Kapitel 44

751 39 5
                                    

Es klopfte dreimal laut an der Tür und ich schreckte müde auf. Im nächsten Moment trafen mich die Schmerzen meines Körpers wie ein Schlag. "Abby?" "J-ja.", stotterte ich heiser. Im nächsten Moment kam Matthew in T-Shirt und Boxershorts herein. Er reichte mir eine weitere Schmerztablette und ein Glas Wasser. Ohne zu protestieren, schluckte ich die Tablette und spülte sie mit dem kalten Wasser herunter. "Meinst du, du schaffst es?" Ich nickte. Wenn die Schmerztabletten den Tag über wirken, würde ich die Schule schaffen. Matthew verschwand und ich raffte mich vorsichtig auf. Pieter oder Dr. Klopp hat mich gestern abend untersucht und eine geprellte sowie eine angebroche Hand diagnostiziert. Ich hatte sozusagen Glück im Unglück, denn so konnte meine linke Hand geschient werden und musste nicht operiert werden. Er hatte mir Schmerzmittel verschrieben, die mich gestern auf der Rückfahrt umgehauen haben. Ich kann mich nur noch wage daran erinnern, dass Matthew mich nach oben getragen hat und auf meine Matratze gelegt hat. Das erklärt auch, warum ich noch immer meine Sachen von gestern trug. Dr. Klopp war tatsächlich sehr professionell und seine Praxis war noch sehr neu und hoch modern ausgestattet. Normalerweise ist er Schönheitschirurg, aber für Freunde übernimmt er auch einfache Untersuchungen und chirurgische Eingriffe. Ich weiß nicht, woher Matthew ihn kennt und warum er das Glück hat, dass Dr. Klopp ihn als Freund betrachtet, aber das habe ich gestern auch nicht weiter hinterfragt. Ich wollte nur, dass die Schmerzen endlich enden. Mittlerweile hatte ich es ins Bad geschafft und versuchte mich, so gut es ging, fertig zu machen. Das war gar nicht so einfach mit der Schiene und zwei verletzten Händen. Meine Arme und Hände waren übersät mit blauen teils dunkel lilanen Flecken. Auch Teile meiner Beine sahen nicht besser aus. Zurück in meinem Zimmer zog ich mir einen viel zu großen blauen Pullover an, mit dem es ein leichtes sein würde, meine Hände zu überdecken. Auch die dicke Schiene passte gut darunter. Dazu zog ich mir eine schwarze Hose an und ließ meine Haare offen, weil ich vermutlich nicht gut flechten können würde mit den Händen. Unten angekommen, nahm ich mir meinen Frühstücksapfel und kämpfte mich zur Schule. Die Tablette wirkte noch nicht, weshalb ich schmerzerfüllt mein Gesicht verzog und mich mit jedem Schritt quälte. Irgendwie schaffte ich es pünktlich, ohne beachtet zu werden, in den Klassenraum. Es dauerte nicht lange und Mr. Prayer kam gehetzt herein. Er ließ seine Tasche mit einem lauten Knall auf den Tisch fallen. Verwirrt sah ich mich um, aber von Matthew und Jonathan fehlte jede Spur. Schwänzen die beiden? Der Religionsunterricht zog sich wie ein Kaugummi in die Länge. Nach den ersten zwanzig Minuten hatte endlich die Tablette zu wirken begonnen. Zwar spürte ich jetzt kaum noch Schmerzen, aber die Tablette machte mich unheimlich müde. Mir fiel es ziemlich schwer die Augen aufzubehalten, aber ich dürfte es mir gerade bei Mr. Prayer nicht leisten negativ aufzufallen. Meine Gedanken kreisten immer wieder zurück zu den zwei leeren Stühlen von Matthew und Jonathan. Doch ich konnte noch so viel darüber nachdenken, die Antwort, warum beide nicht hier sind, werde ich nicht finden. Alles was mir blieb waren wage Vermutungen. Ich seufzte leise und war froh, dass wir unsere Hausaufgaben mit Namen versehen sollten und nur nach vorne geben sollten. So blieb mir ein schmerzerfüllter Weg erspart. In der Pause schaute ich hinaus auf das Footballfeld. Es regnete in Strömen und der Wind wehte die letzten vereinzelten braunen Blätter von den Bäumen. Jedes Mal, wenn ich das Knarren der Tür hörte, schaute ich hoffnungsvoll auf. Doch ich wurde immer wieder enttäuscht. Mittlerweile blätterte ich gedankenverloren in meiner Englischlektüre bis die Lehrerin herein kam. Plötzlich ging die Tür erneut und Matthew und Jonathan kamen lässig herein. Unsicher schaute ich zu Jonathan. Er sah mal wieder umwerfend aus. Seine kastanienbraunen Haare waren perfekt gestylt, sein weißes Tshirt betonte seinen Oberkörper zusammen mit der Lederjacke. Doch er würdigte mich keines Blickes. Leicht enttäuscht schaute ich herunter auf meinen Tisch. Im Unterricht sah ich immer wieder zu ihm, aber er schien mich zu ignorieren. Was habe ich falsch gemacht? Oder interessiert er sich einfach nicht mehr für mich? Verzweifelt versuchte ich mich auf die Aufgabe zu konzentrieren, als ich einen brennenden Blick auf mir spürte. Sofort sah ich auf und traf auf eisblaue Augen, die mich aus einer Mischung aus Wut und Enttäuschung ansahen. Das ließ mich nur verwirrter zurück, als er seinen Blick senkte. Was habe ich gemacht? Ich hatte ein unwohles Gefühl in meiner Magengrube und fragte mich die restliche Stunde, was ich getan haben könnte, dass ihn so erbost haben könnte. In der Pause konnte ich mich nicht mal auf mein Buch konzentrieren. Seufzend stellte ich es weg und hatte fest entschlossen ihn heute zu rede zu stellen. Ich wusste nur nicht wann. Wenn er wütend auf mich ist, wird er mich wohl kaum zum Krankenhaus oder nach Hause fahren. Genervt und verzweifelt fuhr ich mir durch meine Haare und machte mich dann frühzeitig auf den Weg nach Französisch. Ich setzte mich, nachdem ich meinen Platz genau inspiziert hatte und holte meine Materialien heraus. Nach und nach kamen alle Schüler herein. Jonathan hatte sich auch auf seinen Platz gesetzt, denn ich spürte erneut seinen brennenden Blick auf mir. Ms. Faloire kam herein und begann mit dem Unterricht. Müde musste ich immer wieder gähnen und erschreckte, als mich mehrere Papierkugeln von hinten am Kopf trafen. Ich war ziemlich zusammen gezuckt, weshalb es schmerzhaft durch meinen Körper stach. Ich verzog mein Gesicht und biss mir auf meine Lippe, um nicht aufzuschreien. Zum Glück hatte ich nicht doll zugebissen, denn meine Lippe war noch immer verwundet nach gestern. Unsicher und überprüfend wanderte mein Blick zu Jonathan, aber er wirkte nicht so, als hätte er meine Reaktion wahrgenommen. Etwas erleichtert entspannte ich mich auf dem Stuhl bis ich erneut Jonathans Blick auf mir spürte. Bedacht darauf, dass Ms. Faloire mich nicht erwischen würde, riss ich ein Stück Papier von meinem Block ab und schrieb eine Nachricht: Bitte sag mir, was ich gemacht habe, dass dich so wütend macht. Ich faltete das Papier und schob es möglichst unauffällig zu Jonathan herüber. Doch der zeigte keinen Wille sich die Nachricht durchzulesen, weshalb ich missmutig zurück auf mein Blatt sah. Was habe ich gemacht? Habe ich irgendwas vergessen? Gestern war doch noch alles gut zwischen uns, oder? Plötzlich landete das Stück Papier auf meinem Blatt. Überrascht riss ich die Augen auf und schaute mich um, ob die Luft rein war. Dann öffnete ich aufgeregt die Nachricht. "Wenn man ein Handy geschenkt bekommt, benutzt man es! Ich habe dich gestern dreimal angerufen!" Entsetzt las ich die Nachricht noch ein zweites Mal. Ich sollte ihm schreiben! Oh Gott, das habe ich total vergessen und nachdem Vorfall mit meinem Onkel war das leider das letzte, an das ich gedacht habe. Ohne nachzudenken, schrieb ich sofort zurück: Es tut mir leid! Bitte glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich keine Möglichkeit hatte dir zu schreiben. Ich wollte es, aber es ging nicht. Ich faltete die Nachricht und warf sie zu ihm herüber. Von der Seite konnte ich sehen, dass er die Nachricht sofort öffnete. Irritiert sah er mich an. Vielleicht suchte er nach Anzeichen, ob ich log. Glaubt er mir nicht? Im nächsten Moment trat jemand hart von hinten gegen meinen Stuhl. Erschrocken stützte ich mich am Tisch ab, um nicht mit meinem Gesicht auf die Tischplatte zu schlagen. Doch sofort spürte ich den stechenden Schmerz in meinen Händen. "Oh tut mir leid.", hörte ich einen Jungen nur gedämpft sagen. Tränen schossen mir in die Augen und der Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus. "Mon dieu, Abby!", rief Ms. Faloire erschrocken. "Du musst sofort zur Schulkrankenschwester!" Sie war mehr als aufgeregt. Ich versuchte den Schmerz zu unterdrücken und griff nach einem Taschentuch. "Jonathan, kannst du sie bitte begleiten?" Innerlich verfluchte ich Ms. Faloire dafür, dass sie gerade Jonathan ausgesucht hatte. Denn, wenn er zuvor meine Reaktion nicht wahrgenommen hatte, hat er es jetzt auf jeden Fall und ich wusste, dass er viele Fragen stellen wird. Ich stand auf, nach dem ich es irgendwie geschafft hatte, meine Sachen einzupacken. Jonathan stand schon vor meinem Tisch. Unsicher lief ich hinaus. Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken. Die Tür war noch nicht ganz zu, da drehte er mich schon vorsichtig zu sich. Er legte sanft einen Finger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. Seine eisblauen Augen musterten mich besorgt und ich wusste gleich würde ich zusammen brechen. Ich könnte ihn dafür verfluchen, dass er diese Wirkung auf mich hat. Doch da war immer dieses starke Gefühl in meiner Brust, dass er mich fängt, wenn ich mich fallen lasse und so liefen die ersten Tränen meine Wangen hinunter. "Es tut mir leid.", stotterte ich weinend. "Komm.", flüsterte er und lief voran. Unsicher folgte ich ihm hinaus in den Regen zu seinem Auto. "W-wo wollen w-wir h-hin?" "Wir fahren zu mir.", sagte er kurz und öffnete mir die Tür zu seinem Auto. Ohne zu zögern, stieg ich ein.

Ephemeral danceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt