Kapitel 10

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Matthew hatte mich Mittags abgeholt und war so lieb den Bus zu bezahlen, sodass wir nicht laufen mussten. Ich war überaus erleichtert, als Matthew erzählte, dass sein Vater wegen dem Fußballspiel das Wochenende über bei seinem Freund in der Nachbarstadt sein würde. So hatte ich zwei weitere Tage, um mich auszuruhen, so weit das möglich war, denn Matthew hatte ebenfalls Ansprüche an mich. So hatte er sofort klar gestellt, dass ich wieder kochen müsste, die Wohnung dringend geputzt werden muss und die Waschmaschine angestellt werden müsste. Zuhause angekommen, kümmerte ich mich erst um das Wohnzimmer. Es war ein Desaster. Es stank bis zum Himmel. Überall lagen Bierdosen herum und Pizzareste. Hatten sich die Männer die ganze Woche nur von Pizza ernährt? Es roch muffig und der Teppich hatte einen riesigen Fleck, der nach Alkohol stank. Die Pizzakartons stapelten sich auf dem Wohnzimmertisch, der nur noch drei Beine hatte. Die Couch ist durch gesessen und das Leder ist an einigen Stellen kaputt und matt. Als erstes riss ich die Fenster auf und sammelte mit einer Mülltüte nach und nach die Bierdosen auf. Es wurde kalt im Raum, aber es kam endlich frische Luft herein. Die Zeit verging wie im Flug, als ich Staub wischte, den Fleck aus dem Teppich mit einem intensiv riechenden Reiniger säuberte, der Tränen in meine Augen schießen ließ und den Rest Müll wegräumte. Dann wischte ich noch den Boden. Bis auf die alten Möbel sah der Raum gar nicht so schlecht aus. Ich lächelte und war stolz auf meine Arbeit. Als nächstes führte mein Weg in die Küche und ich begann auch hier zu putzen. Nebenbei schüttete ich Nudeln ins kochende Wasser und versuchte mich an einem schönen Pesto. Ich summte vor mir her, während ich den Boden mit dem Wischmopp glänzen ließ. Wenn ich singe, lässt das Stottern nach. Mit meiner Mom habe ich früher ganz viel gesungen, vor allem wenn wir zusammen getanzt haben. Bei der Erinnerung bildete sich ein trauriges Lächeln auf meinen Lippen. "Abby?", ich schreckte aus meinen Gedanken und sah auf zu Matthew, der grinsend im Türrahmen stand. Es war so ganz anders, wenn mein Onkel bzw. sein Vater nicht hier war. Die Atmosphäre war ruhiger und alles war lockerer. "Ich gehe schnell im Laden um die Ecke einkaufen. Möchtest du etwas?" Ich war überrascht von seiner Frage, aber ich konnte die Freude, die sich in mir aufbaute, nicht verbergen. "Schokolade, wenn es geht und sie nicht zu teuer ist, bitte.", stotterte ich hervor und klang wie ein kleines Kind. Er begann zu lachen. Seine Körperhaltung war total locker. Er wirkte super entspannt. "Die mit Schokolinsen?" "Ja b-bitte!" "Unter einer Bedingung.", sagte er nun ernster und mir wurde unwohl. "Zwei Kumpel kommen heute Abend. Wir wollen zusammen was trinken und das Spiel im Fernsehen sehen. Ich möchte von dir keinen Laut hören. Du bleibst in deinem Zimmer und bist so leise wie möglich." Irritiert sah ich ihn an. Er wollte Freunde mit nach Hause bringen. Das hat er noch nie zuvor. Ich dachte, sie wissen nichts von seiner armen Herkunft. Doch ich nickte ihm zu. Wenn er mir Schokolade mit bringt und weiterhin das Wochenende so nett zu mir ist, dann ist es mir egal, ob ich in meinem Zimmer leise sein soll. Schließlich war ich das jeden Tag. "Beeil dich, das Essen ist in einer Viertelstunde fertig.", rief ich ihm stotternd nach, denn er hatte sich schon umgedreht. Aus dem Flur hörte man ein ja und dann war er verschwunden. Schnell putzte ich noch den kleinen Flur und versteckte meine Jacke und Schuhe, damit niemand sehen würde, dass ich hier auch wohne. Dann deckte ich den Tisch und stellte den Herd herunter und machte noch schnell die Waschmaschiche an. Dann kam auch schon Matthew mit zwei Tüten zur Tür herein. "Es riecht gut.", sagte er und reichte mir eine Tüte, die ich ihm abnahm. Wir setzten uns erst, um zu essen, damit nichts kalt wird. Während dem Essen schwiegen wir, das war immer so. Der Einzige, der die Ruhe immer durchbrach war mein Onkel, indem er entweder Matthew oder mich fertig machte. Matthew aß richtig viel, ich nahm mir nur ein wenig. Ich hatte im Krankenhaus genug zu essen bekommen und er hatte scheinbar die letzten Tage gehungert, sonst würde er nicht so viel essen. "Kannst du mir vielleicht helfen das Wohnzimmer für heute Abend etwas zu verschönern?", fragte er unsicher. Ich nickte ihm zu. "Vor-vorher m-müsste ich n-noch das B-Bad p-putzen." Er nickte und während er seinen Teller auf aß, begann ich die Lebensmittel wegzuräumen. Ganz unten in der Tüte lag meine Lieblingsschokolade. Freudestrahlend holte ich sie heraus. Ich hatte sie so lange nicht mehr gegessen. "Danke.", sagte ich glücklich und lächelte Matthew an. "Kein Problem.", antwortete er nur cool und stand auf. "Ich muss noch kurz weg, bin um vier Uhr zurück." Damit war er schon wieder verschwunden. Ich legte die Schokolade auf den Tisch und seufzte. War ja klar, dass er mich mit dem Abwasch allein lassen würde. Also ging der Putzmarathon weiter. Zwischendurch hing ich die Wäsche auf und versteckte meine Schokolade in meinem Zimmer. Das Bad war fertig und alles gewischt. Nun war ich fix und fertig. Ich ließ mich vorsichtig auf meine Matratze fallen, bedacht darauf meine Rippen zu schützen und ruhte mich aus. Meine Seite schmerzte etwas, wahrscheinlich habe ich mich überarbeitet. Noch immer rätselte ich darüber, welche Kumpel er wohl eingeladen haben könnte. Er würde Jonathan und Chris doch nie freiwillig hier her bringen, oder? Bei den Gedanken an Jonathan wurde mir flau im Magen. Schnell versuchte ich mich auf andere Gedanken zu bringen. Doch diese Aufgabe wurde mir schon von Matthew abgenommen, der meinen Namen rief und fragte, ob ich ihm nun helfen könnte. Zusammen legten wir eine Decke über die Couch, um die kaputten Stellen zu überdecken. Ich stapelte die Playboymagazine von meinem Onkel als viertes Tischbein übereinander, darauf bedacht, dass man von außen nicht auf die Art des Magazins schließen könnte und formte aus einem alten Stück Stoff eine Tischdecke. Auf die improvisierte Tischdecke, stellte ich drei Gläser bereit und machte Platz für die Schüsseln mit Snacks, die Matthew gerade in der Küche vorbereitete. Mit Haarbändern von mir, band ich die Vorhänge zusammen, damit man die Löcher in ihnen nicht sieht. Alles in allem, sah das Wohnzimmer nun viel schöner aus. Als Matthew mit den Schüsseln in der Hand ins Zimmer kam, staunte er nicht schlecht, als er unser Werk betrachtete. "Krass.", murmelte er, als wäre ihm der Atem weggeblieben. "Ich wusste nicht, dass unser Wohnzimmer schon fast in Ordnung aussehen kann." Ich begann zu lachen, er sah einfach noch immer unheimlich verblüfft aus. Nun schenkte er mir ein Lächeln und stellte die Schüsseln auf den Tisch. "Danke Abby." Ich nickte ihm zu und wollte mich nun in meinem Zimmer verstecken gehen, als er mich aufhielt. "Im Ernst Abby, danke. Das bedeutet mir echt viel, dass du dich hier um alles gekümmert hast." Er kratzte sich nervös am Hinterkopf, aber seine Augen zeigten mir, wie ernst er es meinte. Ich schenkte ihm ein Lächeln. "Danke, dass du mich heute abgeholt hast.", stotterte ich. Auf seinen Lippen bildete sich nun auch ein Lächeln. Seine grünen Augen leuchteten. Plötzlich klopfte es. Geschockt sahen wir uns an. Er zückte sein Handy. Im Gegensatz zu mir besaß er eins, wie er es finanzierte war mir ein Rätsel. "Shit! Sie sind zu früh. Los, du musst dich verstecken.", forderte er mich gehetzt auf und lief zur Tür. Schnell drehte ich mich um und rannte so leise wie möglich nach oben. Aber ich konnte es nicht verhindern, dass ich oben im Flur langsamer wurde und stehen blieb. Ich versteckte mich im Schattenbereich und begann zu lauschen. Die Neugier hatte Besitz von mir ergriffen. Ich wollte einfach wissen, wen Matthew eingeladen hatte. Mein Herz raste und ich lugte unauffällig nach unten. "Alter Matthew, du hast gesagt, dass du arm bist, aber dein Haus ist ja eine Bruchbude.", sagte Chris schockiert. Ich sah, das Matthew beschämt nach unten sah. "Lass ihn, Chris!", feuerte nun eine ernste Stimme zurück und aus dem Schatten trat Jonathan. Er hatte seine Haare gestylt und trug ein blaues Hemd. Seine Hände hatte er locker in die Hosentaschen seiner schwarzen Jeans gesteckt. Er sah mal wieder umwerfend gut aus und es frustrierte mich, dass ich mir diese Tatsache zweifellos ständig eingestehen musste. Wie konnte ein Mensch dauerhaft so gut aussehen? "Wir können froh sein, dass Matthew sturmfrei hat. Schließlich wäre bei uns beiden mit den Eltern zu Hause tote Hose gewesen.", argumentierte Jonathan weiter und verteidigte so Matthew. Gespannt sah ich zu und achtete darauf nicht aus meinem Versteck zu kommen. "Ja und Matthew kann endlich auch mal Bier ausgeben.", stimmte Chris nun mit ein und klopfte Matthew auf die Schulter. Matthew und Chris liefen nun zum Wohnzimmer, doch Jonathan blieb stehen. "Ich benutze schnell dein Bad.", rief er Matthew zu und joggte zu den Treppen. Schnell rannte ich in mein Zimmer und schloss so leise und hektisch wie möglich die Tür. Adrenalin pumpte durch meine Adern, als ich mich gegen meine Tür lehnte und meinen Atem anhielt. Hatte er mich gesehen? Oder war ich schnell genug?

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