• Yara •
„Bitte Prinzessin, Ihr müsst nicht so förmlich sein. Nennt mich einfach Mikul. Zudem ist euer Wohl die größte Ehre die mir der König anvertrauen kann. Ich empfinde tiefstes Ehrgefühl", entgegnet der Spezialeinheitenanführer.
„Und du folgst mir wo auch immer ich hin gehe?", frage ich eher rhetorisch.
„So ist es", antwortet er knapp.
Wenn ich nun 24/7 jemanden bei mir habe, kann ich mich ja nun sicher etwas freier bewegen, oder?
„Ich habe die Stadt noch gar nicht erkundet, würdest du sie mir zeigen?", frage ich ihn.
„Dafür muss ich erst die Erlaubnis des Königs einholen", klärt er mich auf.
Was auch sonst. Schade. Hätte ja klappen können.
„Vittorius meint, ich darf hingehen wohin ich möchte", lüge ich schamlos. Wenn ich etwas vom Leben gelernt habe ist es, dass man dreist sein muss.
„Das kann ich mir schwer vorstellen. Ich habe bereits die Leibwache eurer Brüder übernommen und kenne viele Tricks im Unerlaubtes tun, werte Prinzessin. Ohne die Anweisung des Königs gehen wir nirgendwohin", sagt er amüsiert und verschränkt dabei die Arme vor seiner Brust.
Na ganz toll, noch so einer von Vittorius' Sorte.
„Ist das nicht ein wenig kalt an den Füßen?", höre ich eine vertraute Stimme hinter uns. Zielstrebig watet Lucan durch den Sand und schließt zu uns auf. Skeptisch mustert er meine nackten Füße, die kontinuierlich von Wellen umspült werden.
„Und was machst du hier?", weiche ich seiner Frage aus.
„Vittorius meint, ich soll dir Gesellschaft leisten", entgegnet er sachlich. „Du hast meine Frage nicht beantwortet", stellt er im nächsten Satz amüsiert fest.
„Nein, ich finde es nicht kalt. Eher angenehm", antworte ich ihm.
„Deiner schneeweißen, fast schon bläulichen Haut nach zu urteilen, findet dein Körper das eher nicht angenehm", sagt er grinsend. Wortlos schaue ich zu meinen Füßen hinab. Sie haben dieselbe Hautfarbe wie, wenn ich in kühleren Urlauben durch die Wellen gelaufen bin. Lucan übertreibt ein wenig!
„Kommst du freiwillig mit zum Trainingsgelände oder soll ich dich zu deinem Glück zwingen?", fragt er provokant. Das leicht angedeutete Lächeln bringt seine Autorität kein bisschen ins schwanken.
„Was üben wir denn?", möchte ich wissen.
„Worauf auch immer du Lust hast", bietet er mir einen Freifahrtschein an.
„Ich habe mich bisher noch nicht an der Erdmagie versucht", stelle ich nach kurzem Gedankengang fest.
„Na dann, sollen wir deinen Kenntnisstand auf den Boden der Tatsachen bringen?", entgegnet er und lacht bei dem Wortspiel laut auf. Augenrollend schüttle ich den Kopf.
Am Fuße der Treppe schnappe ich meine Schuhe. Gerade als ich sie anzuziehen gedenke, hält Lucan mich davon ab.
„Beim Erlernen der Erdmagie ist es von Vorteil den Boden unter den Füßen wahrzunehmen", klärt er mich auf.
„Im Wasser ist es für meine Füße zu kalt, aber auf dem Boden nicht?", stelle ich lachend fest.
„Vertrau mir, dir wird noch warm genug", sagt er und erwidert das Lachen.
Am Trainingsfeld angekommen stelle ich meine Schuhe am Rand ab und betrete dann gemeinsam mit Lucan die Fläche. Mikul lehnt sich gemütlich an ein Mauerstück an und schließt die Augen. Die Sonnenstrahlen spielen sachte über seine kantigen Gesichtszüge. Ich zweifle nicht daran, dass er auch mit geschlossenen Augen alles wahrnimmt und im Notfall umgehend zur Stelle wäre.
„Zunächst möchte ich gerne etwas ansprechen. Neben dem affinen Element gibt es meistens ein Element, dass einem nicht besonders liegt. Bei mir ist es zum Beispiel die Erdmagie. Da wir uns sehr ähnlich sind, vermute ich, dass es bei dir ebenfalls die Erdmagie ist", beginnt Lucan in Lehrmeister Stimmung das Training.
„Über die Jahrhunderte habe ich natürlich an meinen Erdmagie Fähigkeiten gearbeitet. Grundlagen und erweiterte Fähigkeiten kann ich dir also trotzdem beibringen, keine Sorge", fährt er fort.
Aufmerksam höre ich zu und deute ihm, weiter zu machen.
„Die Erde ist ruhig und beständig. Sie ändert ihre Form meistens nicht einfach so. Außerdem ist sie der Nährboden der Mutter Natur. Praktisch ein Teil des Lebens. So wie die anderen Elemente auch zum Leben beitragen. Die Erde bildet also eine solide Basis, ein Fundament. Wichtig ist, dass du das Wesen der Erde verstehen lernst", erklärt Lucan.
Mit ein paar eleganten Bewegungen zeigt er mir ein wenig seiner Erdmagie. Er öffnet die Erde einen Spalt, lässt kleine Felsen hervortreten, lässt sie verschwinden und verschließt schlussendlich den Boden, als ob er nie anders ausgesehen hätte.
Ein paar einzelne Steine liegen verstreut auf dem Boden. Lucan hebt seine Hand und zeitgleich erheben sich die Steine. Magisch schweben sie in der Luft. Zwei kleine Steine greift er sich, die anderen fallen wieder zu Boden.
„Hier", sagt er und überreicht mir einen der beiden Steine. Er fühlt sich angenehm kühl an und hat ungefähr die Größe eines Tischtennis Balls.
„Die erste Übung ist, den Stein wahrzunehmen und ihn bewegen zu können", instruiert er mich. Zeitgleich zeigt er an seinem Stein, was er von mir erwartet.
Sein Stein liegt in seiner offenen Hand. Im nächsten Moment schwebt er ungefähr fünf Zentimeter über seinem Handteller. Sachte gleitet der Stein nach kurzer Schwebedauer zurück in seine Hand. Dann deutet er mir anzufangen.
Ich tue es ihm gleich. Mit voller Konzentration öffne ich meine Hand und blicke auf den Stein. Die Wahrnehmung funktioniert sofort, ich spüre seine Temperatur, sein Gewicht und seine Beschaffenheit in meiner Hand. Ebenso verstehe ich jetzt, was er mit ‚Wesen der Erde' meint. Es fühlt sich praktisch so an, als würde ich das Innenleben des Steines mit meiner Hand durchleuchten.
„Schritt Eins klappt offensichtlich ganz gut. Damit hatte ich seinerzeit auch keine Schwierigkeiten. Schritt Zwei war es, was mir damals die Probleme bereitete", stellt Lucan fest und wirft mir ein mildes Lächeln zu.
Kurz kreuzen sich unsere Blicke, dann fixieren meine Augen wieder den Stein. Wie soll ich ihn denn nun in die Schwebe bekommen?
Angestrengt versuche ich, den Stein in die Höhe zu befördern. Minutenlang starre ich den Stein an und er rührt sich kein Millimeter.
Wie kann dass denn sein? Ich spüre praktisch jede einzelne Faser, jedes einzelne Atom des Steins und trotzdem schaffe ich es nicht, ihn zu bewegen?
Gedanklich spiele ich alles mögliche durch. Ich stelle mir vor, wie sich das Gewicht verringert, wie die Atome sich erheben, wie der Widerstand der Luft zur Seite gedrängt wird und noch vieles weiteres. Und dennoch rührt er sich keinen Millimeter.
Geduldig sieht Lucan mir seit einiger Zeit dabei zu. Ein Schmunzeln bildet sich langsam auf seinem Gesicht hat.
„Ich finde es äußerst interessant, dass du exakt dasselbe Problem mit der Erdmagie hast wie ich es damals hatte", unterbricht er nach einigen Minuten die Stille.
„Und wie hast du das Problem gelöst?", frage ich stirnrunzelnd.
„Wenn ich das verrate, ist doch der ganze Lernprozess dahin", antwortet er und grinst mich an.
Schweigend blicke ich ihm in seine roten Augen.
„Du hast es so lange geübt bis es irgendwann geklappt hat, es hat einfach nur ewig gedauert", schlussfolgere ich aus seinem Blick. Überrascht zieht er eine Augenbraue in die Höhe.
„Du hast mich ziemlich schnell durchschaut", sagt er und atmet theatralisch aus.
Nach einem kurzen Blicktausch richte ich die Konzentration wieder auf den Stein.
Warum genau habe ich mir nochmal Erde für heute ausgesucht?
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Vampirkind Yara
FantasyVon einem abenteuerlichen Leben hat die 29-Jährige Yara schon immer geträumt. Es geht nichts über ein gutes Vampirbuch, etwas Schokolade und ein schönes warmes Getränk dazu. In ihren Büchern kann sie in diese wunderbaren Welten abtauchen und den nah...