Kapitel 4

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Das Klingeln ließ mich aus der Welt des Buches hochschrecken. Schnell merkte ich mir die Seite, packte es zurück und eilte zur nächsten Stunde. Es war mein Wahlpflichtkurs: Kreatives Schreiben. Ich hab früh fest gestellt, dass ich künstlerisch wenig begabt bin und ich hatte stets das Tanzen, dass ich als Kunst verstand. Doch nach dem Tod meiner Eltern war das Feuer in mir erloschen und ich habe die Liebe zu den leisen geschriebenen Worten entdeckt. Sie können so viel ausdrücken, all meine Emotionen auf hundert, nein, tausend verschiedenen Arten. Ich bin die Königin über meiner eigenen Welt, denn ich kreiere sie. Alle Wege der Charaktere fließen aus meiner Feder. Das Schreiben gab mir Kontrolle, die ich über mein eigenes Leben nicht hatte. Es schuf mir einen Ausweg, ein kurzes Luft holen, ähnlich wie beim Lesen konnte ich wenige Minuten abtauchen in eine andere Welt, in der nicht alles schwarz weiß ist und nicht jeder Tag voller Schmerz und Trauer ist. Es waren nur wenige in dem Kurs, weshalb immer eine ruhige Atmosphäre über dem Raum lag. Sofort entspannte ich mich, als ich den Raum betrat. Zu meiner Verwunderung war noch niemand da, aber das störte mich wenig. Ich setzte mich auf meinen Platz und packte aus. "Abby?", sofort schaute ich auf. Es war Vanessa. Sie war ebenfalls in dem Kurs. Ich kannte sie nicht gut, schließlich sprach sie eigentlich kein Wort mit mir. Sie war sehr ruhig, klein und schüchtern. Ihre blonden lockigen Haare hatte sie zu einem dicken Zopf gebunden und sie schenkte mir ein Lächeln. "Wir haben heute mit dem Kunstkurs zusammen.", erklärte sie und plötzlich ergab es Sinn, dass niemand hier war. Schnell packte ich meine Sachen und lief zu ihr. "Danke.", stotterte ich kläglich. Sie nickte nur und lief los. Mit etwas Abstand folgte ich ihr. Ich wollte nicht, dass sie Probleme bekommt, wenn jemand sieht, dass wir zusammen durch den Flur gehen. Vanessa betrat zuerst den Kunstraum, der nach Farbe roch und kunterbunt gestaltet war. Ich stellte mich zu meinem Kurs und achtete trotzdem darauf einen gewissen Abstand zu halten, um keinem zu nahe zu kommen. Unauffällig ließ ich meinen Blick über die verschiedenen Gesichter der Schüler des Kunstkurs wandern bis ich plötzlich auf zwei eisblaue Augen traf. Sofort schaute ich hinunter auf meine Schuhe. Jonathan ist im Kunstkurs? Das hatte ich niemals erwartet. Er hatte so gar nicht das Image und machte auch nicht den Eindruck künstlerisch begabt zu sein. Aber was soll ich sagen? Der Schein trügt immer. Man sollte Menschen nicht nach dem ersten Eindruck beurteilen und doch tun wir es alle innerhalb von Sekunden automatisch, wenn wir ein neues Gesicht sehen. Wir sortieren und statten den Mensch mit Merkmalen aus, ohne dass wir es wollen. Unser Gehirn sortiert in Bildern und Kategorien. Ich musste zugeben, Jonathan hatte mich überrascht, aber vielleicht musste er den Kurs auch belegen. Man weiß ja nie. Unser Lehrer Mr. Klifford kam zusammen mit Ms. Mabel, der Kunstlehrerin, hinein. So wie sie sich lächelnd ansahen, waren sie entweder bereits in einander verliebt oder kurz davor. Beide stellten sich an das Pult. "Ms. Mabel und ich hatten die wunderbare Idee unsere Kurse für ein Projekt miteinander zu vereinen. In einem Monat findet eine Spendenaktion des Bürgermeisters für die sozial schwachen Kinder der Stadt statt. Um Geld zu sammeln, gibt es eine Auktion. Wir möchten für die Auktion Bilderbücher spenden.", begann Mr. Klifford zu erzählen und langsam machte sich in meinem Bauch ein flaues Gefühl breit. Das hört sich sehr nach Partnerarbeit an. Meine Hände begannen zu zittern. "Genau. Dazu bilden wir Zweierteams. Jeweils eine Person aus dem Kurs: Kreatives Schreiben arbeitet mit einer Person aus dem Kunstkurs zusammen. Ihr entwickelt eine Kurzgeschichte und verbildlicht diese. Das Projekt wird benotet und ich wünsche mir volles Engagement von euch, denn es ist für einen guten Zweck.", erklärte Ms. Mabel und bestätigte damit meine schlimmsten Befürchtungen. Ich schaute mich vorsichtig um und sah, dass die meisten Schüler sich schon gegenseitig zu nickten, nur Jonathan stand reglos in der Ecke und sah genervt aus. Niemand von seinen Freunden war hier. Ich schluckte, oh bitte nicht. "Ihr bekommt eine Einzelnote und eine Gesamtnote. Meine Schüler entwickeln die Geschichte und verfassen diese. Dafür bekommen sie ihre Einzelnote. Die Schüler von Ms. Mabel illustrieren die Geschichte und bekommen darauf ihre Einzelnote. Die Gesamtnote bezieht sich dann auf das ganze Werk und wird mit der Einzelnote verrechnet.", führte Mr. Klifford aus. Doch ich konnte ihm kaum zu hören, angestrengt schaute ich mich um und fragte mich, mit wem ich zusammen arbeiten könnte, aber es sah so aus, als hätten alle bereits einen Wunschpartner vor Augen bis auf... "Ihr habt freie Partnerwahl.", rief Ms. Mabel aufgeregt und sofort machten sich alle auf den Weg zu ihrem Wunschpartner, nur Jonathan und ich blieben in den Ecken stehen. Ich zählte die Paare und schaute, ob jemand übrig bleiben würde, der nicht Jonathan ist. Meine Kehle schnürrte sich langsam zu. Ich bekam vor lauter Panik gar nicht mit, wie Ms. Mabel alle Paare notierte und vor mir und Jonathan stehen blieb. Meine Hände zitterten schrecklich, weshalb ich sie hinter meinem Rücken versteckte. "Super, dann Abby und Jonathan. Es geht auf. Wir haben keine Dreiergruppe.", freute sich Ms. Mabel und notierte unsere Namen. Ich wollte protestieren, doch kein Laut kam über meine Lippen. Zu meiner Verwunderung hörte ich keinerlei Proteste von Jonathan. Stattdessen kam er zu mir herüber und schaute mich genervt an. Ich fühlte mich unheimlich klein. Die Panik und Angst war mittlerweile so groß, dass ich kaum atmen konnte. Irritiert musterte er mich. "Beruhig dich Freak, ich werde dich schon nicht umbringen, zumindest noch nicht." Er klang genervt und schaute mich aus einer Mischung aus Ekel und Wut an. Sein Blick war schwierig zu deuten. Ich nickte nur. "Heute sollt ihr frei Ideen sammeln. Dazu könnt ihr euch in der Schule verteilen. Am Ende der Stunde sammeln wir ein Mind-Map mit euren Ideen ein, also faulenzen geht nicht.", erklärte Mr. Klifford den Arbeitsauftrag. "Folg mir.", murmelte Jonathan seufzend und lief los. Irritiert folgte ich ihm, während ich von tausend Gedanken überrollt wurde. Warum hatte er nicht protestiert? Wieso gab er sich mit mir als seine Partnerin zufrieden? Warum hatte er mich noch nicht beleidigt oder gedemütigt? Ich hatte erwartet, dass er Ms. Mabel sagt, dass er nicht mit mir zusammen arbeiten kann, weil ich nicht rede, aber er hatte es einfach hingenommen. Ich war unheimlich nervös und ängstlich. Meine Gedanken fluteten auf mich ein. Ich konnte sie kaum sortieren. Zu meinem großen Erstaunen hatte er mich in die Bibliothek geführt. Er schmiss sich auf das Sofa und ließ seine Taschen neben dem Sofa fallen. Ich fühlte mich unglaublich unwohl. Unsicher setzte ich mich auf den Sessel und holte meinen Block und Stifte heraus. Als ich hoch sah, musterte er mich mit seinen kalten eisblauen Augen. Ich erwischte mich, dass ich mich fragte, ob er hinter ihnen etwas versteckt. Schnell schüttelte ich den Gedanken ab. "Wenn du Ideen hast, schieß los.", meinte er genervt. Mir klappte der Mund auf. Er wollte also wirklich an dem Projekt arbeiten. Ich hatte erwartet, dass er jetzt einfach auf dem Sofa liegt und nichts tut. "Äh äh ich was also ähm w-was k-kannst du m-malen?", stotterte ich kläglich hervor und schämte mich so sehr. "Malst du eher Landschaften oder Menschen?" Umso mehr ich stotterte, desto roter wurden meine Wangen und desto mehr wünschte ich mir, dass unter mir ein Loch im Boden erscheint. Ich wusste, er würde mich gleich beleidigen. Es war nur eine Frage der Zeit. Doch er begann lauthals zu lachen. Nun wurde ich noch nervöser und schaute überall hin nur nicht zu ihm. "Weißt du eigentlich, dass ich dich noch nie so viel reden gehört hab?" Er grinste mich schief an. "Aber andersherum, würde ich so erbärmlich reden, würde ich auch nichts sagen." Da war sie, die Beleidigung. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Es war nun wirklich nicht das erste Mal, dass er das zu mir sagte und nicht das schlimmste und gemeinste, aber ich war überrascht, wie sehr es mich verletzte. Schnell blinzelte ich die Tränen weg und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Er sagte nichts, also schaute ich unsicher zu ihm auf. Seine Miene hatte sich leicht verändert. Sein Grinsen war verschwunden. "Ich male beides, aber Menschen liegen mir mehr.", antwortete er plötzlich ehrlich. Irritiert sah ich ihn an. "Es wäre also cool, wenn wir eine Geschichte hätten mit mehreren Menschen oder so." Schnell machte ich eine Notiz und nickte. Dieses Projekt kann ja noch was werden.

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