Kapitel 78

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Zitternd öffnete ich die knarrende Tür. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Dann lauschte ich angespannt. Zu meiner großen Überraschung kam lautes Lachen aus dem Wohnzimmer. Ich witterte meine Chance, zog leise meine Schuhe aus und pierschte mich langsam und still zur Treppe. Vielleicht würde mein Onkel gar nicht merken, dass ich zu Hause war. Innerlich verfluchte ich den Holzboden im Flur, der bei jedem meiner Schritte ein leises Knarren von sich gab. Es war zu meinem Glück nicht mehr weit bis zur Treppe. So still wie möglich tapste ich weiter durch den Flur bis plötzlich die Tür vom Wohnzimmer aufflog und einer der ekligen Freunde meines Onkels zum Vorschein kam. "Na na, wen haben wir denn da?", sagte dieser amüsiert. Mir blieb die Luft im Halse stecken. Er kam näher auf mich zu. Also machte ich schnell ein paar Schritte nach hinten. "Es ist wirklich unhöflich nicht zu antworten.", tadelte er mich und grinste mich noch immer dreckig an. Seine Augen waren trübe. Er schien mehr als nur benebelt vom Alkohol zu sein. Seine Pupillen verrieten ihn, dass hier auch Drogen im Spiel waren. "L-lass mich in R-ruhe.", versuchte ich tapfer zu sagen, während meine Augen nach einem Fluchtweg suchten. Meine Stimme hatte mich wohl verraten, denn nun erschien mein Onkel in der Tür. Ich wusste nicht, ob ich nun in noch mehr Ärger steckte oder er mir zu Hilfe kommen würde. Er war unberechenbar und es war schwierig ihn einzuschätzen, wie er vor seinen Freunden handeln würde. "Da bist du ja endlich, du kleines Miststück! Wo warst du?", fragte er mich wutentbrannt. Ich begann zu zittern. Mein Puls stieg ins Unendliche, denn der einzige Fluchtweg wurde von dem Freund meines Onkels versperrt. "Antworte!", brüllte er lauthals. "I-im Krankenhaus." Meine Stimme war kaum zu vernehmen. Im nächsten Moment rannte er auf mich zu, ergriff meine linke Schulter und zog meinen Kopf nach hinten an meinen Haaren. Ich schrie auf vor Schmerz und sah nun in seine teuflischen Augen, in denen sein sadistisches Wesen getrieben vom Alkohol und den Drogen aufleuchtete. "So behandelt man Schlampen, die sich nicht an Regeln halten.", sagte mein Onkel dreckig grinsend zu seinem Freund. Dann schubste er mich mit voller Wucht gegen die Wand. Mein Hinterkopf und mein Rücken schlugen schmerzhaft gegen die Wand. Aus meinem Mund ertönte nur ein Stöhnen vor Schmerz. Plötzlich traf mich ein unerwarteter Tritt gegen die Beine. Ich versuchte mich verzweifelt aufzufangen, schlug aber mit meinen Beinen auf dem harten Holzboden auf. Der nächste Tritt traf mich tief gegen den Bauch. "Und jetzt mach das Essen, du dreckige Hure!", befahl mir mein Onkel und verschwand mit seinem Freund wieder im Wohnzimmer. Tränen tropften auf den Boden, während ich mich aufraffte und in die Küche stolperte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um das Schluchzen verstummen zu lassen, dass mir über die Lippen rollen wollte. Zitternd hielt ich mich an den Küchenmöbeln fest, während ich das Essen machte. Mit einer Hand hielt ich mir meinen Bauch, mit der anderen klammerte ich mich an die Arbeitsplatte. Ich versuchte ein schnelles Gericht aus den gering vorhandenen Zutaten zu zaubern. Bisher hatte Matthew immer den Auftrag gehabt einzukaufen mit einer ganz bestimmten Summe, die ihm sein Vater gab. Doch nun war Matthew fort und der Kühlschrank fast leer. Doch ein Blick in den Abstellraum würde genügen, um zu wissen, dass es uns an allem mangelt außer an literweise Dosenbier und dem dazugehörigen Pfand. Ängstlich stolperte ich zum Wohnzimmer und klopfte leise an. "Ja?", hörte man es genervt ertönen. "Das Essen ist fertig.", stotterte ich. "Gut, verschwinde auf dein Zimmer, Miststück! Den Rest übernehme ich lieber persönlich.", giftete mein Onkel. Ich nahm mein Stichwort sehr ernst und rannte so gut es mit den Schmerzen ging auf mein Zimmer. Vor Angst die beiden Freunde könnten auf schlimme Ideen kommen, schob ich meine Kommode vor die Tür mit der leisen Hoffnung, dass sie mich vor weiteren Angriffen schützen könnte. Dann stolperte ich zu meiner Matratze und ließ mich erschöpft fallen. Neue Tränen liefen mir über die Wangen, während ich mich verzweifelt unter der dünnen Decke versuchte zu wärmen. Eine halbe Stunde später