Kapitel 48: Die Wut des Königs

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• Yara •

Fassungslos schauen Lucan und ich uns das aufgemalte große schwarze Tor an. Dann geht er entlang der Wand die Symbole ab, die wir eben noch aufwendig zerstört haben.

„Hast du so etwas schonmal gesehen?", frage ich ihn.

„Nein. Ich vermute, dass das Runen sein sollen. Das liegt zumindest Nahe, wenn du ein Portal gesehen hast", antwortet er in Gedanken versunken.

Ich folge ihm und bleibe bei der Hälfte des Raumes stehen. Nachdenklich fahre ich mit meinen Fingerspitzen die Runen nach.

„Hat deine Vision noch etwas gezeigt?", fragt er interessiert.

„Nein. Das unheilvolle Gefühl ist verschwunden und die Wiese von Aaru sehe ich auch nicht mehr", entgegne ich ihm beruhigt.

Lucan möchte gerade einen weiteren Satz anfangen, doch soweit kommt er nicht. Gerade so dreht er sich noch in Richtung des Tunnels, da packt Vittorius ihn schon am Hals, hebt ihn hoch und drückt ihn kräftig gegen die Wand hinter uns. Einzelne Steinbröckchen lösen sich und prasseln zu Boden.

Schockiert und erschrocken zu gleich blicke ich zu den Beiden rüber.

• Vittorius •

Entsetzt blicke ich in die leere Wohnhalle der privaten königlichen Gemächer. Selbst Isajah hält den Atem an.

Lucan und Yara sind nicht hier!

Sofort nehme ich die Fährte der Beiden auf. Zielstrebig führt die Fährte über den großen Balkon der Wohnhalle in die Stadt. Verdammt Lucan, was hast du getan!

Voller Wut stürme ich los und folge der Spur. Es überrascht mich wenig, dass sie mich direkt zum Tunnelsystem führt. Zu seiner Jungvampir Zeit hat Lucan regelmäßig meine Befehle missachtet und ist von einer Gefahr in die Nächste gelaufen. Es hat äußerst lange gedauert, ihm den Gehorsam und den Respekt beizubringen. Ich bin mir sicher gewesen, dass er es nicht mehr wagen würde, sich noch einmal meinem Befehl zu widersetzen. Eine leichte rebellische Ader hat er in seiner Sprache noch heute, aber seit Jahrhunderten befolgt er gehörig, was ich ihm auftrage.

Nun, falsch gedacht.

Im Tunnelsystem angekommen folge ich der Spur. Isajah schaut fragend in die verschiedenen Gänge. Lucan versteht sich sehr gut darin, seine Spuren und seine Fährte mit Hilfe der Elemente zu verwischen. Es erschwert mir die Suche erheblich, jedoch nicht vollständig. Mühselig kämpfen wir uns von Gang zu Gang und kommen dann an einem Bereich an, den Lucan mit Erdmagie freigelegt haben muss. An diesen Gang erinnere ich mich jedenfalls nicht und Fackeln hängen dort auch keine.

Er hat sie nicht ernsthaft in einen unerschlossenen ungesicherten Bereich mitgenommen?

Schnellen Schritten eilen wir durch den verwinkelten Gang. Nach kurzer Zeit kommen wir an einem Eingang zu einer ovalen Höhle an.

Da stehen die beiden.

Im nächsten Moment packe ich meinen Vampirsohn am Hals, hebe ihn hoch und drücke ihn fest an die Wand.

„Wie kannst du es wagen, dich derart meinem Befehl zu widersetzen?", brülle ich ihn wutentbrannt an.

Meinem durchbohrendem Blick hält er selbstbewusst stand.

„Ihr wisst sicher noch allzu gut, wie es bei Jaron endete, als Ihr seine Visionen ignoriert habt", entgegnet er.

„Das liegt gerade definitiv nicht in deinem Entscheidungsspielraum", fahre ich ihn an und verstärke den Druck meiner Hand um seinen Hals.

Isajah nimmt sich derweil Yara an.

• Yara •

Geschockt schaue ich Vittorius dabei zu, wie er mit voller Gewalt den armen Lucan zur Rede stellt. In seiner Haut möchte ich gerade nicht stecken und es graut mir schon vor meiner Standpauke.

Plötzlich versperrt mir Isajah die Sicht, geschickt schiebt er sich zwischen uns und verdeckt die Szene. Bestimmend zieht er mich in seine Arme und drückt mich an sich. Ich blicke in seine Augen und er deutet mir leise zu sein.

„Wenn ich mit ihr diesen Raum nicht gefunden hätte, würde Aaru hier demnächst munter durch das Portal dort spazieren!", höre ich Lucans abgedrückte Stimme. Isajah hält bereits seine Hand auf mein rechtes Ohr und drückt somit mein linkes Ohr auf seine Brust, aber die beiden sind so laut, dass er die Hand auch gleich runternehmen könnte.

„Lucan, verdammt! Das liegt nicht in deinem Ermessen!", rügt ihn der König weiterhin.

„Mikul hat die Stadt noch nicht vollständig absichern können, ich wäre schon noch mit ihr hergekommen, aber stell dir vor, es wäre etwas passiert und du wärst nur alleine da, um sie zu beschützen! Das ist absolut unüberlegt!", führt Vittorius mit aufgebrachter Stimme weiter seine Erklärung aus.

„Und trotzdem wisst ihr, dass ich das Richtige getan habe! Das was getan werden musste! Steht doch endlich mal dazu!", entgegnet Lucan aufgebracht.

Vittorius hält inne, zumindest höre ich nichts. Und sehen tue ich ja auch nichts, weil Isajah mir immernoch gekonnt die Sicht versperrt.

„Isajah bring sie zum Schloss. Und warte dort. Jetzt", durchbricht die herrische Stimme des Königs die Stille.

Ehe ich mich versehen kann, hat Isajah mich gepackt und rennt Richtung Ausgang. Beinahe hätte ich etwas gesagt, doch Vittorius' Autorität in diesem Moment flößt mir viel zu großen Respekt ein. Isajah eilt wortlos mit mir durch die Tunnel zurück an die Oberfläche. Offensichtlich hat er sich genau gemerkt, wo er lang muss. Wenig später kommen wir in der großen Wohnhalle an, wo er mich endlich absetzt.

„Erschreckend, wenn der König derart außer sich ist vor Wut, nicht wahr?", sagt er mit einem milden Lächeln.

„Ja, schon", antworte ich mit belegter Stimme.

Sanft legt er mir seine Hand auf das Schulterblatt. Unser Vampirvater ist gefühlt kurz davor Lucan kalt zu machen und er strahlt eine absolute Ruhe aus. Wie macht er das?

„Egal wie groß der Ungehorsam und die Wut ist, am Ende ist er sein Vampirsohn und er will nur das Beste für ihn. Das war schon immer so und wird auch weiterhin so bleiben, gerade zwischen den Beiden", sagt Isajah mit ruhiger Stimme.

„Und als Vampirneuling hat der König bei dir sowieso die größte Nachsicht. Aber verrate ihm nicht, dass ich dir das erzählt habe. Am Ende bin ich Schuld, dass seine Erziehungsmaßnahmen unwirksam sind", beendet er seine Erklärung und setzt dann ein Lächeln auf.

Ein wenig beruhigt er mich damit. Isajah ist wirklich eine herzensgute treue Seele. Ich schätze es sehr, einen Vampirbruder wie ihn zu haben.

• Vittorius •

Eine Weile noch halte ich Lucan mit kräftigem Griff an die Wand fixiert. Isajah ist vermutlich gerade mit Yara im Königshaus angekommen.

Langsam lockere ich den Griff und Lucan sinkt zurück auf seine Füße.

Mit voller Kraft versenke ich meine Faust direkt neben seinem Ohr in der Wand. Selbst Lucan zuckt kaum merklich zusammen.

Und leider muss ich meinem Vampirsohn Recht geben. Den zerstörten Symbolen nach zu urteilen, haben die beiden den Plan von Aaru vereitelt.

„Verdammt", murmle ich in mich hinein. Angespannt schaut Lucan mir in die Augen.

„Auch wenn du meinen Befehl vollstens Missachtet hast, ja, hast du das Richtige getan", beginne ich meinen Satz und halte dann inne. Ein leichtes Lächeln bildet sich auf seinem Mundwinkel. Streng schaue ich ihn an und sein Lächeln schwindet.

„Aber ernsthaft! Untergrabe nie wieder derart meine Autorität wenn andere dabei sind! Gerade für Yara ist es noch wichtig, den nötigen Respekt und Gehorsam zu lernen. Das ist für sie Überlebenswichtig! Da bist du absolut kein Vorbild für sie! Zumal ihr sowieso erschreckend viel gemeinsam habt", sage ich mit ernstem Tonfall. Beim letzten Satz muss ich mir ein Schmunzeln verkneifen.

Nach einem weiteren Moment unterbricht Lucan den Sichtkontakt und schaut demütig zum Boden. Das ist genau der Moment, auf den ich gewartet habe.

Ruhig ziehe ich meinen Vampirsohn in eine Umarmung. Seine Lektion hat er gelernt.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt