Kapitel 65

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Maggie und ich hatten den Nachmittag zusammen im Wohnzimmer verbracht. Da ich momentan als Einzige neben ihrem Mann in ihre Schwangerschaft eingeweiht war, nutzte sie die Chance und erzählte mir alles über ihre Pläne für das Kinderzimmer. Auch haben wir auf ihren Vorschlag meine Mom im Krankenhaus besucht, da sie ihrem Mann Steve etwas bringen wollte. Am Abend hatten wir zusammen gegessen und nun lag ich im Gästezimmer im Bett. Maggie hatte mir ihr Bücherregal zur Verfügung gestellt. Ich war so glücklich, dass ich mich tausendfach bedankt hatte und mir gleich ein Buch ausgesucht hatte. Tief in die Geschichte versunken, hatte ich gar nicht mitbekommen, dass es schon fast zehn Uhr war. Erschrocken musste ich feststellen, dass Jonathan noch immer nicht zurück war. Um mich etwas von meinen aufkommenden Sorgen abzulenken, lief ich vorsichtig ins Badezimmer und machte mich für das Bett fertig. Ich hoffte inständig, dass Matthew und Jonathan keinen Streit hatten oder schlimmeres. Bevor ich zu lesen begonnen hatte, hatte ich den festen Entschluss getroffen Jonathan noch heute von der verwandtschaftlichen Beziehung von Matthew und mir zu erzählen. Doch umso länger ich auf Jonathan wartete, desto mehr Zweifel kamen auf und mein Mut sank dramatisch. Jedoch verdiente Jonathan die Wahrheit, weshalb ich trotz aller Bedenken noch immer bereit war ihm alles zu erzählen. Wieder zurück im Bett kuschelte ich mich unter die Decke und begann zu warten. Ich haderte mit mir selbst, ob ich noch ein Kapitel lesen sollte, um mich wach zu halten oder einfach etwas die Augen zu machen sollte. Ich wollte die Gelegenheit nicht verschlafen, also versuchte ich schlussendlich doch noch ein Kapitel zu lesen, obwohl meine Konzentration ganz woanders lag, als bei der dramatischen Liebesgeschichte der beiden Protagonisten. Ich seufzte und legte das Buch müde wieder weg. Es war sinnlos, denn ich hatte nichts von den paar Seiten des Kapitels behalten. Also lauschte ich nun in die Stille des Hauses. Maggie hatte mir bereits vor mehr als einer Stunde eine gute Nacht gewünscht. Zuvor hatte ich Steve nach Hause kommen hören, doch von ihm hörte man auch nichts mehr im Haus. Es war auf eine ziemlich unheimliche Art und Weise still im Haus. Es war eindeutig, ohne Jonathan fühlte ich mich ziemlich unwohl in diesem großen Haus und vor allem allein. Ich hatte die Jalousien noch nicht herunter gezogen, um den matten Sternenhimmel in der Ferne zu beobachten und vor allem um Bewegungen auf dem Hof zu sehen. Ich hatte die Hoffnung, dass ich die Scheinwerfer seines Autos sehen könnte. Damit hätte ich Zeit gehabt mich gedanklich auf das Gespräch vorzubereiten und nochmal durchzuatmen. Doch auch noch eine Stunde später rührte sich in der Dunkelheit der Nacht nichts. Meine Augenlider wurden immer schwerer bis mir schlussendlich die Augen zu fielen. Meine Träume behandelten meine schlimmsten Befürchtungen und schickten mich so von einem Desaster ins andere. Immer wieder rannte ich gegen eine Wand und Jonathan wendete sich von mir ab. Plötzlich schreckte ich auf und wurde vom grellen Licht der Nachttischlampe geblendet. "Hey, tut mir leid. Ich bin es nur.", flüsterte Jonathan, der beruhigend meine Hand ergriffen hatte. Ich musste mehrfach blinzeln, um ein klares Bild von meinem Gegenüber zu erhalten. Jonathan sah mich müde lächelnd an. Er trug lediglich seine Boxershort und hob nun langsam die Decke an. Total verwirrt versuchte ich zu verstehen, was gerade passiert. "Rückst du ein Stück?", half er meinem schlafenden Verstand auf die Sprünge. Sofort rutschte ich etwas zur Seite und machte so Platz für ihn. Das hatte den bitteren Nachteil, dass die Matratze unter mir nun ziemlich kalt war und Jonathan nun auf dem Teil saß, der von mir warm gelegen wurde. "J-jonathan, ich m-muss mit dir reden.", sagte ich unsicher, während er es sich bequem machte. Etwas verunsichert musterte er mich. "Abby, du weißt schon, dass es zwei Uhr morgens ist, oder? Tut mir leid, ich bin echt müde. Können wir einfach morgen reden?" Mir war nicht bewusst, dass es schon so spät war und trotzdem hätte ich ihm jetzt bereitwillig alles preis gegeben. Doch ich wollte, dass er mir zu hört und mich versteht. Es sollte nicht schnell gehen und er sollte nicht genervt sein, nur weil er müde war, also nickte ich schlussendlich etwas enttäuscht. Jonathan schenkte mir ein leichtes Lächeln und zog mich sanft an seine Seite. Ich bettete meinen Kopf auf seiner Brust und schlief mit der Hoffnung ein, dass ich morgen hoffentlich immer noch mutig genug sein würde.
Am nächsten Morgen wurde ich wach, weil mir kalt war. Meine Hand streckte ich zaghaft nach Jonathan aus, doch ich strich nur über die leere Betthälfte. Etwas verwirrt öffnete ich vorsichtig meine Augen, doch schloss ich sie so gleich wieder, da ich geblendet war von der grellen Morgensonne, die durch das Fenster schien. Ich seufzte und hielt mir die Augen zu. Es war meine eigene Schuld, dass ich nun lila Punkte durch mein Sichtfeld tanzen sah. Schließlich war ich so unbedacht und hatte die Jalousien nicht herunter gezogen. Nach kurzer Zeit hatte ich mich an das Licht gewöhnt und schaute durch den Raum. Auf dem Nachtschrank klebte ein ziemlich unsauber geschriebener Notizzettel, doch bis auf den kleinen gelben Post-it, war das Zimmer genau wie gestern und von Jonathan fehlte jede Spur. Also ergriff ich etwas enttäuscht den Zettel und begann zu lesen: "Hey Abby, hoffe du hast gut geschlafen. Bin jetzt in der Schule, wollte dich nicht wecken. Mom, bringt dich nachher ins Krankenhaus. Ich treffe dich dort und fahre dich nach Hause, dann haben wir genug Zeit zu sprechen. PS: Ich weiß nicht, wie du dieses schnulzige Buch lesen kannst, Mom hat nur geweint, als sie das gelesen hat." Zum Schluss schaffte er es mir doch noch ein Lachen zu entlocken, obwohl seine Nachricht nicht besonders positiv war. Wie sollte ich ihm auf einer kurzen Autofahrt all das erklären? Das wäre nicht der richtige Zeitpunkt, noch der richtige Ort. Ich seufzte. Und was sollte ich ihm sagen, wenn ich es nicht anspreche, weshalb ich mit ihm reden wollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es vergisst, ist beträchtlich gering. Ich wälzte mich zurück auf meinen Rücken und schaute betrübt zur Decke. Langsam bildete sich Wut in meinem Bauch. Ich hätte es gestern beziehungsweise eigentlich heute Nacht ansprechen sollen. Andererseits war es sehr spät, Jonathan müde und er musste heute früh aufstehen. Kurzer Hand nahm ich mir das Kissen und schrie leise meine Verzweiflung hinein. Das gibt es doch nicht! Es müsste doch theoretisch so einfach sein, ihm die Wahrheit zu sagen und doch gestaltet es sich praktisch so problematisch. Mein Blick fiel zurück auf die Notiz in meiner rechten Hand, die zuvor auf dem Buch auf dem Nachttisch geklebt hatte. Er wusste, dass ich enttäuscht sein würde, dass ich nicht neben ihn aufwache, deshalb hatte er wahrscheinlich das PS hinzugefügt. Nach weiteren fünf Minuten der puren inneren Verzweiflung raffte ich mich träge auf und humpelte ins Badezimmer, um mich frisch zu machen. Nach einer ausgiebigen warmen Dusche fühlte ich mich zumindest etwas besser. Ich föhnte meine Haare, ließ sie im Anschluss einfach in meinen typischen Wellen herunter hängen und zog mich an. Als ich fertig war, lief ich vorsichtig sowie bedacht herunter und versuchte mich verzweifelt zu erinnern, wo die Küche des Hauses war. Doch die Suche wurde mir glücklicherweise abgenommen, als Maggie die Tür vom Wohnzimmer öffnete und auf den Flur kam. "Oh Abby, du hast bestimmt Hunger. Hast du gut geschlafen? Soll ich dir Frühstück machen?", fragte sie mich lächelnd und kam auf mich zu. "Ja, ich habe ganz gut geschlafen und ja, etwas zu essen wäre jetzt ganz schön, aber bitte mache dir keine Umstände. Ich kann mir auch selbst ein Frühstück machen.", stotterte ich nervös, denn ich hatte Angst, ob sie mich fragen würde, ob ich bereits mit Jonathan gesprochen hätte. "Ach Abby, das trifft sich gut. Ich habe auch noch nicht gefrühstückt. Dann machen wir uns einfach zusammen etwas." Sie strahlte noch immer über das ganze Gesicht und lief vor in die Küche. Ich wusste, dass ich zu diesem Angebot nicht nein sagen könnte und deshalb fand ich mich zehn Minuten später vor einem gedeckten Tisch wieder.

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