Kapitel 61: Aufsässigkeit

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• Yara •

Ich bin so eben fertig geworden mit meiner umfassenden und ausschweifenden Erklärung zu meiner letzten Schattenebene Expedition. Das Detail mit dem schwarzen Mal auf meinem Rücken habe ich dezent ausgelassen. Dem Blick des Königs nach zu urteilen ist ihm das ganz recht. Vermutlich wird das eh schneller auffallen als uns lieb ist.

Vittorius, Jaron und Isajah starren mich praktisch mit offener Kinnlade an. So fassungslos habe ich noch keinen von ihnen erlebt.

„Ich habe schon vieles erlebt, gehört und gesehen, aber das übertrifft es echt bei weitem", ertönt Vittorius' Stimme voller Ehrfurcht.

„Zumindest kann Aaru mich nicht mehr in seine Vision ziehen", sage ich. Innerlich fühle ich mich eigentlich sehr gut seitdem ich wieder zurückgekehrt bin. Das betone ich in Anbetracht der entsetzten Gesichter vor mir jetzt besser nicht.

Das erste Mal seit ich hier angekommen bin, habe ich das Gefühl auch endlich mal etwas unter meiner Kontrolle zu haben. Und endlich kann auch ich als ‚zartes kleines Vampirkind' etwas beitragen, außer brav rumsitzen und mich beschützen lassen. Es ist zwar arsch gefährlich, aber das ist es Wert. Ich fühle mich ironischerweise wie die Protagonistin einer abenteuerlichen Vampirgeschichte.

„Yara du hast einen Pakt mit einem Schattendämon geschlossen! Daraus ist nichts positives abzuleiten!", rügt mich Vittorius streng. Er ist immens besorgt und außer sich.

„Nichts positives? Immerhin habe ich dafür gesorgt, dass Lucan nicht stirbt!", entgegne ich mutig. Diese heile Welt Schutz-Glasglocke, die mir alle hier aufdrängen wollen, geht mir gehörig gegen den Strich!

Genau jetzt meinen Standpunkt zu verteidigen ist nicht nur ein Spiel mit dem Feuer, es ist ein Spiel mit einem Inferno. Zumindest wenn ich den Gesichtsausdruck des Königs sehe. Ein Spiel, welches mir umgehend um die Ohren fliegen wird. So habe ich es zumindest in Vermutung.

Jaron und Isajah ziehen praktisch zeitgleich die Luft scharf ein. Ihr Blick fällt verstohlen auf die Reaktion des Königs. Nun, wenn Lucan nicht da ist für Gegenwind, kann ich das ja wohl übernehmen. Wir sind uns ja angeblich so ähnlich.

Einen gedehnten Augenblick lang mustert Vittorius mich von oben bis unten.

„Du begibst dich nun besser zur Nachtruhe", sagt er strikt ohne weitere Diskussionen. Sein Blick durchbohrt mich und ich spüre die mitleidenden Blicke meiner Vampirbrüder.

„Jetzt", sagt er streng, bevor ich überhaupt noch ein Wort ansetzen kann.

Wortlos erhebe ich mich und gehe ins Schlafgemach. Ich schließe die Tür und trotte zum großen Himmelbett. Im Bett werde ich noch ewig wachliegen, am liebsten würde ich einen nächtlichen Luftsprint hinlegen um mich abzureagieren. Allerdings vermute ich, dass ich eh nicht weit komme. Meine Vampirfamilie ist noch anwesend und würde es garantiert merken, wenn ich mich jetzt aus dem Staub mache. So viel habe ich über's Wahrnehmen der Erd- und Luftmagie schon gelernt.

Also liege ich dann stundenlang in Gedanken versunken wach und starre an die Decke des Schlafgemachs. Irgendwann sehe ich sogar, wie sich der Himmel aufhellt.

Was der nächste Tag wohl mit sich bringt?

• Vittorius •

Warum um alles in der Welt hat Yara keine Furcht vor der Schattendämonenverbindung? Ich erkenne nichtmal den Hauch von Angst in ihren Augen.

Nein, grenzenloser Mut und stolzes Selbstbewusstsein, das ist es, was ihre Augen ausstrahlen. Natürlich ist das viel besser, aber ohne Furcht handelt es sich leichter unbedacht.

Morgen werde ich ein ernstes Autoritätsgespräch mit ihr führen müssen. Es ist das zweite Mal, dass sie meine Stellung als Meister und König missachtet. Und das auch noch vor Jaron und Isajah.

Ohne ein weiteres Wort steht sie auf verschwindet in mein Schlafgemach. Ich kann wahrnehmen, dass sie nicht schlafen kann. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.

Betreten sehen Jaron und Isajah zu Boden.

„Warum ähnelt sie Lucan nur so sehr?", sage ich seufzend und lockere die angespannte Stimmung damit ein wenig.

„Das ist mir auch schon aufgefallen", entgegnet Jaron tröstend.

Mit meinen Vampirsöhnen verfalle ich in ein lockeres Gespräch über alte Zeiten und Parallelen zwischen Lucan und Yara. Klasse, mein ältestes und mein jüngstes Vampirkind bereiten Kummer und Sorgen was mehrmals für eine Großfamilie ausreichen würde. Noch dazu wurde mein ältester Vampirsohn in die Schattenebene entführt, an einem Felsen verankert, in eine Schlafstarre versetzt und ich kann ihn dort nicht retten. Zur Krönung des Ganzen hat mein jüngster Vampirschützling einen Schattendämonenpakt geschlossen und ich habe nicht die geringste Vorstellung davon, welche Ausmaße das hat.

„Morgen stellen wir einen Plan auf. Yara muss dringend dieses Buch übersetzen und ich schicke einen Späher in die Gegend von Lerchenheim. Wir sollten uns jetzt aber mal einen Moment der Ruhe nehmen", sage ich schließlich und beende somit den Abend.

Damit lösen wir die Runde auf und verstreuen uns im Schloss. Eine ganze Weile genieße ich noch den Moment der Ruhe vorm Kaminfeuer. Meine Gedanken schweifen ab.

Zum Morgengrauen hin statte ich Roan einen Besuch ab und weise ihn an, einen ausführlichen Späherbericht zur Gegend um Lerchenheim anzufertigen. Umgehend begibt er sich mit seiner Spähereinheit in das Gebiet. Ebenfalls will ich aktuelle Berichte über meine restlichen Vampirsöhne erhalten, die geplante Feier steht bald vor der Tür und Daryun, Taavi und Sorin müssten bald eintreffen. Ein paar niedrigrangige Vampire aus Roans Einheit bringen die Informationen über meine restlichen Söhne in Erfahrung.

Organisatorisch setze ich die Feier allerdings vorerst aus, bis sich die brenzlige Lage gelichtet hat.

Die Hilfe meiner Vampirsöhne werde ich trotzdem benötigen.

• Yara •

Nach dem anstrengenden Arbeitsalltag mache ich es mir mit meinem Kollegen auf meinem Sofa gemütlich. Genüsslich stopfen wir uns Pizza vor der neusten Fantasy Serie in unsere hungrigen Mäuler.

Mattheo ist genau wie ich 29 Jahre alt und wir haben uns früher im Architektur Studium kennengelernt. Nach dem Studium haben wir zusammen im Architekturbüro Reimers angefangen. Dort arbeiten wir an vielen Projekten zusammen, überwiegend Neubauten für Wohnraumerweiterung.

Mattheo sieht aus wie ein typischer Italiener, sein eines Elternteil kommt auch von dort. Dunkle leicht lockige kurze Haare, dunkle braune Augen und 1,85m groß bei durchschnittlicher Statur. Beim kleinen Bauchansatz sollte Mattheo besser mal einen Salat statt einer deftigen Pizza bestellen. Aber ich schätze ihn auch nicht wegen seines Körperbaus, wir haben einfach auf so vielen Ebenen Gemeinsamkeiten, dass er wie ein Bruder für mich ist.

Seit dem Studium sind wir also eng befreundet und veranstalten regelmäßig Serienabende oder gehen mal zusammen ins Kino. Manchmal schleppt er mich gerne auf fancy Parties um gemeinsam auf Männerschau zu gehen, wenn ihr versteht was ich meine.

Er ist wirklich eine gute Seele.

Mattheo fängt gerade mit seinem Nerd Gerede über die Serienbesetzung an, doch dann verschwimmt sein Bild vor meinen Augen.

„Yara. Aufstehen", weckt mich die sanfte und fordernde Stimme vom König. Verschlafen blicke ich in seine tiefroten Augen. Anscheinend bin ich wirklich sehr spät eingeschlafen, ich bin Todmüde. Achja, ich bin ja jetzt Teil meines neuen Lebens aus dem es kein zurück mehr gibt.

„Komm steh auf, es ist fast Mittag", sagt Vittorius und rüttelt ein wenig an meiner Schulter damit ich nicht wieder in den Schlaf sinke.

Etwas unverständliches murmle ich völlig fertig in meine Ellenbeuge die ich über meinen Kopf gelegt habe. Ich bin noch sehr müde und der König hat mich echt übel mitten aus dem Reich der Träume geholt. Ich mache nicht die geringsten Anstalten aufzustehen.

In all der Aufregung der letzten Tage habe ich gar nicht bemerkt, wie sehr ich es eigentlich vermisse, unbeschwerte Serienabende zu zelebrieren.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt