Kapitel 76

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Ich erwachte mit Kopfschmerzen. Vielleicht rührten sie von dem wenigen Schlaf, den ich diese Nacht bekommen hatte. Vielleicht kamen sie aber auch von dem Grund, aufgrund welchem ich mir momentan den Kopf zerbrach. Ich rieb mir den Sand aus den Augen. Gleichzeitig spürte ich die salzigen Spuren meiner Tränen auf der Wange. Ich konnte mich nicht erinnern, in der Nacht noch geweint zu haben. Aber so unwahrscheinlich war es in Anbetracht meiner Gemütsschwankungen doch nicht. Vorsichtig schlüpfte ich aus Hisokas Umarmung. Der Rothaarige schlummerte seelenruhig weiter. Knuffig... Ich wandte meinen Blick ab. Ihn so friedlich schlafen zu sehen, nachdem er diesen Zwiespalt in mir ausgelöst hatte, war grausam. Lautlos seufzend strich ich mir die Haare hinter die Ohren. Meine Augen schweiften durch den Raum. Aber sie fingen nur den roten Stoff ein, der mir das ganze eingebrockt hatte. Mein Körper erstarrte, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Die Bilder des gestrigen Abends erschienen auf meiner inneren Leinwand. Ich hatte keine Kontrolle. Meine Atmung verschnellerte sich unwillkürlich. Gleichzeitig fühlte ich mich, als ob mir der Hals zugedrückt wurde. Ich spürte Hisokas Präsenz ganz klar. Auch wenn ich wusste, dass er tief und fest schlief, nahm mir seine blosse Anwesenheit den Atem. Ich erinnerte mich an das panische Gefühl des letzten Abends, als die blasse Hand mir die Luft abschnürte und sie mir nicht mehr wiedergeben wollte. Mir wurde heiss, während mich heftiger Schwindel packte. Schwankend hielt ich mich an der Kommode fest. Es kribbelte in meinem ganzen Körper, als würde ich von Ameisen befallen. Ich kniff meine Augen zusammen.
"Alles wird gut, Meister", erklang die beruhigende Stimme meines besten Freundes.
"Ihr habt die Kontrolle zurück. Ihr könnt Euch dagegen wehren-" Zwanghaft versuchte ich ruhig zu atmen. Dennoch brauchte ich einige Anläufe bis es klappte. Je länger er sprach, desto stärker beruhigte ich mich. Nein. Wohl eher lenkte es mich von den Gedanken ab, die mein Bewusstsein von allem anderen abschirmten.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich wieder fähig fühlte, mich zu kontrollieren. Als ich meine Lider wieder öffnete, musterten mich die braunen Augen besorgt.
"Geht es wieder? Ihr hattet eine Panikattacke..." Ich nickte schwach. Geräuschlos wischte ich das Dessous aus dem Weg, ohne erneut Fokus darauf zu legen. Meine Kleidung nahm ich durch Ghost Mode an mich, damit ich den Magier nicht weckte. In diesem Moment könnte ich ihn noch nicht damit konfrontieren. Lachhaft... Ich schaffte es ja nicht einmal, mich selbst damit zu beschäftigen. Lautlos schlich ich mich aus dem Schlafzimmer und zog mich im Gang an. In der Küche füllte ich mir ein Glas kaltes Wasser, das ich sogleich exte. Trotzdem fühlte ich mich unruhig. Eingesperrt. Zum Teil in Hisokas Wohnung. Zum Teil in meinem Kopf. Ich brauchte dringend frische Luft. Ich überlegte, eine kurze Nachricht zu hinterlassen. Aber als mir einfiel, dass mein Handy auf dem Nachttisch im Schlafzimmer lag, entschied ich mich dagegen. Wenn Hisoka aufwacht, würde er mich sowieso gleich suchen. Dabei wusste ich nicht einmal selbst, wo ich hin wollte. Als ich den Schlüssel in der Tür drehte, räusperte sich jemand hinter mir. Ich erstarrte. Die Luft wurde schlagartig stickig. Meine Hand zitterte unkontrolliert.
"Wo gehst du hin?", wunderte sich der Rothaarige. Mein Körper schien mir nicht mehr gehorchen zu wollen.
"Akane?" Ich atmete tief ein, hielt die Luft in meinen Lungen und drehte mich um. Hisoka lehnte an den Wandschrank, die Arme vor der Brust überkreuzt. Obwohl er noch immer sein Pyjama trug, strahlte der Magier eine unglaubliche Dominanz aus. Die goldenen Iriden musterten mich gespannt. Langsam hob sich eine Augenbraue an. Will er das wirklich wissen? Oder war es eine Falle... Adrenalin schoss durch meine Blutbahnen. Ich biss auf der Unterlippe herum.
"Antworte mir!"

Als hätte er einen Schalter in meinem Gehirn betätigt, beruhigte sich mein Körper schlagartig. Nur mein Herz hämmerte wie wild, als wäre es alleine dafür zuständig mich am Leben zu halten. Und irgendwie war es auch so. Denn mein Puls war das einzige, das ich noch fühlte.
"Ich wollte spazieren gehen", redete ich emotionslos. Der Magier stiess sich von der Schranktür ab und kam langsam auf mich zu. Seine Augen bohrten sich analysierend in meine. Ich wandte meinen Blick ab. Wenn er mich las, wäre alles vorbei.
"Geht es dir gut?" Ich nickte leicht, konnte ihn aber nicht ansehen. Ein leises Seufzen entwich seiner Kehle. Es hörte sich genauso an wie dasjenige, das er von sich gab, wenn ich mich falsch verhielt. Wenn er mich bestrafen musste. Eine Gänsehaut breitete sich auf mir auf. Als der Rothaarige vor mir stehen blieb, schloss ich meine Lider. Was auch immer seine Bestrafung war, ich würde sie erhobenen Hauptes annehmen. Denn wenn ich nicht einmal das kann, wozu bin ich dann noch gut!? Hisokas angenehmer Duft umgab mich. Ich sog ihn tief in mich auf.

Forever him... // Hisoka ff HxHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt