Kapitel 64: Vittorius' Vergangenheit

1.4K 96 17
                                    

• Vittorius •

Bis Yara und ich an meinem Besprechungstisch sitzen, kann ich mir nichts vorstellen, was mich noch aus der Bahn werfen könnte.

Was auch immer in diesem Buch steht, wird schon nicht so schlimm sein.

Deshalb sage ich auch besten Gewissens, das Jaron ruhig hier bleiben kann.

Als sie dann den Namen meines Erschaffers Ausspricht, zerplatzen meine Gedanken zu ‚es kann nicht mehr schlimmer werden'.

Jaron scheint dies auch direkt zu bemerken und zieht sich ohne ein Wort aus dem Raum zurück.

Und was sie mir dann erzählt, reißt mir dermaßen den Boden unter den Füßen weg. Ich dachte wirklich, nach all den Jahrhunderten habe ich endlich abgeschlossen mit dem, was damals passiert ist. Dass genau ein Name ausreicht um mich vollständig zu genau diesem einen Tag zurück zu versetzen, damit hätte ich nicht gerechnet. Und dann fragt sie auch noch, wer A aus dem Bericht ist.

Das Bild der Person blitzt vor meinem geistigen Auge auf. Sehr lange habe ich sie schon nicht mehr so klar vor mir gesehen. Ihre weiche Haut, ihren Duft, ihr Lächeln, ihre Körperhaltung, die Art und Weise wie sie meinen Namen betont ...

Voller Schmerz kneife ich meine Augen zusammen und versenke mein Gesicht in meine Handflächen.

• Yara •

Vittorius scheint mit seinen Gedanken nicht mehr im Hier und Jetzt zu sein. Und offensichtlich schmerzt ihn das sehr

Egal was bisher so alles passiert ist, so etwas habe ich bei ihm bisher nicht erlebt. Und ich vermute, dass bisher niemand diese verletzliche Seite gesehen hat.

Oh Gott, was mache ich jetzt? Ich wollte ihn nicht in so eine Lage versetzen!

Gerade will ich meine Hand ausstrecken und sie ihm tröstend auf die Schulter legen, da ergreift er sie schon und zieht mich in seine Arme. Fest drückt er meinen Kopf an seine Brust. Zaghaft erwidere ich seine Umarmung um ihn zu trösten. Soll ich was sagen?

„Amelia", unterbricht er das Schweigen und erklärt somit anscheinend, wer A aus dem Bericht ist.

„Amelia?", wiederhole ich den Namen als Frage.

Ein kurzes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Rhythmisch streicht er mir durch mein Haar, es scheint ihn ein wenig zu beruhigen. Ich ruhe einfach weiter in seiner festen Umarmung.

„Meine Frau", erklärt er ohne weitere Erklärung.

Es drängen sich mir gefühlte Tausend Fragen auf, aber aus Respekt und Anstand halte ich mich dieses Mal wirklich zurück.

Nach einer Weile räuspert Vittorius sich. Er streicht mir weiter über mein Haar und scheint in die Leere zu blicken.

„Der letzte Eintrag beschreibt, wie sie gestorben ist. Thorne...", redet der König weiter, doch dann versagt seine Stimme kurz.

„Thorne hat sie ermordet! Wenn ich gewusst hätte, dass er an ihr dieses grausame Ritual durchführen will, hätte ich sie nie mit ihm alleine gelassen!", berichtet Vittorius aufgelöst.

„Er hat mich abkommandiert auf eine kleine Mission im Umkreis. Als ich am Abend zurückkehrte, lag sie da... Leblos... Blutverschmiert... Der ganze Raum verwüstet... Und er... Von ihm war nirgends eine Spur zu finden. Als ob es ihn nie gegeben hat! Jahrzehnte habe ich ihn gesucht, bis er schließlich zu alt gewesen sein muss für einen Menschen", fährt er fort.

„Hätte ich sie doch nur mein Blut trinken lassen. Damals wusste ich aber noch nicht, was es bedeutet ein Vampir zu sein", sagt er mit tiefem Schmerz in der Stimme. Bei der Wahrscheinlichkeit bei dem ihm seine Vampirverwandlungen glücken... Ich denke da besser nicht weiter drüber nach und ihm hilft das auch nicht weiter.

Krampfhaft klammert er sich an meinen Körper.

„Den Schmerz vermag ich mir gar nicht vorzustellen", entgegne ich voller Empathie. Ich fühle mich ihm näher denn je. Den Verlust wird ihm keiner nehmen können, aber er hat jetzt gerade meine Schulter um sich daran festzuhalten. Oder eben meinen ganzen Körper. Jetzt verstehe ich, warum er so einen Beschützerinstinkt hat und über alles die Kontrolle haben möchte. Im entscheidenden Moment hatte er das damals nicht. Es tut mir wirklich wahnsinnig Leid dass er sowas erleben musste.

Zögerlich nimmt er mich an meinen Schultern und schiebt mich ein Stück von sich weg. So kann er mir gut in die Augen blicken.

„Du hast viel mit Amelia gemeinsam. Deine Art, deine Wortwahl, deine Ausstrahlung, selbst dein Lächeln ... Und doch bist du eben du und keine Kopie von Amelia", sagt er voller Wehmut. „Vermutlich möchte ich dich deswegen zu jeder Sekunde besonders beschützt wissen. Damit dir nicht dasselbe widerfährt wie ihr", meint er und mustert mich besorgt.

„Wie sah sie aus?", möchte ich wissen.

Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen und er spielt mit einer Haarsträhne von mir.

„Amelia hatte immer leicht gerötete Wangen. Sie hatte blaugraue Augen die den Himmel auf interessante Art und Weise widergespiegelt haben. Und diese brustlangen schwarzen Locken ... Und sie hat mich jeden Tag zur Weißglut gebracht", erzählt er. Dass keine neuen gedankenabwesenden Reisen kommen, ist schonmal ein besseres Zeichen.

Ich muss schmunzeln und überlege, was ich antworten soll.

„Zumindest habe ich jetzt Vampirkinder, die mich zur Weißglut treiben", sagt er mit dem Anflug eines Grinsens auf den Lippen.

„Hä, wen jetzt?", frage ich gespielt unwissend.

Seine Antwort ist ein wildes Haare raufen auf meinem Kopf.

„Halt! Nein! Bitte!", rufe ich lachend und versuche ihn abzuwehren. Erfolglos stemme ich mich gegen ihn und er zerstört munter weiter meine Frisur.

„Wann lernst du endlich, dass du keine Chance gegen mich hast?", sagt er siegessicher.

Ein paar ausgelassene Moment albern wir noch herum. Es tut ihm mehr als gut. Sanft streicht er meine Haare wieder glatt und beseitigt die Unordnung in meiner Frisur.

„Wir sollten das Buch verbrennen und das Wissen für immer ein Geheimnis bleiben lassen", komme ich angespannt auf das Thema zurück. „In den falschen Händen bedeutet es nur Tod und Zerstörung", führe ich meine Erklärung aus. Mein Blick wandert zwischen dem Buch und Vittorius hin und her.

„Das wäre die sicherste Variante", stellt der König fest. „Vorher muss ich aber den Inhalt verinnerlichen. Ich kann dich nicht mit dem Wissen allein lassen, das gibt ein unglaubliches Erpressungspotenzial und Druckmittel für unsere Feinde, sollten die das jemals herausfinden", erklärt er.

„Dann solltet Ihr einige Lesestunden einplanen", entgegne ich amüsiert.

„Ich muss dich eh noch offiziell Maßregeln für dein aufsässiges Verhalten. Dann wirst du zwei drei Tage keinen Fähigkeitenunterricht erhalten und mir ausschließlich das Buch übersetzen, bis ich es verstanden habe", sagt er mit durchdringendem Blick. Ein leichtes Grinsen kann er sich dabei nicht verkneifen.

Ach ja, ich war ja ziemlich ungehorsam mit Lucan zusammen. In der ganzen Aufregung habe ich das total vergessen.

Ach Lucan ... Jetzt bloß nicht an ihn denken!

„Ein Nein steht wohl nicht zur Wahl", stelle ich amüsiert fest.

„Was denkst du denn?", fragt er rhetorisch. Dabei muss er laut lachen.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt