Kapitel 38: Auf Abwegen

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• Yara •

„Konzentration!", höre ich die hallende Stimme von Visionsmeister Kaelen in meinem gedanklichen Schlossabwehrprozess.

Seit gut einer Stunde versucht Kaelen die Wände meines inneren Schlosses zu zertrümmern. Verglichen mit Vittorius ist Kaelen wesentlich strenger. Leider hat der König noch ein paar auswärtige To Do's und hat das Abwehrtraining heute allein dem blinden Kaelen überlassen. Lucan und Isajah haben sich dem Vorhaben des Königs angeschlossen. Das ist so unfair, die regeln irgendwelche interessanten Dinge und ich muss aufpassen, dass Kaelen nicht uneingeladen in meine Vision einbricht!

„Bitte Prinzessin", tadelt mich Kaelen nachdem meine Gedanken wieder abgeschweift sind. Hinter verschlossenen Lidern rolle ich mit den Augen, wobei er es nun auch nicht gesehen hätte, wären meine Augen geöffnet gewesen. Wieder einmal bestaune ich seinen Lebenswillen. Ein blindes Leben wäre für mich nicht in Frage gekommen.

Ich seufze tief und fokussiere wieder meine geistigen vier Wände. Ohne Vorwarnung ist meine Wand wieder übersät mit Rissen.

Hoffentlich habe ich bald den Lehrstand erreicht, den die Vampirsippe hier zufrieden stellt. Ich will endlich was episches erlernen und nicht an meiner Visionsabwehr feilen.

Eine weitere Stunde später sitze ich in den Trümmern eines Raumes ohne Wände. Mir fehlt dieses Mal wirklich die Kraft den Raum wieder aufzubauen.

Keuchend öffne ich die Augen. Kaelen sitzt grinsend in seinem Sessel und schaut völlig zufrieden ins Leere. Das grenzt definitiv an Sadismus!

„Heute hast du erstaunliches geleistet Prinzessin, auch wenn du oft unaufmerksam warst", spricht Kaelen sowohl Lob als auch Verbesserungspotential aus. Ohne ein weiteres Wort erhebt er sich und schlendert gemütlich aus dem Zimmer. Dass er nichts sieht, stört seine Orientierung Null. Da malträtiert er mich ewig lange und spaziert dann einfach so aus dem Raum. Soziale Interaktion ist ja eh überbewertet.

Einen Moment lang bleibe ich noch auf dem Sessel sitzen und komme wieder zu Atem. Zumindest sag ich das noch so, atmen muss ich ja jetzt nicht mehr.

Leichte Müdigkeit überkommt mich. Sich jetzt entspannt ins Schlafgemach legen und einen Mittagsschlaf halten kommt aber nicht in Frage. Wenn ich schonmal allein gelassen werde ...

Neugierig trete ich auf den Flur und schaue mich verstohlen um. Ein breites Grinsen überkommt mich. Keiner da!

Anstatt zur Wohnhalle zurück zu kehren, begebe ich mich lieber in die Eingangshalle. Erneut schaue ich erstaunt zur Decke. Das große Deckengemälde in der Kuppel strahlt eine angenehme Ruhe aus. Ich kann nicht widerstehen und starre es eine Weile an. Schnell besinne ich mich dann aber wieder und gehe direkt zur großen Eingangstür. Angestrengt drücke ich mit vollem Körpereinsatz dagegen.

Oh mein Gott ist die schwer aufzukriegen!

Laut fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Über den nächsten Wortwitz, dass die Schlosstür ins Schloss fällt, lache ich mich innerlich Tod. Bloß nicht laut lachen, am Ende bemerkt noch einer, dass ich die Gegend erkunde. Schlimm genug, dass ich überhaupt fast ein schlechtes Gewissen habe ohne Absprache durch die Gegend zu streifen. Theoretisch ist dies ja auch mein neues Zuhause, trotzdem fühlt es sich so an, als wäre ich Gast und würde gerade durch's Haus schnüffeln und gucken, wie der Gastgeber so lebt. Vom Fakt, dass gerade keiner meinen Bodyguard im Notfall spielen kann mal abgesehen.

Die Sonne scheint mir ins Gesicht und mit zusammengekniffenen Augen blicke ich durch den geräumigen Innenhof. Weit am anderen Ende entdecke ich ein prunkvolles Eingangstor in den großen massiven Schlossmauern. Es trennt das Schloss von der Stadt und das Tor ist fest verschlossen. Raus komme ich da also nicht unbemerkt. Wobei man beim Wegschleichen eh nie den offensichtlichen Eingang nehmen sollte!

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt