Chapter 66

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Vielleicht gibt es noch einige unverbrauchte Reste, die ich verwenden könnte. Wenn ich weiter lesen würde, würde womöglich auch stehen, wo sie sie versteckt haben.

POV Five

Ich musste zugeben, der Liebesroman hatte es mir angetan. Doch sobald das kleinste Geräusch ertönte, knallte ich die Lektüre mit Schwung zu und blickte mich ertappt um. Doch das Geräusch stellte sich dann als Vogel, der am Fenster vorbeiflog, heraus.
Wenn ich mich wieder sicher fühlte, schlug ich die Seite, auf der ich eben gewesen war, auf und las weiter.
Das Sonderbare an dem Buch war, dass das Mädchen darin glatte braune, bis zu den Schulterblättern gehende Haare, braune Augen und eine gute Statur hatte. Weiß jemand, an welche Person ich dachte?

"Der braunhaarige Junge lehnte sich näher an das wunderschöne Gesicht vor ihm. Seine rechte Hand ruhte an ihrem Kieferknochen. Ihre Besitzerin schaute ihn erwartungsvoll mit ihren glänzenden, haselnussbraunen Augen an. Je näher er den Lippen des Mädchens vor ihm kam, desto nervöser wurde er, da er vorher die Reaktion des Mädchens sehen wollte. Ihre Lippen berührten sich leicht wie eine Feder auf einem Blatt. Sein Gegenüber schien nicht angeekelt oder schockiert zu wirken, also legte er schlussendlich seine Lippen komplett auf ihre. Und sie waren weicher, als er sich vorgestellt hatte.
Ihre Hände fanden ihren Weg zu seinem Nacken und schlangen sich um ihn."

Die gesamte Zeit über stellte ich mir das Mädchen als Caitlyn und den Jungen als mich selbst vor. Ich konnte nicht glauben, warum ich das dachte. Normalerweise sollte mir speiübel sein, doch das war hier nicht der Fall.

⁂ Zeitsprung von zwei Wochen ⁂

Beinahe jeden Tag hatte ich einen Liebesroman gelesen. In  welche Art von Mensch verwandelte ich mich? Werde ich ein Widerling werden?

Nun denn, heute sollte der Tätowierer extra wegen Caitlyn anreisen. Alle, außer mir, hatten darauf bestanden, C Gesellschaft und Unterstützung zu leisten. Warum ich nicht? Ich musste jedes Mal daran denken, wie ich mich vorstelle meine ADOPTIVSCHWESTER zu küssen. Doch meine anderen Geschwister hatten mich schlussendlich doch dazu gebracht.

Jetzt saßen wir am Ende der Treppe auf einer Stufe und schauten zu dem Mädchen, das auf einer Liege saß und einen Arm entblößt auf der Armlehne hatte. Der andere Arm lag entspannt in ihrem Schoß. C hatte ihren Blick auf eine der marmornen Säulen gegenüber von ihr gerichtet und schaute niemanden von uns an.

Der Tätowierer hatte auf einem kleinen Rollstuhl Platz genommen und werkelte mit seinen Tätowiergeräten herum. Er hatte viele Tattoos auf seinem Körper. Alle Formen, Farben und Größen waren dabei. Ehrlich gesagt war ich nicht der Fan von Tattoos, aber bei den meisten Menschen sahen sie beeindruckend aus. Bei der Erinnerung, an dem einzigen, das wir sieben besaßen, und wie sehr es geschmerzt hatte, es zu bekommen, schloss ich meine Augen. Caitlyn tat mir leid. Im Nachhinein bereute ich es, zugestimmt zu haben, der Prozedur anwesend zu sein.

Ein Summen ließ mich aufhorchen. Der Mann hatte bereits angefangen, die schwarze Tinte in die Haut des Mädchens zu stechen. Während er selbst keine Miene verzog, hatte Nummer Acht vor Schmerz ihre Augen fest zusammengekniffen. Die ersten Stiche waren noch vergleichsweise ertragbar, doch der Tätowierer war steinhart und machte keine Pausen.

Mittlerweile atmete Caitlyn schwer und wenn man genau hinschaute, rollte eine kleine Träne ihre Wange hinunter. Normalerweise groß reden und jetzt heulen? Ein feines Stechen in meinem linken Handgelenk lenkte mich ab.
Verwirrt bemerkte ich, wie sich die Stelle, an der sich mein Tattoo befand, gerötet hatte und sie aussah, als ob sie frisch gestochen wurde.

"Five!", eine feine Stimme in meinem Kopf rief nach mir. Hatte jemand von meinen Geschwistern meinen Namen gesagt? Nachdem ich einen Seitenblick zu ihnen geworfen hatte, wusste ich, dass sie es nicht waren. Sie waren tief in ihre Gespräche über die verschiedensten Themen vertieft und niemand von ihnen schien ihre Aufmerksamkeit auf mich gelenkt zu haben."Five!" Woher kam die körperlose Stimme? Mit gerunzelten Augenbrauen drehte ich meinen Kopf in jede Richtung, bis er auf das Mädchen im Tätowierstuhl fiel.

Sie blickte mich flehend an, ihre Augen glasig und ihre freie Hand krallte sich in die Lehne des Stuhls. Ihre Zehen hatte sie angehoben und der ganze Körper war angespannt. Was sollte ich jetzt tun? Niemand machte Anstalten, ihr zu helfen, jeder klammerte sich an einen Arm des Nachbarn und erzählten sich im Flüsterton Geschichten.

Ich seufzte und schüttelte dabei meinen Kopf. Danach öffnete ich mein übliches Portal, sprang hindurch und landete neben dem Tätowierstuhl. Ich beachtete Nummer Acht's verwirrten Blick nicht und nahm ihre freie Hand, die ich von der Lehne reißen musste, in meine eigene. Der Tätowierer schaute kurz von seiner Arbeit auf, die Caitlyn's Angespanntheit und Nervösität kurzfristig erschwert hatte, und nickte einmal dankbar.

Da mir mit der Zeit das Stehen zu anstrengend wurde, setzte ich mich kurzerhand auf die Armlehne. Unbewusst strich ich mit meinem Daumen Kreise auf C's Handrücken, während ich in meinen Gedanken versank. So bekam ich auch nicht mit, wie ich mich immer weiter zur Seite legte und mein Kopf schließlich auf der von Caitlyn ruhte, die unter der Berührung für eine Sekunde zusammenzuckte, jedoch nichts dagegen machte.

Und ehe wir uns versahen, war er fertig. Dad gratulierte uns nicht wegen unserem Mut, dem Beistand oder der Geduld, geschweige denn er zeigte eine Regung von Mitgefühl in seinem Gesicht. Wortlos verschwand er wieder in seinem Büro.
Ich hatte den Mann nie verstanden.

ℐ𝓃 𝓉𝒽ℯ 𝓅𝒶𝓈𝓉 ∣ Fɪᴠᴇ HᴀʀɢʀᴇᴇᴠᴇsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt