Kapitel 62: Kälteempfinden

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• Vittorius •

Amüsiert und besorgt zugleich betrachte ich Yara, wie sie unter ihrer Ellenbeuge fast wieder eingeschlafen ist. Anscheinend hat sie wirklich sehr wenig Schlaf abbekommen diese Nacht.

Dann schweift mein Gedanke zum schwarzen Mal des Schattendämons. Was ist wenn dieses Mal ihr die Kraft raubt und sie deswegen so müde ist?

Zielgerichtet hebe ich ihren Arm an und schaue ihr ins mürrische Gesicht. Müde fallen ihr die Augen wieder zu. Sie gibt sich nichtmal Mühe wach zu werden.

„Yara, wenn du jetzt nicht aufstehst helfe ich nach", drohe ich ihr belustigt.

Nichts passiert. Ich atme gespielt theatralisch genervt aus und greife ihr Handgelenk.

„Wie du willst", warne ich sie vor.

Unsanft, aber ohne ihr weh zu tun ziehe ich das Handgelenk zu mir und hebe sie somit von der Liegeposition in die Sitzposition. Vorsichtig stütze ich sie, bis sie ihre Orientierung wieder hat. Mir ist bereits klar, dass sie damit nicht gerechnet hat und ich sie damit überrasche.

Im nächsten Augenblick umfange ich ihre Taille und ihre Kniekehle und hebe sie in meine Arme. Am Kleiderschrank stelle ich sie auf ihre Beine und starre sie mit verschränkten Armen an.

Augenrollend sucht sie sich ihre Kleidung raus und verschwindet ins Bad.

„Wenn du in 15 Minuten nicht bereit bist, hole ich dich persönlich aus dem Bad", rufe ich durch die verschlossene Tür.

„Ich brauche eher 30 Minuten, ich muss meine Haare noch waschen", höre ich ihre verschlafene Stimme.

„Dann eben 30 Minuten", bestätige ich und gehe ins Regierungszimmer.

• Yara •

Um meinen Vampirkreislauf in Wallung zu bringen, habe ich beschlossen abwechselnd kalt und heiß zu duschen. Die letzte Dusche ist kalt, so ziehe ich mich dann schneller an und bin schneller fertig.

Nach 30 Minuten stehe ich um einiges wacher und lebendiger vor'm Spiegel und begutachte meinen blassen Teint und meine tiefroten Augen. Von meinen noch nassen Haaren tropfen kalte Perlen auf meine Haut. Ein Schauer überkommt mich und schnell ziehe ich mich an.

„Die 30 Minuten sind um", höre ich Vittorius' ungeduldige Stimme an der Tür.

Meine Herrn, ist ja gut. Der soll sich echt mal entspannen!

„Meine Haare sind noch nass", rufe ich und trockne meine Haare notdürftig mit einem Handtuch.

So schnell wie Vittorius hinter mir steht, kann ich gar nicht gucken. Sanft nimmt er mir das Handtuch aus der Hand und fängt an meine Haare damit trocken zu tupfen.

„Deine Haare sind ja eiskalt", stellt er mit Schreck fest. Dann fühlt er meine Wange, meine Stirn, meine Arme und meine Hände. „Dein ganzer Körper ist total unterkühlt", sagt er besorgt. Mit einem Griff hat er sich seinen Umhang von den Schulter gezogen und mich darin eingewickelt.

„Ich habe heiß und kalt geduscht, sonst wär ich nie wach geworden", entgegne ich.

„Aber doch nicht so kalt!", sagt er streng und fühlt weiter an meiner Wange.

„Ich find's gar nicht so kalt", verharmlose ich mein Ritual. Tatsächlich habe ich das früher eine Zeit lang sehr oft so gemacht. Das hat mir die Zeit morgens während meines Studiums gerettet. Und ich war damals die, die nie Krank mit Erkältung, Grippe oder sonst was war.

„Du kannst das gerne machen aber dann dusche zuletzt bitte heiß. Dein Körper kühlt selbst für ein Vampir unnormal schnell ab", entgegnet Vittorius besorgt.

„Meinetwegen", meine ich.

Eingewickelt in seinem warmen und weichen Umhang trocknet er meine Haare zuende und durchkämmt die wilde Haarpracht.

Das erinnert mich an unsere letzte kleine Wette, als ich ihn attackiert habe in der Hoffnung auf einen Treffer. Natürlich habe ich seine Macht und seine Fähigkeiten mal wieder maßlos unterschätzt.

Aber zumindest habe ich jetzt etwas, das nicht einmal Vittorius kann: Wann immer ich will kann ich mit meinem Geist zur Schattenebene. Wobei es mich brennend interessieren würde, ob er auch eine Affinität zur Dunkelmagie hat. Das Detail habe ich gestern übrigens bewusst ausgelassen, ich möchte erst herausfinden was es bedeutet empfänglich für die neue Magieart zu sein.

„Ich möchte, dass du heute mit dem gebundenen Buch und der Übersetzung davon anfängst", unterbricht der König die Stille. Nachdenklich schaue ich unsere Spiegelbilder im Spiegel an.

„Ja das kann ich machen", entgegne ich.

Zufrieden legt er den Kamm beiseite und hängt das Handtuch auf die Handtuchhalterung. Nachdem er seinen Umhang wieder hat, machen wir uns auf den Weg zum großen dreiteiligen Zelt.

Auf dem großen Tisch in der Mitte liegen schon das Buch und einige Blanko Pergamente bereit. Füllfeder Halter und ein Tintenglas wie aus Anno Knack stehen ebenfalls bereit.

Gespannt auf den Inhalt des Buches setze ich mich an den großen Tisch. Um mich herum sind hier und da mal ein paar Leute unterwegs, die ebenfalls Forschung betreiben. Interessiert halte ich die Feder in der Hand und werfe einen Blick auf das Tintenglas.

„Ich würde mich nun um weitere Angelegenheiten kümmern", lässt der König verlauten.

„Die Feder stecke ich einfach hier rein und schreibe dann damit?", frage ich statt auf seine Aussage zu antworten. Kurz hebt er die Augenbraue. Dann stellt er sich aber hinter mich und beugt sich vor, sodass seine Hand meine führt.

„So", sagt er und zeigt mir, wie das geht. Also genau so, wie ich gedacht habe.

„Danke", entgegne ich leicht peinlich berührt. Gefühlt lernt das hier jeder Einjährige und dann kommt eine fast 30 jährige Frau, die eine Schreibfeder nur aus dem Fernseher kennt. Und das in einer Welt, die keinen Fernseher kennt.

„Bei Gelegenheit musst du mir unbedingt zeigen, wie du vorher etwas aufgeschrieben hast", sagt er amüsiert. Er scheint eine Vorahnung zu haben. Wenn er wüsste! Die CAD Programme für's Bauzeichnen erst!

„Klar", antworte ich schmunzelnd.

„Wenn was ist, lass nach mir rufen", sagt er schließlich und schlüpft durch den Zelteingang. Jaron und Isajah haben heute offensichtlich andere Pläne. Oder Anweisungen.

Zumindest kann ich mich nun in Ruhe dem Buch widmen.

Zum Glück ist es kein großer Schinken, in 1-2 Tagen habe ich das entspannt durchgearbeitet und aufgeschrieben. Grob überfliege ich die Seitenanzahl und den Inhalt. Ich sehe schon, dass er sich bequem in drei Abschnitte aufteilen lässt.

Den ersten Abschnitt formuliert der Autor wie ein persönliches Tagebuch. Er schreibt dort Notizen und Gedankengänge auf. Im zweiten Abschnitt sind mehrere Formeln oder Beschwörungen oder sowas. Und im dritten Abschnitt hat er viele Erklärungen niedergeschrieben.

Möge die Arbeit beginnen!

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt