Kapitel 51

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Ich kämpfte und quälte mich von Stunde zu Stunde. Von Jonathan fehlte jede Spur. Auch wenn ich sauer auf ihn sein sollte, vermisste ich ihn und machte mir Sorgen. Auf meine drei Nachrichten bekam ich keine Antwort von ihm. In den Pausen schaute ich fast jede Minute auf mein Handy, aber dadurch könnte ich auch keine Antwort von Jonathan her zaubern. Die Schule war heute die Hölle. Ich konnte nirgendwo hingehen ohne, dass die anderen über mich lachten oder tuschelten. Immer wieder beleidigten mich Mitschüler in den Fluren. Nur hier in der Bibliothek fühlte ich mich gerade sicher. Zum Mittagessen gab es heute ohne Jonathan nur das Beilagenbrötchen, aber das war nicht weiter schlimm, denn mir war der Hunger vergangen. Mein Frühstücksapfel lag noch unberührt versteckt in meinem Rucksack. Ich wurde noch nie gemocht hier in der Schule und mir wurde immer Hass entgegen gebracht, aber noch nie war ich das Opfer aller Schüler. Viele hatten mich einfach immer zu ignoriert, doch für diese Gruppe Mitschüler war ich keine Luft mehr. Nein, nun war ich auch für sie eine Lachnummer. Mit jeder Sekunde, die verging, in der ich nichts von Jonathan hörte, wurde die Stimme in mir lauter, die mir einreden wollte, dass das zwischen mir und ihm alles nur eine Lüge war. Das Jonathan vielleicht doch von dieser Aktion wusste und mich verraten hatte. Mein Herz fühlte sich den ganzen Tag schon unendlich schwer an. Meine Augen fielen immer wieder zu. Ich war müde und hatte heute schon zweimal geweint, das war wirklich keine gute Kombination. Plötzlich hörte ich Schritte. Ängstlich versteckte ich mich noch mehr in meiner Ecke, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht schützen könnte. Eigentlich weiß doch niemand bis auf Jonathan, dass ich mich hier in den Pausen verstecke. Ist es vielleicht Jonathan? Plötzlich kam eine besorgte Vanessa um die Ecke. Irritiert sah ich sie an. "Hey Abby.", sagte sie nervös und setzte sich zu mir. Unsicher rückte ich etwas zu Seite. Was könnte sie von mir wollen? Wieso war sie hier? Ihre wilden blonden Locken hatte sie zu einem dicken Zopf gebunden. Sie trug einen rosanen Pullover und eine enge schwarze Jeans. "H-hey.", erwiderte ich ängstlich. "Ich wollte dir sagen, dass ich und meine Freunde alle Fotos von dir abgerissen und weg geworfen haben. Ich fand das echt scheiße von Matthew und Melania. Du bist voll nett und klug. Niemand hat das Recht dich so zu behandeln. Du hast noch nie jemand etwas getan." Sie schenkte mir ein Lächeln und ich schaute sie nur erstaunt an. "Warum hast du das für mich gemacht?", fragte ich stotternd. Ich war noch immer total verwirrt. "Ich will schon länger mit dir befreundet sein, aber wir scheinen beide sehr schüchtern zu sein. Also versuche ich mutig zu sein und die Initiative zu ergreifen. Ich bewundere deine Geschichten in kreatives Schreiben. Du bist so fantasievoll und deine Geschichten vermitteln immer sehr viel Gefühl. Du bist wirklich talentiert und da habe ich mir gedacht, wer so toll schreiben kann, ist bestimmt eine genauso tolle Person. Außerdem habe ich paar Male gesehen, wie du Tanzschritte aufgemalt hast. Ich habe auch ganz lange Ballett getanzt. Oh Gott, ich rede viel zu viel. Tut mir leid, dass mache ich immer, wenn ich nervös bin." Sie war wirklich nett, auch wenn sie ohne Punkt und Komma sprach. Aufgeregt bewegte sie ihre Füße auf und ab beim Reden und ihr Zopf wippte im Rhythmus. "D-danke, d-deine Geschichten finde ich immer sehr sp-spannend. D-dir liegt D-Drama." Ich kam mir total blöd vor, denn ich wusste überhaupt nicht, wie ich mit ihr reden sollte. Ich hatte einfach schon zu lange nicht mehr mit einem Mädchen in meinem Alter ganz normal gesprochen. Nervös klopfte mein Herz gegen die Brust. Sie war so nett zu mir, ich wollte es wirklich nicht vermasseln oder einen Fehler machen. Sie begann zu lachen. "Danke, eigentlich wollte ich dich damals schon fragen, ob wir das Projekt machen wollen, aber dann hatte mich Sarah schon gefragt und da konnte ich nicht nein sagen. Tut mir leid. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist mit Jonathan zusammen zu arbeiten. Ich meine, schließlich hat er dich immer mit Matthew und Chris geärgert. Ist das nicht die Hölle?" Etwas verblüfft sah ich sie an. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. "Ähm, es ist k-komisch, w-würde ich sagen, aber er ärgert m-mich w-während d-der Projektstunden n-nicht.", versuchte ich locker zu sagen. Nun war sie es, die erschrocken die Augen aufriss. "Nicht? Also du willst mir im Ernst sagen, dass er dich nicht ärgert?" Zu meiner Verwirrung klang sie aufgeregt. "J-ja.", gab ich unsicher zu. "Oh mein Gott, ich hatte mich schon gewundert, warum er dich immer Abby genannt hat. Läuft da etwas zwischen euch?" Ihre Augen strahlten mich neugierig an. "N-nein." Ich wollte ihr nicht erzählen, was alles zwischen Jonathan und mir passiert war, denn noch wusste ich nicht, wie sehr ich ihr vertrauen könnte. Die ganze Zeit über beobachtete ich sie, aber sie schien die ganze Zeit über ehrlich zu sein und mir nichts vorzuspielen. Andererseits könnte ich mich aber auch täuschen? Ich würde einfach weiter vorsichtig sein. "Schade, ihr könntet echt ein süßes Paar sein, wenn er nicht so ein Idiot wäre. Ich verstehe gar nicht, warum er in der Schule immer so überheblich und arrogant ist." Sie schüttelte beim Reden den Kopf und schien in Gedanken zu sein. Kannte sie ihn etwa näher? Woher könnten sie sich kennen? In der Schule habe ich die beiden noch nie zusammen gesehen. Sie gehören auch zu ganz anderen Freundeskreisen. "Kennst du ihn näher?", fragte ich stotternd, um eine Antwort auf das Rätsel zu bekommen. "Ja, ich bin seine Cousine so zu sagen. Sein Stiefvater ist der Bruder von meiner Mom. Wir sehen uns auf Familienfeiern und da ist er eigentlich immer sehr nett." Vanessa ist also Jonathans Cousine. Verrückt, wie klein die Welt manchmal ist. Durch das Gespräch mit Vanessa hatte ich für kurz die Sorgen vergessen, doch die prasselten mit dem Klingeln zur nächsten Stunde wieder auf mich ein. "Wollen wir zusammen zum Unterricht gehen?", fragte sie lächelnd. Schnell nickte ich und wir standen auf. Zusammen verließen wir die Bibliothek und Vanessa behielt recht. Sie hatte wirklich alle Fotos abgerissen. Nicht eins hing mehr in den Fluren. Auf dem Weg erzählte sie mir von ihrer Projektarbeit mit Sarah und dass die beiden heute noch eine Nachtschicht vor sich hätten, um das Buch bis morgen fertig abgeben zu können. Sie fragte mich über das Programm aus, dass Jonathan und ich benutzt hatten und mir wurde immer wärmer ums Herz. Vielleicht würde ich mit Vanessa wirklich meine erste Freundin finden? Bevor wir in den Kunstraum gingen, hielt ich sie auf und bedankte mich mehrmals lächelnd dafür, dass sie die Fotos entfernt hatte. Sie winkte es ab und meinte, dass Freundinnen dies für einander tun würden. Also betrat ich zum ersten Mal heute mit einem Lächeln den Klassenraum. Wieder fragten Ms. Mabel und Mr. Klifford wie weit die Gruppen sind und informierten uns über den weiteren Verlauf. Die Bilderbücher müssen bis heute Mitternacht abgegeben werden. Ms. Mabel und Mr. Klifford benoten die Bücher über das Wochenende und Montag kommen sie in den Druck. Am Samstag würde dann die Spendengala stattfinden, an der wir bitte alle teilnehmen sollen. Ich schluckte bei dieser Information, denn wie sollte ich abends an einer Gala teilnehmen? Mein Onkel würde mich nicht gehen lassen, noch hatte ich passende Kleidung für so einen Anlass. Ms. Mabel und Mr. Klifford hatten mich glücklicherweise bei der Abfrage ausgelassen und nur gesagt, dass ich nach der Ansprache zu ihnen kommen sollte. Als sie fertig waren, lief ich nach vorne. Auf dem Weg kam mir Vanessa entgegen und gab mir lächelnd eine Notiz. "Damit wir telefonieren und schreiben können." Sie zwinkerte und verschwand dann mit Sarah. "Abby, wie weit sind du und Jonathan und wo ist Jonathan schon wieder?", fragte Ms. Mabel neugierig. "Hast du etwas von ihm gehört?", ergänzte Mr. Klifford. "Wir sind so gut wie fertig. Es sind nur noch kleine Verbesserungen und Feinheiten zu machen. Von Jonathan habe ich leider nichts gehört. Ich weiß nicht, wo er ist.", stotterte ich nervös. "Okay Abby, dann kannst du jetzt auch weiter machen.", sagte Mr. Klifford und ich nickte ihnen zu. Dann schlenderte ich in die Bibliothek und setzte mich an den Computer. Wieder überprüfte ich mein Handy, doch noch immer hatte Jonathan mir nicht geantwortet. Also machte ich mich enttäuscht an die Arbeit. Nach einer halben Stunde war ich fertig und schickte unser Bilderbuch ab. Nun war es offiziell fertig und abgegeben. Ich schickte Jonathan eine Nachricht, dass das Buch fertig sei und ich es abgegeben hätte. Doch auch auf diese Nachricht bekam ich in den nächsten Minuten keine Antwort. Um die Zeit etwas zu vertreiben, speicherte ich Vanessas Nummer ein und schickte ihr eine Nachricht. Nach weiteren fünf Minuten lief ich dann schlussendlich zum Kunstraum und gab bescheid, dass ich fertig sei. Zu meinem Glück durfte ich gehen und war nun auf dem Weg zum Krankenhaus. Noch immer war es eiskalt und es regnete in Strömen. Also verschnellerte ich meinen Schritt und versuchte förmlich vor dem Regen wegzurennen. Doch ich wurde immer nasser und begann mehr und mehr zu frieren. Dann kam ich endlich an und stürmte durch die Türen. Als ich plötzlich jemand all zu bekanntes im Augenwinkel sah, brachte es mich abrupt zum Stehen.

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