Kapitel 52

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Jonathan? Wie von selbst drehten meine Füße um und ich lief auf ihn zu. Umso näher ich kam, desto schneller wurde ich. Ich riss erschrocken meine Augen auf. Er sah schrecklich aus. Sein Auge war dick und blau, und auch sein Kiefer schimmerte lila. Was war ihm nur passiert? Hatte er einen Unfall? Hat er sich geprügelt? Haben Matthew und er sich gestritten? Könnte Matthew seinem besten Freund so weh tun? Jonathan hatte mich noch immer nicht gesehen, denn er schien stark mit seiner Mutter zu diskutieren. Eigentlich hätte mich diese Tatsache davon abhalten sollen weiterzugehen, aber meine Füße liefen wie von selbst. "J-jonathan?" Als ich vor ihm stand, war ich einfach nur noch besorgt. Erschrocken drehte er sich um. "Abby, was machst du schon hier?" Er war verwirrt und schaute nun unsicher zwischen seiner Mutter und mir hinterher. "Ich lasse euch beiden dann mal allein. Abby, lass ihn nicht aus den Augen. Er soll hier bleiben und Jonathan, wir sind noch nicht fertig.", sagte Dr. Brenigan ernst. Im nächsten Moment war sie verschwunden. Unsicher sah ich Jonathan an, der genervt zu überlegen schien. Dann griff er plötzlich meinen Arm und zog mich hinter sich her. Er war überhaupt nicht sanft wie sonst, nein er riss mich förmlich mit sich. Ängstlich stolperte ich hinter ihm her und versuchte vergebens mit seinem Schritttempo mitzuhalten. "Jonathan, bitte ich kann nicht so schnell. Du tust mir weh." Abrupt blieb er stehen, sodass ich nun gegen seinen Rücken prallte. "Tut mir leid.", murmelte er und zog mich nun vorsichtiger weiter. Wohin wollte er nur? Die Gänge kamen mir bekannt vor und dann war es klar. Er lief mit mir zu Mom. Als wir bei ihr im Zimmer ankamen, ließ er mich endlich los und setzte sich. Verwirrt lief ich zu ihm und setzte mich. Angst überkam mich. Warum verhielt er sich plötzlich nur so komisch? Habe ich etwas falsch gemacht? Hat mein ungutes Gefühl recht behalten und es war alles eine Lüge? Will er mir sagen, dass er nichts mehr mit mir machen möchte? "Wieso bist du schon hier?", fragte er. Seine Stimme klang gepresst, als würde er Wut herunterschlucken. Die Frage war nur, auf wen er wütend ist? "Ich war eher mit unserem Bilderbuch fertig, habe es abgegeben und durfte dann eher gehen.", erklärte ich stotternd. Nervös spielte ich mit meinen Fingern. "Abby, ich bin da in etwas dummes hinein geraten. Eigentlich wollte ich, dass du gar nichts davon mit bekommst, damit du dir keine Sorgen machst, aber das ist nach hinten los gegangen.", fing er an zu erzählen und wirkte noch immer stark angespannt. "W-was ist p-passiert?" "Ich habe mich geprügelt. Es ist nichts Schlimmes. Mir geht es gut.", winkte er locker ab. "Nichts Schlimmes? Dein gesamtes Gesicht ist blau und grün." Nun wurde ich plötzlich wütend. "Das ist nichts. Mein Gegner sieht schlimmer aus." Ich konnte nicht anders als sarkastisch zu lachen. "Soll mich das beruhigen? Du prügelst dich, bist verletzt und tust es ab, als wäre es eine kleine Schramme.", protestierte ich. "Wieso machst du dir nur so viele Sorgen? Ich wusste, dass das geschieht. Abby, ich muss mir Sorgen um dich machen nicht umgekehrt.", sagte er genervt und griff sich durch seine Haare. "Verstehst du das nicht? Vielleicht tust du Menschen damit weh, den du etwas bedeutest.", meinte ich nun frustriert. Plötzlich beugte er sich schnell zu mir herüber, legte seine Hand an meinen Hinterkopf, zog mich zu sich und legte seine Lippen auf meine. Total perplex erwiderte ich zuerst nicht, aber mein Herz verriet mich, in dem es schnell zu klopfen begann. Seine Lippen vernebelten meine Gedanken und so schwand mein Widerstand in Windeseile. Also bewegten sich meine Lippen plötzlich wie von selbst gegen die seinen. Ich spürte, wie er in den Kuss lächelte. Als er nur zögerlich unsere Lippen trennte, lagen unsere Stirnen gegeneinander. Seinen Atem konnte ich auf meinen prickelnden Lippen spüren. "Tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast.", flüsterte er nun voller Ernst und sah mir dabei tief ich die Augen. Ich nickte leicht und er schenkte mir ein Lächeln. Dann lehnte er sich zurück und es wurde kalt. "Wie war die Schule heute?" All das zuvor verspürte Glück, entwich meinem Körper und die schrecklichen Erinnerungen an den heutigen Tag fluteten meine Gedanken. Ich wusste nicht, warum er diese Wirkung auf mich hat und ich konnte es auch einfach nicht verstehen. Aber er brachte all meine Gefühle heraus und ließ die Mauern stets einbrechen, die ich immer wieder sorgfältig um mich herum aufbaue. Sofort stiegen Tränen in meinen Augen auf. "M-Matthew h-hat die Fotos n-nicht gelöscht.", schluchzte ich leise. "Was?", fragte Jonathan aufgebracht und ergriff meine Hand. "Er hat die Fotos ausgedruckt und überall in der Schule aufgehangen. Alle haben über mich gelacht.", stotterte ich, während die ersten Tränen meine Wangen herunter liefen. Ich wusste, dass ich ihm das vor Mom offenbarte und Mom nun mal von all diesen schlimmen Dingen nichts wusste, aber ich musste es einfach Jonathan erzählen. Ich muss wissen, ob er davon wusste, was Matthew geplant hatte. Jonathan sah mich mehr als schockiert an. "Aber das kann nicht, ich habe gesehen, wie er sie gelöscht hat." Sein Kiefer spannte sich an und seine Augen begannen vor Wut zu glühen. "Warum macht er so eine Scheiße? Ich habe ihm gesagt, dass er dich endlich in Ruhe lassen soll.", sagte er aufgebracht. Kurz herrschte eine angespannte Stille. Jonathan schien angestrengt nachzudenken, weshalb ich leise blieb, um seine Gedankengänge nicht zu unterbrechen. "Er muss die Bilder vorher versendet haben.", sagte er plötzlich leiser, als fiel es ihm gerade wie Schuppen von den Augen. "Gott, bin ich blöd. Warum habe ich das nicht bedacht?", schimpfte er mit sich selbst und griff sich frustriert in die Haare. Ich schüttelte nur den Kopf. "D-du konntest es n-nicht wissen.", hielt ich dagegen. Seine Reaktion war genug, um mir selbst zu versichern, dass er nichts von der Aktion von Matthew wusste. Dafür war sein Schock und seine Wut zu echt. "Doch ich hätte es wissen müssen." Er klang verbittert. Unsicher streichelte ich mit meinen Fingern über seine Hand. Schließlich hatte er schon mehrfach betont, dass meine Berührungen ihn beruhigen würden. "Vanessa hat mir geholfen. Sie hat mit ihren Freunden alle Fotos entfernt und die Mittagspause mit mir verbracht. Sie ist wirklich nett.", erzählte ich weiter, auch um ihn von seiner Wut abzulenken. "Vanessa aus dem Kurs kreatives Schreiben?", fragte er verwirrt. Ich nickte leicht lächelnd. "Ja, sie ist ganz in Ordnung. Hast du ihr etwas von uns erzählt?" Ich schüttelte den Kopf und er wirkte merkwürdig erleichtert. Das wiederum machte mich traurig, denn er schien es wirklich ernst zu meinen mit der Tatsache, dass das zwischen uns geheim bleiben sollte. "W-wie war d-dein Tag?", fragte ich nun, um ihn weiter abzulenken. Das gelang auch, denn er erzählte mir, dass er die meiste Zeit im Bett verbracht hätte. Er hätte wohl die ganze Zeit geschlafen bis seine Mom ihn entsetzt gefunden hätte und ihn wortwörtlich ins Krankenhaus geschleift hätte. Dann hätte sie ihn behandelt. Ich erzählte ihm schließlich von unserem Bilderbuch und wie es weitergehen würde. "Gehst du zu dieser Spendengala?", fragte er nervös und legte seine Hand in den Nacken. "Wir sollen, aber ich kann wahrscheinlich nicht.", nuschelte ich unsicher. "Dein Onkel?", fragte er leise. Ich nickte und schaute auf meine Hände. "Schleich dich hinaus! Ich hole dich ab und bringe dich abends wieder zurück.", schlug er aufgeregt vor. Für einen Moment entfachte er Hoffnung in mir, doch als ich nachdachte, verflog diese zugleich. "N-nein, das ist z-zu gefährlich und z-zu r-riskant. Außerdem h-habe ich nichts z-zum Anziehen. Ich k-kann d-da nicht so hingehen." "Also ich finde dich auch so wunderschön.", sagte er ernst und ergriff meine Hand. Schlagartig liefen meine Wangen rot an. "Nein, bin ich nicht.", nuschelte ich. "Doch, bist du.", sagte er ernst und hob sanft mein Kinn an. Er schenkte mir sein wunderschönes Lächeln und in seinen Augen lag so viel Wahrheit, dass mein Herz doppelt so schnell in meiner Brust schlug. Was machte er nur mit mir?

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