Kapitel 46: Der versteckte Raum

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• Yara •

Sanft weht die kühle salzige Brise des Meeres über meine Wangen. Behutsam kitzelt der Strom des Windes über meine Arme und Beine. So, als wolle mir die Luft etwas mitteilen.

Plötzlich ändert sich meine Sicht!

Eigentlich stehe ich auf dem Balkon der großen Wohnhalle des königlichen Wohnbereichs. Und doch sehe ich vor mir die Tunnelgänge. Ich sehe, wie jemand im Zeitraffer die Tunnelabzweigungen in einer bestimmten Reihenfolge abgeht. Logisch betrachtet kommt man so wieder am Anfang raus, doch die wirren Gänge haben der Logik einen Streich gespielt: Statt des Ausgangs endet der Tunnel in einem kleinen unterirdischen Raum.

Und dann endet die Vision, ohne dass ich den Raum richtig sehen kann. In diesem Tunnel ist etwas, das ich wirklich unbedingt finden soll!

Völlig entsetzt bemerke ich, dass ich wohl die nächste Stufe der Visionen freigeschaltet habe. Ich habe jetzt den Skill Visionen auch vollkommen klar im Wachzustand zu empfangen. Absolut großartig. Das muss ich wirklich dringend dem König mitteilen! Jetzt!

Ein inneres merkwürdiges Gefühl sagt mir, dass wir dringend den Raum aufsuchen und etwas erledigen müssen.

Ohne groß nachzudenken stützte ich mich auf die Brüstung und versuche gerade, mich hoch zu hieven. Mein Plan ist, den freien Fall mit dem Luftelement abzufedern und dann zu den Tunneln zu eilen.

Leider komme ich keinen Zentimeter weit. Kraftvoll schlingen sich Mikuls Arme um meine Taille und verhindern meinen Plan. Ohne große Mühe zerrt er mich von der Brüstung weg und zurück in die Wohnhalle.

„Lass mich los!", rufe ich völlig entsetzt. Wortlos hält Mikul mich an Ort und Stelle.

„Ich hatte eine Wachzustand Vision! Ich muss mit dem König sprechen!", sage ich empört.

„Ich fürchte, das muss warten bis der König wieder da ist", antwortet er knapp. Wie eine stählerne Ganzkörperfessel umfängt er mich und wartet, bis mir die Kraft ausgeht. Lange muss er jedenfalls nicht warten. Völlig abgekämpft hänge ich schon bald in seinen Armen.

Allmählich lockert er seinen Griff. Behutsam bringt er mich zurück zum Sofa und legt mich dort hin. Eine Weile bleibt er unmittelbar in meiner Nähe um zu schauen, ob ich nochmal ein Fluchtversuch unternehme.

„Ruht euch ein wenig aus, Prinzessin", sagt er schließlich und geht wieder zurück an die Säule. Gemütlich lehnt er sich da nun wieder an und schließt seine Augen.

Genervt starre ich im Liegen an die Decke.

Nachdenklich betrachte ich erneut das Deckengemälde. Ein wenig denke ich über einen Plan nach, wie ich mich aus Mikuls Argusaugen davonschleichen kann.

Alle meine gedanklichen Pläne laufen jedoch in eine Sackgasse. Ich muss wohl oder übel warten, bis Vittorius zurück kommt.

• Vittorius •

Seit drei Stunden durchkämmen wir bereits die Tunnel die Yara versehentlich freigelegt hat.

Mir läuft es noch eiskalt den Rücken runter, wenn ich an den Moment denke, in dem der Boden unter ihr nachgegeben hat. Noch mehr beunruhigt es mich, dass sie dabei keine Angst empfunden hat.

Dieser Mistkerl Aaru hat unter meiner Stadt unbemerkt ein ganzes Tunnelsystem errichtet. Angestrengt arbeiten sich meine Einheiten bereits mühsam durch die Gänge und stellen einen Tunnelplan auf.

Diese Tunnel sind schon mehrere Wochen alt, also hat er sie lange bevor Yara hier angekommen ist graben lassen. Aus irgendeinem Grund wusste er wohl bereits vor ihrer Ankunft, dass sie hier ankommen wird. Das steigert meine Beunruhigung natürlich nur noch mehr.

Aus einem nördlichen Tunnelgang höre ich Lucans Stimme.

„Mein König, wir haben nun jeden Gang erkundet und aufgezeichnet. Allerdings haben wir keine Verbindungsstücke oder andere Auffälligkeiten gefunden. Aarus Fährte lässt sich auch nicht rekonstruieren", erstattet mein Vampirsohn Bericht.

„Verflucht", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Nach einer weiteren halben Stunde begebe ich mich mit Lucan zurück zum Schloss. Isajah ist zum Quartier vorgegangen.

„Du musst ein paar Stunden auf Yara Acht geben, ich brauche Mikul als Einheitenanführer", weise ich Lucan seine neue Aufgabe zu. Er nickt wortlos.

Gemeinsam betreten wir die große Wohnhalle des privaten königlichen Bereichs. Mikul lehnt wachsam an einer Säule und Yara ist auf dem Sofa eingedöst. Sachte wecke ich sie.

„Ich nehme Mikul für ein paar Stunden mit und Lucan ist derweil für deine Sicherheit verantwortlich", kläre ich sie auf.

„Habt Ihr den Raum gefunden?", fragt sie noch leicht verschlafen.

„Das Tunnelsystem läuft ins Leere", berichte ich sachlich und bin im Begriff wieder aufzustehen. Fordernd hält sie jedoch meinen Arm fest.

„Nein es gibt dort einen Raum!", beharrt sie.

„Yara, deine Brüder, meine Spezialeinheit und ich haben jeden Zentimeter auf den Kopf gestellt. Da ist nichts", betone ich.

„Ihr versteht das nicht, ich habe es in einer Vision gesehen! Da ist ein Raum!", entgegnet sie total aufgebracht. „Die Vision hat mir gezeigt, dass ich dort unbedingt hingehen soll!", sagt sie voller Beharrlichkeit.

Fluchend entziehe ich ihr meinen Arm.

„Wir können deine Vision später erforschen, jetzt muss ich aber erstmal Sicherstellen, dass keiner meine Stadt infiltriert!", antworte ich harsch und stürme dann mit Mikul davon.

„Bitte! Wartet!", ruft sie und springt auf. Lucan hält sie sogleich zurück. „Lucan, verflucht! Lass mich los!", höre ich ihre aufgebrachte Stimme während ich die Treppen hinab eile.

Kurz berichtet Mikul mir, dass sie schon die ganze Zeit über so aufgebracht ist und er sie an Ort und Stelle gehalten hat.

Ein schlechtes Gewissen überkommt mich, aber ich handle weiter streng nach Plan.

• Yara •

Kraftvoll wehre ich mich gegen Lucans starke Arme. Leider habe ich jedoch noch weniger Chance als bei Mikul.

„Yara ... Hey ... Yara!", versucht er mich zu beruhigen.

„Was willst du? Lass mich endlich los!", schreie ich aufgebracht. Warum versteht denn niemand, dass ich in diesen Raum muss?

Ich habe das Gefühl, mein Leben hängt davon ab! Das ist wirklich schwer vorstellbar und schwer beschreibbar, aber dieses Gefühl liegt wie eine dunkle Vorahnung über meinem Geist.

„Schhh! Yara! Hör mir zu ... Ich bringe dich dahin, aber dafür musst du mir jetzt zuhören!", entgegnet Lucan während er meine Hände fest an meinem Körper fixiert.

Ungläubig halte ich inne und starre ihm keuchend seitlich in die tiefroten Augen. Ganz langsam lässt er meine Hände los und löst seine Umklammerung.

„Dein Glück ist, dass der König mich zugeteilt hat und nicht Isajah", beginnt er mit breitem Grinsen.

Fragend schaue ich ihn an.

„Du musst mir jetzt wirklich gut zuhören und es ist absolut wichtig, dass du dich an das hältst, was ich dir sage, hast du mich verstanden?", sagt er nun eindringlich. Seinen Ausdruck verstärkt er, indem er mich an den Schultern packt und mir tief in die Augen sieht.

Zögernd nicke ich. Was kommt jetzt?

Der König wird jedenfalls absolut nicht damit einverstanden sein und völlig ausrasten.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt