Kapitel 99: Sorins weiche Seite

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• Jaron •

So fürsorglich kenne ich Sorin gar nicht. Aber es freut mich zu sehen, dass Yara wohl so etwas wie großbrüderliche Emotionen in ihm auslöst. Ich dachte schon, Isajah hätte viel in ihm bewegt, aber das hier ... Unglaublich!

Gemeinsam schnellen wir über die Dächer der Stadt und kommen schon bald beim Schloss an. Behutsam hält er unsere kleine Vampirschwester fest an seinem Körper.

Wenig später kommen wir auf dem Balkon des Regierungszimmers an. Sorin bringt Yara bis zum großen Besprechungstisch.

„Was brauchst du?", fragt er und kommt direkt zur Sache.

„Papier und Stift reicht. Wenn's ein Gemälde werden soll, kannst du auch Farben besorgen", entgegnet sie schmunzelnd.

Kurz darauf kehrt er mit einfachem Skizzierwerkzeug zurück und legt es ihr vor die Nase. Ich nehme direkt neben ihr auf dem Stuhl meinen Platz ein und schaue ihr beim Zeichnen zu. Meine künstlerische Seite ist wirklich sehr gespannt.

Präzise zieht sie sich die ersten Hilfslinien und proportioniert die Gebäude der Stadt. Zunächst arbeitet sie eine grobe Skizze heraus und macht sich dann an markante Details.

Als ich erkenne, was genau sie da zeichnet, springe ich auf. Sorin schaut alarmiert zu uns herüber.

„Du brauchst nicht weiterzeichnen. Das ist meine Stadt!", erkläre ich aufgebracht.

Mit offenem Mund starrt sie mich an. Und Sorin ebenfalls. Schnell kommt Sorin zu uns herum und begutachtet Yaras kleine Skizze.

„Ich suche den König. Du gibst auf sie Acht", weise ich meinen Vampirbruder an. Als älterer Bruder habe ich in der Theorie den höheren Stand und Sorin müsste meinen Befehlen wortlos folgen. Unter uns Brüder haben wir aber schon immer ein Verhältnis auf Augenhöhe.

Trotzdem nimmt Sorin die Aufgabenteilung sofort und ohne Einwände hin.

Umgehend verschwinde ich über den Balkon, über den wir erst reingekommen sind. Vor den Schlosstoren lande ich auf dem Boden und nutze meine Erdmagie. Systematisch strecke ich meine Wahrnehmung so weit aus wie ich kann, finden tue ich den König allerdings nicht.

Dann eben Plan B: Visionsmagie.

Ich konzentriere meine geistigen Fähigkeiten auf Vittorius. Schon damals habe ich gelernt, wie ich die Visionen zu meinem Vorteil manipulieren kann, auch wenn ich mit der Visionsmagie nie warm geworden bin.

Das Bild der kleinen abgebrannten Hütte von Visionsmeister Kaelen blitzt vor meinem inneren Auge auf.

Was will er denn da?

Sofort mache ich mich auf den Weg zum Stadtausgang. Schnell beschwöre ich ein Skelettpferd und reite los.

Nach einer halben Stunde Reisezeit erreiche ich den Waldabschnitt, in dem Kaelens Haus liegt. Zielstrebig manövriere ich mein Skelettpferd durch den Dickicht.

Vor dem bis auf die Grundmauern abgebrannten Haus bleibe ich stehen. Ich habe schon gehört was hier passiert ist, aber die Kombination aus Yaras Zerstörungskraft und dem Feuer ist nahezu unheimlich.

Das Bild des kleinen Sees hinter dem Haus drängt sich vor mein inneres Auge. Also nehme ich die Beine in die Hand und laufe dorthin.

Zusammen mit Isajah steht der König am See und es scheint, als suchen sie etwas.

„Mein König", unterbreche ich die Konzentration der beiden.

„Ist etwas mit Yara?", fragt Vittorius sofort besorgt.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt