns Vanessa gegenseitig vor, die meine Unschlüssigkeit wahrgenommen hatte. "Meine Tochter.", fügte Mr. Brenigan stolz hinzu. "Hallo Abby.", sagte Cassandra lächelnd und reichte mir ihre Hand. Sie hatte langes blondes Haar, hohe Wangenknochen und war groß. Ihre Kurven betonte sie in ihrem engen Kleid und ihre Schuhe machten sie nochmal zehn Centimenter größer. Sie sah schon fast bedrohlich aus, als sie mir genau gegenüber stand und zu mir herunter lächelte. "H-hallo.", erwiderte ich schnell. Ihre Nase und Lippen sowie Augenkonturen stimmten genau mit denen ihres Vaters über ein. Es war schon fast gruselig, wie ähnlich sie sich sahen. Sie war eine weibliche und jüngere Version von ihm. "Die Veranstaltung beginnt gleich. Wir sollten unsere Plätze einnehmen.", sagte Mr. Brenigan, schritt voran und unterbrach so meinen Gedankengang. Ich folgte Vanessa und Anthony an unseren Tisch. Hier saßen alle Schüler, die ein Kinderbuch gestaltet hatten. Am Ende des Tisches himmelten sich Mr. Klifford und Ms. Mabel an. Vanessa begann ein Gespräch mit Sarah und nun fühlte ich mich schlussendlich komplett außen vor. Der Stuhl neben mir war leer und so langsam beschlich mich der Gedanke, dass er womöglich den gesamten Abend leer bleiben könnte. Würde Jonathan wirklich nicht kommen? Kurz bevor der Bürgermeister auf die Bühne trat, erklärten uns Mr. Klifford und Ms. Mabel noch einmal den Ablauf. Jonathan und ich würden unser Buch zuletzt vorstellen, das würde ihm zumindest noch etwas Zeit einräumen. Ich hatte ihm nun auch schon dreimal geschrieben, ob er noch kommen würde, auf dem Weg sei oder ob er es vergessen hatte, aber ich hatte noch keine Antwort erhalten. Für einen Moment dachte ich sogar darüber nach, ob er die Nachrichten vielleicht ignorierte, aber dann erfasste mich wieder die Hoffnung, dass er auf dem Weg war und sie deshalb noch nicht lesen und beantworten konnte. Ich sah auf und versuchte der Rede des Bürgermeisters zu folgen, aber meine Gedanken blieben ganz wo anders. Es war nicht nur das offensichtliche Fehlen von Jonathan, das mich beschäftigte, nein, ich versuchte auch mir verzweifelt Worte zurecht zu legen, wie ich das Buch präsentieren könnte. Die ersten Schulen stellten ihre Ergebnisse vor und die Gäste riefen ihre Gebote durch den Saal oder hielten die passenden Schilder hoch, aber Jonathan war noch immer nicht da. Mein Blick wanderte durch den Saal zu Dr. Brenigan. Sie saß angespannt da und kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Ich wusste, dass sie genauso angespannt sein müsste wie ich. Meine Finger begannen zu zittern bei dem Gedanken, dass ich gleich allein auf die Bühne müsste, um zu sprechen und gerade das ist etwas, was ich nun mal nicht kann. Nun war schon das erste Team von unserer Schule an der Reihe. Ich beobachtete wie geisteskrank die Eingänge zum Saal, vielleicht versuchte ich sie auch zu hypnotisieren oder anzuflehen, aber Jonathan kam nicht herein. Ich klatschte, wenn alle an meinem Tisch dies taten, aber das war auch das Einzige, was in irgendeiner Hinsicht darauf abzielte, zu zeigen, dass ich zu hörte, wobei ich dies offensichtlich nicht tat. Mein Klatschen war auch nur halbherzig und mein Blick richtete sich überhaupt nicht zur Bühne. Eigentlich hätte jeder erkennen müssen, dass ich geistig abwesend war, aber ich hatte die leise Hoffnung, dass die Lehrer es zumindest nicht merken würden. "Alles gut, Abby?", fragte Vanessa besorgt und leise. "Ich k-kann d-das nicht. Ich k-kann d-da nicht a-allein hoch g-gehen." Meine Stimme klang eingeschüchtert und mein Körper verspannte sich bei dem Gedanken, dass nur noch drei Paare vor mir an der Reihe sein würden. Mir wurde unwohl zu Mute und mein Körper zitterte immer mehr vor Nervosität. "Ich kann mit dir hinauf gehen. Ich bin mir sicher, du schaffst das.", flüsterte Vanessa mir Mut zu. Doch im nächsten Moment sollte sie selbst auf die Bühne und ließ mich allein zurück. Nun war es nur noch ein Pärchen vor mir. Mein Magen drehte sich um. Ich stand gehetzt auf und rannte zur Tür. Wie im Tunnelblick rannte ich durch den Eingang nach draußen und stieß plötzlich gegen eine harte Brust. Ich verlor das Gleichgewicht und wankte nach hinten. Starke Arme schlossen sich um meinen Rücken und hielten mich fest. Verwirrt und komplett durcheinander schaute ich auf und traf auf eisblaue Augen. "Abby.", hauchte Jonathan überwältigt und besorgt zugleich. "Was ist passiert? Geht es dir nicht gut?", fragte er sofort weiter. Ich war froh, dass er mich so festhielt, denn meine Knie waren weich wie Butter. Zitternd und wahrscheinlich leichenblass stand ich vor ihm. "Ich kann da nicht allein hochgehen.", stotterte ich kläglich. Mein Herzschlag regulierte sich etwas, desto länger ich ihm in die Augen sah. "Tief ein und aus.", flüsterte er mehrfach, da er nun wohl eins und eins zusammen gezählt hatte. Schließlich hatte er Panikattacken von mir bereits erlebt. "Alles wird gut. Wir gehen da gemeinsam hoch. Du brauchst nicht reden. Das werde ich übernehmen.", sagte er beruhigend, während mein Körper langsam nicht mehr zitterte. Plötzlich hörte ich Schritte. "Abby, alles gut? Du bist einfach heraus gerannt?", rief Anthony gefolgt von Vanessa. Beide blieben abrupt stehen, als sie Jonathan sahen, der mich noch immer festhielt. "J-ja, es g-geht wieder.", sagte ich leise und versuchte überzeugend zu klingen. "Ihr seid an der Reihe.", rief Vanessa aufgeregt. Jonathan ließ seine Arme herunter sinken und ergriff meine rechte Hand. "Komm.", sagte er und zog mich vorsichtig mit. Vanessa grinste mich vielsagend an, während Anthony ziemlich verwirrt einfach nur da stand. Unsere Lehrer wirkten mehr als erleichtert, als sie uns durch den Eingang des Saals kamen sahen. Jonathan steuerte zielstrebig auf die Bühne zu. Mein Herzschlag wurde erneut schneller. Er hielt noch immer meine Hand und das vor den gesamten Gästen der Veranstaltung. Nachdem wir die Bühne erklommen hatten, platzierten wir uns hinter dem Rednerpult. "Sehr geehrte Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte unsere Verspätung. Ein Anflug von Lampenfieber hat uns aufgehalten." Das Publikum lachte und Jonathan grinste. Er wirkte charmant, während er unser Buch vorstellte und brachte das Publikum zwischendurch zum Schmunzeln. Ich konnte es nicht verhindern, dass mein Blick ihn scannte. Er trug einen enganliegenden dunkelblauen Anzug und hellbraune Lederschuhe. Das weiße Hemd betonte seine Brustmuskulatur und seine Haare hatte er lässig zur Seite gestylt. Die blaue Krawatte, um seinen Hals hing etwas schief und erst als ich ihn so genau musterte, fiel mir auf, dass er sich wohl ziemlich beeilt haben musste, um hier her zu kommen. Es war nicht nur die Krawatte, die etwas krumm war, nein, er hatte auch vereinzelte Schweißperlen auf der Stirn und sein Jacket saß nicht perfekt glatt. Trotzdem sah er unverschämt gut aus. Er hielt die perfekte Rede, fasste unser Buch in kurzen Abschnitten zusammen und war dabei stets höflich. Eine ganz andere Seite von Jonathan zeigte sich hier auf der Bühne und ich mochte diese Seite. "Ich bedanke mich bei unseren Lehrern, dass Sie uns dieses tolle Projekt ermöglicht haben und vor allem bedanke ich mich bei meiner Partnerin, die diese Zusammenarbeit nicht nur durch ihre literarischen Künste sondern auch durch ihren Mut und ihr Lächeln geprägt hat, sodass ich schlussendlich sagen muss, dass es dieses Buch ohne sie nicht geben würde." Jonathan lächelte, trat ein Schritt zurück und die Gäste begannen zu applaudieren. Ich war mehr als überrascht von seinen Worten. Nie hätte ich damit gerechnet, dass er sich bei mir bedanken würde und das auch noch vor den wichtigsten Menschen der Stadt und Teilen unserer Mitschüler. Ich war schockiert und zugleich gerührt. Mein Herz begann schneller zu schlagen, ein breites Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab und ich konnte meine Augen nicht von diesem atemberaubenden Jungen nehmen.

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