Kapitel 57

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Genervt machte ich mich auf den Weg zu Dr. Klopp. Ich wusste, ich sollte keinen Groll hegen, schließlich hatte er mir geholfen, aber durch die Nachuntersuchung würde mir mal wieder eine Stunde mit Mom genommen werden und allein diese Tatsache reichte, um mir meine gute Laune erst einmal zu verderben. Den gesamten Tag über war ich so glücklich wie lange nicht mehr. Ich war heute morgen dicht an Jonathan gekuschelt aufgewacht und hatte seitdem mein Lächeln nicht verloren. Wir hatten zusammen gefrühstückt und ich hatte nun Kleidung seiner Stiefschwester an. Zwar wollte ich diese erst nicht annehmen, aber Jonathan bestand darauf und meinte, dass sie es sowieso nicht bemerken würde. Also würde ich die Kleidung waschen und ihm schnellstmöglich zurück geben. Er hatte mich pünktlich in die Nähe der Schule gefahren, sodass uns niemand zusammen sehen konnte. Zum Abschied umarmte er mich, gab mir einen zärtlichen kurzen Kuss auf die Wange und versicherte mir, dass er mich vom Krankenhaus abholen würde. Danach hatte ich mich schnell auf den Weg zur Schule gemacht. Dort angekommen, sahen mich noch immer alle komisch und abwertend an. Einige lachten und tuschelten, wenn sie mich sahen, aber es war, als würde das alles etwas von mir abprallen und mir nicht direkt ans Herz gehen. Der Morgen mit Jonathan war einfach viel zu schön, um ihn mir von meinen Mitschülern vermiesen zu lassen. Leider hatte ich Vanessa den Tag über nicht gesehen. In der zweiten Pause kam mir eine Erleuchtung für ihre Abwesenheit. Schließlich hatte sie gestern noch von ihrer geplanten Nachtschicht für das Projekt erzählt, weshalb ich vermutete, dass sie nun zu müde war, um am Unterricht teilzunehmen und deshalb zu Hause sein müsste. In den Pausen war ich wie immer für mich und genoss die Stille und Ruhe in der Bibliothek. Auch Matthew hatte ich nicht gesehen. Noch war ich mir nicht sicher, ob es etwas Gutes war oder ob mich diese Tatsache nicht vielleicht eher beunruhigen sollte. Vor der Arztpraxis angekommen, klingelte ich und konnte das komische Gefühl tief in meinem Bauch nicht länger unterdrücken. Ich musste nicht lange warten, da öffnete mir eine junge schlanke schwarzhaarige Frau die Tür. Sie sah mich erst etwas irritiert an, bevor sie mich hinein ließ. "Ich habe einen Termin.", piepste ich stotternd. Sie nickte nur beiläufig, während sie sich hinter den Tresen begab und mich nicht weiter beachtete. Sehr unsicher blieb ich also im Eingangsbereich stehen und schaute mich um. Vor ein paar Tagen hatte ich den Räumlichkeiten keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich war viel zu sehr von meinen Schmerzen abgelenkt. Die Praxis machte nicht den Anschein, als ob hier krumme oder illegale Behandlungen alltäglich wären. Die Wände waren klinisch weiß mit ein paar modernen Bildern. Es roch streng nach Desinfektionsmittel und alles war sehr sauber. Vom Eingangsbereich aus gingen mehrere Türen ab. Auf jeder Tür stand eine Nummer bis auf die Tür neben mir. Ich vermutete das Wartezimmer dahinter. Gerade als ich begann zu überlegen, ob ich dort hinein gehen sollte, kam Dr. Klopp hinter einer der vielen Türen zum Vorschein. "Ah Abby, super, ich habe dich schon erwartet." Unsicher lief ich zu ihm. "H-hallo Dr. K-klopp." Er lächelte mich freundlich an und öffnete die Tür zum Behandlungsraum weiter, um mich hinein zu lassen. Ich bedankte mich schnell und huschte an ihm vorbei in das Arztzimmer. Mein mulmiges Gefühl rumorte noch immer in meinem Bauch, doch ich konnte mir wirklich nicht erklären, warum ich so ein komisches Gefühl bei der Sache hatte. Dr. Klopp folgte mir leise in den Raum und schloss hinter uns die Tür. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wies mich an mich zu setzen, dass ich sofort in Angriff nahm. "Wie geht's deinem Handgelenk, Abby?" "B-besser.", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Wir werden heute die Schiene abnehmen und ich werde mir dein Gelenk nochmal ansehen. Wir werden es auch noch einmal röntgen müssen. Wenn es sich tatsächlich gebessert hat, müsste ein Stützverband, der täglich gewechselt wird, für die weitere Genesung genügen." Dr. Klopp erklärte das nächste Vorgehen ruhig und durchdacht. Ich nickte ihm nun schon etwas beruhigter zu und willigte damit dem Prozedere zu. Nach ca. einer halben Stunde Schiene ablegen, Handgelenk inspizieren und röntgen, wurde mir nun endlich von der Arzthelferin der Verband angelegt. Sie führte überhaupt keine Konversation mit mir, worüber ich ehrlich gesagt unheimlich erleichtert war. Sie wirkte noch immer sehr arrogant und dennoch sollte ich sie nicht verurteilen, denn ich kannte sie ja überhaupt nicht. Als der Verband fest um mein Handgelenk gewickelt war, ließ sie mich mit der Aussage allein zurück: "Dr. Klopp wird mit Ihnen in Kürze das weitere Vorgehen besprechen." Ich hatte nur genickt und saß nun allein in diesem unsympathischen sterilen Raum. Ein leises Seufzen entwich mir. Eigentlich wollte ich nur noch hinaus und in Richtung Krankenhaus, stattdessen saß ich immer noch hier. Es vergingen mehrere Minuten. Der Zeiger der Uhr durchdrang mit jeder Sekunde kurz die Stille und trieb mich förmlich in den Wahnsinn. Meine Hände waren schwitzig und meine Geduld am Ende. Plötzlich kam Dr. Klopp in den Raum gestürmt und schloss hinter sich die Tür. Er setzte sich schnell auf seinen Bürostuhl und strich sich seine Krawatte unter dem Kittel glatt. "Gut Abby, wie gesagt, der Verband muss täglich gewechselt werden und dann kommst du nächste Woche noch einmal zu mir zur zweiten Nachuntersuchung." Ich nickte ihm zu als Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Doch statt einem Lächeln und einem Abschiedsgruß wurde seine Miene plötzlich ernst und finster. "Eine Sache muss ich noch mit dir besprechen. Matthew hat dir ja sicher erzählt, dass ich für meine Leistungen auch Geld erwarte. Für deine Behandlung macht das 1470,99. Ich möchte, dass du es mir bei der nächsten Behandlung bar mitbringst." Geschockt sah ich ihn an. Wann hatte Matthew gesagt, dass Dr. Klopp so viel Geld von mir verlangen würde? Ich dachte, Dr. Klopp und Matthew seien befreundet. Gibt es dann nicht so etwas wie einen Freundschaftspreis? Und außerdem Matthew hatte gesagt, dass Dr. Klopp ihn auch schon mehrfach behandelt hätte. Woher nahm Matthew das Geld für die Behandlungen? Jonathan würde ihm doch auch nicht immer so viel Geld geben... oder? Das wäre absolut verrückt! Wie sollte ich diese Summe nur aufbringen und bezahlen? Ich habe kein Geld. "Dr. Klopp ich habe nicht so viel Geld.", stotterte ich ängstlich und noch immer mit größtem Schock. Seine finstere Miene zeigte kein Mitleid. "Das ist nicht mein Problem, Abby. Du wirst dieses Geld bezahlen müssen." Angst durchflutete meine Adern. Ich könnte nichts von dem Geld für Mom nehmen. Das kann ich einfach nicht und niemals würde ich einen Job finden, bei dem ich in einer Woche so viel Geld verdienen würde. Jonathan würde ich niemals um Geld bitten. Das wäre das Letzte, was ich tun würde. Tränen vor Verzweiflung sammelten sich in meinen Augen. Ich kann die Summe nicht bezahlen. Was sollte ich nur tun? Erste Tränen kullerten meine Wangen hinunter. "Weinen wird dich nicht aus dieser Situation retten.", sagte Dr. Klopp kühl und zeigte keinerlei Mitleid, dass ich auch nicht einfordern wollte oder erwartet hatte. Ich war einfach nur verzweifelt bis ins Mark. "Bitte Dr. Klopp, ich habe kein Geld. Geben Sie mir mehr Zeit, dann kann ich vielleicht einen Job finden." Prüfend musterte er mich bis sich plötzlich ein Lächeln auf seine Lippen legte, dass es mir kalt den Rücken herunter lief. Es war diese Art von Schauer, wenn man sich unwohl, angeekelt oder misbilligt fühlt. "Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir auch eine Idee ein, wie du deine Schulden abarbeiten könntest. Dienstags und donnerstags bin ich in der Klinik zum Operieren, dann kannst du hier in meiner Praxis putzen und samstags kannst du meine Wohnung putzen. So könntest du nach und nach die Summe abarbeiten." Er lächelte noch immer triumphierend. Mein gesamter Körper schrie mich förmlich an zu verneinen, ihm einfach eine Absage auf sein Angebot zu erteilen, aber mir blieb keine andere Wahl. Also stimmte ich gedemütigt zu und opferte damit kostbare Zeit mit meiner Mom. Verzweifelt verließ ich daraufhin die Praxis und weinte still und leise den gesamten Weg zum Krankenhaus über. Wäre ich nur mit Matthew zum Krankenhaus gefahren und hätte mich dort behandeln lassen, dann sehe jetzt alles ganz anders aus. Wut auf Matthew bildete sich in meinem Bauch und Frustration, dass mir keine andere Wahl blieb, als zu zustimmen. Dr. Klopp wirkte zwar auf den ersten Eindruck vielleicht ganz nett, aber er war eine zwielichtige Gestalt und ich traute ihm bei seinem misstrauischen Angebot nicht. Immer mehr Sorgen und Ängste bildeten sich bei den Gedanken an morgen, denn da müsste ich das erste Mal seine Wohnung putzen. Wie sollte das nur werden?

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