war mir immer noch bitterlich kalt und mein Bauch grummelte vor Hunger und vor Schmerzen. Ich zog mich vorsichtig dicker an, als ich plötzlich das Vibrieren meines Handys wahrnahm. Schnell ergriff ich es und nahm den Anruf an. "Abby? Warum gehst du denn nicht ans Telefon? Ich habe dich schon drei mal angerufen.", fragte mich Jonathan sichtlich in Sorge. Seine Stimme genügte, um mich etwas zu beruhigen. "Abby, antworte bitte." "Ich, ich m-musste noch k-kochen." Meine Stimme war kaum zu vernehmen und sie zitterte noch leicht vom Weinen. Ich wusste, dass sie mich gegenüber Jonathan verriet. "Bist du verletzt?", fragte er, wie aus der Pistole geschossen. "N-nein." Neue Tränen bildeten sich in meinen Augen. "Hat er dir weh getan?" Er klang gepresst, als würde enorme Wut in ihm aufsteigen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich wollte ich ihn nicht länger belügen, andererseits war mir durch die Schilderungen der Brenigans bewusst, zu was er fähig war, wenn er wutentbrannt war. "J-ja." Ein Schluchzen verließ ungewollt meine Lippen. Ich spürte förmlich, wie sich seine Muskeln am anderen Ende der Leitung anspannten. "Er hat mich geschubst und getreten, aber ich bin nicht schlimm verletzt.", versuchte ich ihn stotternd irgendwie zu beruhigen. "Abby, er darf dir überhaupt nicht weh tun! Er dürfte dich nicht mal berühren!" Jonathan war außer sich. "Jonathan...", versuchte ich anzusetzen, aber er unterbrach mich einfach: "Nein, ich halt es nicht aus, dass er dich verletzt. Vor allem ist es alles meine Schuld. Hätte ich nicht vergessen, dass wir telefoniert und uns verabredet haben, wärst du nie zu spät nach Hause gekommen. Fuck, ich ertrage den Gedanken einfach nicht, wie du jetzt bei dir zu Hause allein mit Schmerzen liegst wegen dem Arschloch." "Jonathan, hör mir zu. Ich bin jetzt hundertprozentig ehrlich. Deine Wut bringt mich gerade nicht weiter und dich auch nicht. Es ist passiert. Daran kann ich nichts ändern und du auch nicht." Meine Stimme zitterte noch immer, denn ich hatte so Angst, dass er noch wütender werden könnte. Es blieb kurz still am Telefon. Der Umstand beruhigte mich keineswegs. "Abby.", seufzte Jonathan schlussendlich. "Ich weiß, dass meine Wut uns nicht weiter bringt. Und das beziehe ich gerade auf die Gesamtsituation, aber ich kann die Wut nicht einfach abstellen und manchmal ist sie einfach so schwer zu kontrollieren. Der Gedanke, dass dir jemand weh tut, fuckt mich einfach ab. Genauso macht es mich seit Tagen wütend, dass ich wütend auf dich bin. Denn einerseits will ich wütend auf dich sein, weil du mich verletzt und belogen hast. Andererseits bin ich wütend, aber sehe ich dir in der Schule in die Augen verfließt die Wut und auch das macht mich wütend. Das ist alles so schrecklich kompliziert." Jonathan klang so unheimlich verzweifelt, dass es mir fast das Herz zerriss. Zugleich fiel es mir schwer ihm zu folgen und seine Gefühle zu verstehen, denn sie waren einfach in sich widersprüchlich. "Es tut mir leid.", brachte ich nur stotternd heraus, denn ich fühlte mich für sein Gefühlschaos verantwortlich. "Können wir morgen nach der Gala sprechen?", fragte Jonathan plötzlich und begann so mit einem neuen Thema. Schnell versuchte ich mich zu fangen, denn ich war etwas perplex. "Ich k-kann nicht bis zum Ende d-der Gala b-bleiben.", sagte ich missmutig. "Dann reden wir auf der Gala oder am Sonntag im Krankenhaus." Es wunderte mich, dass er nun selbst einen Termin für ein Gespräch einforderte. "Ja.", stimmte ich zu. "Okay, super." Jonathan klang erleichtert. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen. "Danke, Jonathan." Mir fiel ein Stein vom Herzen so groß wie der Mount Everest. Endlich würde er mir die Möglichkeit geben mit ihm zu sprechen. Wieder blieb es kurz still und das ließ mich nun etwas verunsichert zurück. "Wie sind die Schmerzen?", fragte er mit Sorge in der Stimme und wechselte so erneut das Thema. "Es geht.", gab ich zu. Erneute Stille legte sich über uns. Noch immer war da diese schreckliche Spannung zwischen uns. Ich überlegte nun schon eine Minute hin und her, ob ich die Frage stellen sollte, die mir auf dem Herzen lag. "Jonathan, ich weiß, dass ist viel verlangt, aber magst du vielleicht dran bleiben? Ich habe etwas Angst."

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