Kapitel 13

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Hinter mir lag wohl die schlechteste Nacht meines Lebens. Ich hatte nicht wirklich geschlafen, auch wenn ich andauernd das Gefühl hatte, weggenickt zu sein. So verwunderten mich die dunklen Ringe unter meinen Augen nicht, die mich am nächsten Morgen erwarteten. Ich hatte keine Lust, weiter im Bett herumzuliegen, sodass ich mich müde daraus hervorrollte. Hisokas Seite war noch immer leer. Die Augen kaum aufbringend, schlurfte ich ins Badezimmer und stellte mich gleich unter die Dusche. Dabei versuchte ich meine düsteren Gedanken mit dem warmen Wasser wegzuwaschen. Tatsächlich funktionierte es ein wenig. Ich bediente mich grosszügig an seinen Duschmitteln und Shampoos. Bald schon erfüllte der herrliche Geruch von Vanille und Lavendel den Raum. Entspannter trocknete ich meinen Körper und wickelte mich in den indigofarbenen Bademantel. Der kuschelige Stoff wärmte sogleich meine Haut. Wieder einmal bestätigte sich mir, dass Hisoka einen exzellenten Geschmack hatte. Etwas besser gelaunt betrat ich die Küche. Aber Appetit hatte ich keinen. Also setzte ich Wasser auf und suchte in den Schränken nach Teebeuteln. Irgendwo hatte ich gestern doch welche gesehen... Ich fand sie zum Glück noch bevor das Wasser zu brodeln begann. Überrascht von der Vielfalt seiner Auswahl schnappte ich mir die Früchtetee-Schachtel und wollte einen Beutel daraus hervorzupfen. Doch meine Finger ergriffen etwas hartes, flaches. Die Karte zeigte eine Herzdame. Auf ihrer Rückseite stand in schnörkeliger Schrift: 'Bedien dich, meine Schöne :]'. Offensichtlich befand sich die Karte seit mindestens zwei Jahren da. Das Klicken des Wasserkochers riss mich aus meinen Tagträumen. Wieder bei Sinnen, nahm ich einen Teebeutel aus dem Karton und legte die Karte darauf zurück.

Mit dem heissen Tee bewaffnet, stellte ich mich auf den Balkon. Die angenehme Aussicht bot mir ein wenig Trost an diesem trüben Morgen. Trotz der frühen Stunde waren viele Leute unterwegs.
"Seht mal, der da hat einen ganz lustigen Hut", lachte Kichiro, welcher auf dem Geländer sass und gemütlich seine Beine baumeln liess. Ich folgte seinem ausgestreckten Finger, fand schliesslich den Mann, welchen er meinte. Ein Grinsen konnte ich mir nicht unterdrücken. Obwohl er in Anzug und Kravatte gekleidet war, zierte ein Früchtehut seinen Kopf. Es gab ja überall verrückte Leute, aber York New schien sie magisch anzuziehen. Das war aber nicht die einzige seltsame Gestalt, die der Kleine und ich entdeckten. Kein Wunder, dass sich Hisoka hier wohl fühlt, wenn alle so komisch herumlaufen. Da fällt sein Kleidungsstil gar nicht auf.
"Was habt Ihr heute vor?", aufgeregt blickte mich der Junge von der Seite an. Diese Stadt hatte es ihm eindeutig angetan.
"Hmm... lass mich mal nachdenken. Wir könnten uns ein wenig die Gegend ansehen und shoppen gehen", überlegte ich laut.
"Oh ja, und können wir in einen Technikladen?" Der Grauhaarige machte grosse Augen und sah mich flehend an.
"Natürlich", lachte ich leise. Mein Blick wanderte wieder über die Menschen, die sich durch die Strassen drängten. Immer mehr tummelten sich auf den Gehwegen. Der Herbst liess Grüssen, schickte uns seinen kühlen Wind entgegen. Fröstelnd trank ich einen Schluck. Doch auch mein Tee war nur noch lauwarm.
"Eigentlich will ich auch noch nach einem Dojo in der Nähe suchen. Jin macht mir die Hölle heiss, wenn ich nicht trainiere", fügte ich noch an. Da ich nun wirklich kalt hatte, entschied ich mich dazu, wieder hineinzugehen. Gleichzeitig wie ich die Balkontür schloss, wurde die am Eingang aufgerissen. Augenblicklich erhöhte sich meine Alarmbereitschaft. Mit geschärften Sinnen schlich ich durchs Wohnzimmer. Die schweren, schleppenden Schritte stimmten gar nicht mit Hisokas leichtfüssigen überein. Bereit mich mittels Ghost Mode verschwinden zu lassen, linste ich um die Ecke.

Meine Augen erfassten Hisoka. Doch sein Zustand erschütterte mich zutiefst. Die roten Haare hingen verklebt herunter, seine Kleidung zerfetzt. So schwer wie sein Atem ging hatte er enorme Mühe damit. Der Magier zog scharf die Luft ein. Versuchte seine Jacke von den Schultern zu schütteln, wobei sein linker Arm regungslos herunterhing. Mich aus meiner Starre befreit, eilte ich zu ihm.
"Was ist denn mit dir passiert?", wollte ich entsetzt wissen und schälte ihn aus dem wärmenden Mantel. Er schlüpfte wortlos aus seinen Schuhen. Mir zugewandt, sah ich nun das ganze Ausmass seiner Verletzungen. Eine grosse Schnittwunde zierte seine Stirn, führte quer über seine Augenbraue und verschwand über seinem Ohr in den Haaren. Seine Lippe war an einer Stelle aufgeplatzt und blutete noch immer. Lange Zeit ihn zu analysieren gab er mir nicht. Den rechten Arm schlang er um mich und legte seine Stirn auf meiner Schulter ab. Ich wusste nicht so recht, ob ich ihn zurück umarmen sollte, oder ob ich ihn dann unerträglichen Schmerzen aussetzte. Allmählich beruhigte sich sein Atem, wodurch mich die leises Vorahnung beschlich, dass er gerade an mir eingeschlafen war.
"Hisoka?", sprach ich ihn leise an. Legte meine Hände nun doch vorsichtig an seinen Rücken. Sofort versteifte er sich, weswegen ich sie ein wenig höher schob. Erst als er sich in meiner Umarmung entspannte, wiederholte ich seinen Namen.
"Hm?" Ich wollte schon 'Alles ok?' fragen, aber mir fiel auf, wie bescheuert das wäre, wenn er in diesem Zustand aufkreuzte. Zögerlich redete ich dennoch.
"Was ist passiert?" Hisoka trennte sich von mir. Nur ein Blick in seine Augen genügte mir, um die komplette Verschlossenheit in ihnen zu erkennen. Egal was ich fragen würde, der Magier würde mir keine Antwort geben. Sogleich bildete sich ein Kloss in meinem Hals. Ich schluckte und wandte mich ab.
"Hey-", Behutsam griff er nach meiner Wange. Die raue Stimme schickte mir einen Schauer über den Rücken.
"-nicht weinen." Der Zauberer versuchte sich an einem Grinsen, welches sich eher als eine misstaltete Fratze erwies. Meine Augen schweiften kurz über seinen ganzen Körper.
"Geh duschen!", wies ich ihn in hartem Ton an. Wo sich die ganze Nacht Trauer gesammelt hatte, verwandelte seine Geheimnistuerei diese in Wut. Ihn weiter ignorierend, holte ich meine Tasse Tee aus dem Wohnzimmer und verfrachtete sie in die Spülmaschine.

Forever him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt